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Genzel kauft VISIONS!

Nachdem Schwarz sich ja letzten Monat zum ersten Mal in seinem Leben eine Ausgabe von VISIONS gekauft hat und von denen jetzt darüber belehrt wird, was man gut finden darf und was nicht mehr Underground ist, habe ich eine langwährende Verweigerungshaltung aufgegeben und gestern mein erstes VISIONS-Heft seit März 2004 gekauft. Und, Junge, das schlägt ja gleich wieder rein. Die sich wie stets in Delirium schwafelnde Fan-Redaktion entnimmt der Tatsache, daß Paul Hinojos von Sparta zu The Mars Volta gewechselt ist, sensationelle Tendenzen (weil die sich ja eigentlich gar nicht lieb haben) und läßt in einem Anflug umwerfender Sensibilität verlauten, Hinojos ersetze den „an einer Überdosis Heroin krepierten“ Jeremy Ward. Die letzten paar Zeilen loben die devoten Autoren dann den „umwerfenden Musikgeschmack“ von Mars Volta und listen zig Bands auf, die von der Band endorst werden.

Spitze auch der Rezensionsteil, wo die neue Static-X-CD als „schlimm“ bezeichnet wird, denn: „Kaum eine andere amerikanische New-Metal-Band kommt einer Selbstparodie so nahe wie Static-X“. Natürlich nehmen sich auch wenig NuMetal-Bands so wenig ernst wie besagte Gruppe, aber das muß Herrn Staude, dem Verfasser der Kritik, wohl entgangen sein. „Angst macht […] die Selbstverständlichkeit, mit der diese Band durch die Welt geht“, schreibt er – und wir wissen nicht genau, was er meint. Gibt es da ein moralisches Problem mit der Gruppe – oder vielleicht mit seinem Weltbild? Eventuell ist auch sein Selbstverständnis als aufrechter, kritisch-unabhängiger Underground-Journalist vom Selbstverständnis einer x-beliebigen Band, die machen, was sie wollen, und das dann verkaufen wollen, schwer herausgefordert. „Man wird in einigen Jahren schwer nachvollziehen können, warum sich Menschen Platten wie diese gekauft haben.“ Im Zweifelsfall, lieber Herr Staude, rufst du dann mal bei mir an – ich erklär’s dir gerne.

Und wie jedes Magazin hat auch VISIONS Leser, die Briefe schreiben und sich als geistige Schrebergärtner outen. Einer besorgten Leserin in dieser Ausgabe entgeht offenbar ein gewisser Zwiespalt zwischen Form und Inhalt, wenn sie eine Aussage von Jonathan Davis moniert (er hat in einer Art Interview – das wohlgemerkt mit der Frage „Titten oder Ärsche?“ anfing – verlauten lassen, daß man Katzen einfach abknallen sollte) und ihn dann als „Geistesamöbe“ beschimpft, als „primiviten, plumpen Depp“, dessen „herausgerülpste, gequirlte Scheiße“ nicht abgedruckt werden sollte.

OK, die nächste Ausgabe wird dann wohl im November 2006 fällig. Bis dahin bin ich mit Kopfschütteln auch schon fast fertig.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    3 Comments

    1. Ja, ja die Leserbriefe sind immer sehr witzig – ich erinnere mich an einen Beitrag im Rolling Stone (oder Musikexpress?), wo ein erboster Leser erklärt hat er fände den Song XY der Band Sowieso nicht so toll wie der Autor des Artikels … er gab der Band aber eine faire Chance: er hat sich den Song oral reingezogen. Der Kommentar des Autors fiel dementsprechend bissig aus, er hätte wohl besser aural rezipieren sollen 😉

    2. Der Brief war im Musikexpress … und kam, soweit ich mich recht erinnere, von einem Kulturpessimisten, für den früher alles besser war, und der seine vernichtenden Worte zu objektivieren suchte, indem er darauf hinwies, daß er selber Musiker sei. Ganz armer Kerl eigentlich, wenn man’s genau nimmt.

    3. Da hast ja wieder eine ganze blöde Visions Ausgabe erwischt. Meine war sehr gemäßigt.

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