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Korn: Chopped, Screwed, Live, & Unglued (2006)

Verhackstückt

Virgin überbrücken die Wartezeit bis zum nächsten Korn-Album mit einer Zusammenstellung, die nur beinharte Fans beglücken dürfte.

Fans sind Menschen, die sehr viel Geld für nüchtern betrachtet völlig unnützen Krempel ausgeben. Zur Untermauerung der These darf die Wohnung jedes beliebigen Star-Trek-Fans besichtigt werden. Weil nun eben diese Fans mit immenser Kaufkraft den ganzen Tand erwerben, muß der beständige Nachschub gesichert sein. Auch in der Musik: Wo DVD-Surround-Neuabmischungen und Re-issues mit Bonus Tracks das gröbste Kauffieber abdecken, haken die Plattenfirmen gerne mit Rumfort-Compilations ein – das sind Zusammenstellungen, wo alles drauf zu finden ist, was rumliegt und fort muß.

Auch Korn-Fans wurden in den letzten Jahren schon wiederholt zur Kasse gebeten: Ein Greatest-Hits-Album mit all den schönen Erfolgen (und vor allem einer sonst nicht erhältlichen Live-DVD), eine Live-&-Rare-Zusammenstellung der alten Plattenfirma, eine limitierte Angeber-Edition des neuen Albums (mit zusätzlichen Videos und Remixen) – und da haben wir nur das offensichtlichste erwähnt. Und weil sich das aktuelle Korn-Album weltweit schon 2 Millionen mal verkauft hat, schiebt Virgin eine Compilation hinterher, die die Kuh weiter melkt und – der alte Schmäh – uns vorgaukelt, es gäbe etwas richtig Neues von Korn. CHOPPED, SCREWED, LIVE, & UNGLUED versammelt auf zwei CDs und einer DVD einen monströsen Remix des Originalalbums, diverse Live-Tracks, allerlei Schnickschnack und ein paar flugs zusammengesammelte Videos.

Der Remix ist ein Albtraum. Ein DJ namens Michael „5000“ Watts hat das Original verhackstückt, und das quasi unhörbare Resultat fühlt sich so an, als wolle man unter Wasser rennen. Watts dreht überall die Geschwindigkeit und den Pitch so weit herunter, so daß man sich vorkommt, als würde man durch flüssigen Teer waten. Alles kracht, grummelt, sägt und klingt so grauenhaft, daß man sich in einem Fiebertraum wähnt, in dem Fetzen des Albums dämonisch verzerrt die Synapsen belasten.

Genaugenommen ist das Album schon so kaputtgemixt, daß die CD höchst bemerkenswert ist: Auf der breiten Palette, die uns ein Remix-Unterfangen theoretisch bietet – von der wortwörtlichen Neu-Abmischung bis zum Burroughsschen Cut-Up samt Neuzusammenstellung – läßt dieser Klangterror das Dekonstruktive vollends zum Destruktiven werden. Solche Hörer, die es mit Spannung verfolgen, wenn John Zorn Unterwasser-Klarinette spielt, setzen sich diesem auralen Drogentrip vielleicht gerne aus; alle anderen Hörer legen die CD wahrscheinlich nur dann auf, wenn die Gäste mal wieder gar nicht nach Hause wollen.

Geradezu bieder klingen im Vergleich die Live-Aufnahmen, die die zweite CD bietet, und die natürlich kein Mensch braucht. Auch nicht wegen des 4-Minuten-Gitarrensolos am Ende von „Liar“ – womöglich Munkys erstes Solo in 12 Jahren Bandgeschichte, aber dafür klingt’s auch, als wäre man im falschen Film gelandet. Der Pseudo-House-Remix von „Coming Undone“ ist peinlich, der Drum’n’Bass-Remix selbigen Songs dafür sogar richtig gut. Abschließend hören wir Akustikversionen von „Twisted Transistor“ und, richtig, „Coming Undone“ – ein bißchen schwerfällig, aber doch interessant zu hören, wie sich Korn in ein klanglich eher unbekanntes Terrain wagen. Fast vergessen: Der Mash-Up von – man faßt es nicht! – „Coming Undone“, zusammengeschnitten mit dem Song „Lean Wit It, Rock Wit It“ der Dem Franchise Boyz. Der ist gut gemeint, aber da der Reiz des Mash-Ups ohnehin in der guerillaartigen Kollision völlig unerwarteter Songs besteht, generiert die Mixtur NuMetal / HipHop wenig Aufsehen.

Wenden wir uns noch kurz der beigepackten DVD zu, auf der zunächst drei aktuellen Videos der Band zu finden sind: In „Twisted Transistor“ spielen Rapstars, darunter Snoop Dogg, die Korn-Mitglieder, während Jonathan Davis als Plattenchef der Gruppe mangelnde Kommerzialität vorwirft. „Coming Undone“ (vielleicht wird’s doch noch unser Lieblingssong) hat das pfiffigste Video, in dem die Band zunächst Risse in die Welt um sich herum spielt und dann langsam und im wahrsten Sinne des Wortes auseinanderfällt. „Liar“ ist komplett computeranimiert und ruft das Klischée der gelangweilten Rockstars ins Gedächtnis, die nicht einmal mehr zu ihren eigenen Videoshoots erscheinen. Ein zusätzliches Video zum Mash-Up von, seufz, „Coming Undone“ wirkt genauso, als würde man im Sekundentakt zwischen MTV und VIVA hin- und herzappen.

Von den Akustiktracks der zweiten CD (also natürlich auch von dem bislang völlig ignorierten „Coming Undone“) gibt es auch Videos, in denen die Band im Studio sitzt. Sachdienliche Hinweise, warum die anonyme Backing Band mit Hasen- und Schweinemasken herumsitzt, dürfen per Kommentarfunktion hinterlassen werden (die Vermutung, eine Verbindung zum Artwork herstellen zu wollen, drängt sich auf, gewinnt aber in der Redaktion keinerlei Originalitätspreise). In einem witzigen Fünf-Minuten-Feature sehen wir Korn, wie sie ein kleines Konzert bei einem Fan zuhause spielen: Eine Handvoll Kids im Garten, ein kleines Setup auf der „Bühne“, und das irgendwie bekannt klingende „Coming Undone“ in der Setlist. Sinn und Zweck der Aktion ist es natürlich, zu zeigen, wie fan-nah Korn doch noch geblieben sind, aber trotzdem wäre mehr Material dieses Gigs wünschenswert gewesen.

Ehrlich: Kein Mensch braucht diese CD. Wer als Fan schon die französischen Ausgaben aller Korn-Singles und auch das 93’er Demo NIEDERMEYER’S MIND besitzt, fühlt sich eventuell veranlaßt, auch diese Zusammenstellung hier zu erwerben. Bitte schön. Das ist ja das schöne am Fan-Sein: Man hat irrsinnigen Spaß an Sachen, die eigentlich keiner braucht. Aber sagt hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.

Dieser Text erschien zuerst am 27.10.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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