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NICOLE BROWN SIMPSON: THE PRIVATE DIARY OF A LIFE INTERRUPTED – Das erste Buch über den Fall O.J. Simpson

Mit Faye Resnicks Buch begann die schier endlose Serie an Büchern über den Fall O.J. Simpson. Dessen Ex-Frau Nicole Brown Simpson wurde am 12. Juni 1994 zusammen mit einem Bekannten, Ron Goldman, ermordet aufgefunden, und der Hauptverdächtige war Simpson selber. Ein wahnwitziger Medienrummel begann, der Prozeß um den beliebten Ex-Football-Star wurde zum Fernsehereignis. Die Gerichtsverhandlung endete 1995 nach neun Monaten mit einem Freispruch, aber der ungeklärte Fall hielt die Öffentlichkeit dennoch in Atem. Über die Monate und Jahre hinweg erschienen immer mehr Bücher – von den meisten Beteiligten, von Journalisten, von Detektiven und Experten, von so ziemlich jedem, der irgendwie mit den Geschehnissen in Verbindung gebracht werden konnte, und von einigen anderen, bei denen das ganz und gar nicht der Fall war. Als enge Freundin von Nicole Simpson hatte Faye Resnick die Nase vorn: Ihre Enthüllungsschwarte NICOLE BROWN SIMPSON: THE PRIVATE DIARY OF A LIFE INTERRUPTED erschien im September 1994, ganze drei Monate nach den Morden und über drei Monate vor dem eigentlichen Beginn des Prozesses.

Angesichts des Veröffentlichungszeitpunkts ist auch von vornherein klar, was von dem Buch zu erwarten ist: Klatsch und Tratsch, Fakten lagen ja zwangsläufig noch keine vor. Resnick selber wird in ihrer Autorenbiographie als „Beverly Hills socialite“ vorgestellt, ihr Co-Autor Mike Walker, Kolumnist für das Regenbogenblatt National Enquirer, als „media expert on the O.J. Simpson murder trial“. „It’s more than sensational!“, frohlockt der Klappentext, der für Resnicks Erzählungen unter anderem in Aussicht stellt, daß der geneigte Leser erfährt, wie Nicole „the one sexual ‚taboo‘ O.J. had forbidden“ beging. Kein Wunder, daß das Buch zum sofortigen Bestseller wurde – und Richter Lance Ito die Geschworenenauswahl pausierte, weil er erst abwägen wollte, ob Resnicks Geschichte potentielle Jurymitglieder zu sehr beeinflussen könnte.

Für Resnick steht völlig außer Frage, daß O.J. der Täter war. Sollten darüber Zweifel herrschen, zeichnet schon ein Absatz auf Seite 9 über einen Streit den Mann als Jeckyll-und-Hyde-Monster, der es schlicht gewesen sein muß: „O.J.’s face twitched uncontrollably. His body language was extremely aggressive. Horrified, I watched as sweat poured down his face. The veins in his neck bulged. His cheekbones bunched up, twitching beneath his skin. He ground his teeth in rage and hissed at me, ‚Goddamned bitch! Why the fuck does she do this?“

An schmackhaftem Material herrscht auf den 235 übrigen Seiten wahrlich kein Mangel. Resnick berichtet, wie sie und Nicole nach deren Scheidung durch die Clubs auf Männerfang gingen und hat dazu natürlich auch die eine oder andere beiläufige Sexgeschichte parat. Sie erzählt von ihrer eigenen Kokainabhängigkeit, die sie kurz vor Nicoles Tod zum dritten Mal zum Entzug zwang. Sogar eine einmalige lesbische Liaison zwischen ihr und Nicole steht auf dem Programm. Und natürlich hat sie stets noch eine Anekdote auf Lager, in der O.J. sich als kontrollsüchtiger Ehemann aus der Hölle entpuppte. (Es soll die traurige Tatsache nicht heruntergespielt werden, daß O.J. wohl tatsächlich seine Frau mißhandelte – aber das Ausmaß ist fraglich, ebenso wie der Zusammenhang mit den Morden, und im reißerischen Tonfall der Resnick-Schwarte liegt sicherlich keine Erkenntnis darüber.)

Gleich zwei Rechtfertigungen hat Resnick für die Zurschaustellung des Privaten. Im Nachwort richtet sie sich an Opfer häuslicher Gewalt, die sie zum Handeln auffordert und dazu auch diverse Adressen und Telefonnummern anbietet, damit Nicoles tragisches Ende gewissermaßen nicht umsonst bliebe: „Nicole didn’t get out. You can.“ Und von Beginn an stellt sie sich als Sprachrohr für die Frau hin, die ihre Geschichte nie würde erzählen können. Ob diese Frau so begeistert gewesen wäre, daß intimste Details aus ihrem Privatleben zu Geld gemacht werden, darf natürlich bezweifelt werden. „Nicole and I had many conversations and discussed many events that were meant to be private forever“, erklärt Resnick noch im Vorwort, um ihr „Insiderwissen“ zu unterstreichen – aber über die Bedeutung dieser Worte hat sie offenbar nie nachgedacht.

Mehr über O.J. Simpson auf Wilsons Dachboden:
I WANT TO TELL YOU: Wie O.J. Simpson während seines Prozesses an die Öffentlichkeit ging
IF I DID IT: Das Pseudo-Geständnis von O.J. Simpson
O.J. SIMPSON: THE LOST CONFESSION? – Das Interview zum Pseudo-Geständnis


Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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