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Nackte Tatensachen!

Gerade komme ich aus Augsburg zurück, wo ich das Wochenende damit verbracht habe, mich bei einem Dance-Pop-Musikvideo als Regisseur (bzw. Co-Regisseur) zu verdingen. Ich darf kurz berichten, daß die (vom Produzenten ausgesuchte) Location ein Striplokal namens Golden Girls war, dessen Name aber nichts mit dem Alter der Tänzerinnen zu tun hat.

Ich unschuldige Seele habe mich freilich schnell eingelebt im typischen Backstage-Leben der dort ansässigen Tänzerinnen – auch wenn mir bislang unklar ist, warum dauernd damit gedroht wird, duschen zu gehen. Das Tanzen an der Stange habe ich mir verkniffen (wohl auch, weil unsere Beleuchterin Karin darin so gut zu sein scheint), aber dafür konnte ich als Regisseur (also als jemand, der anderen sagt, was sie tun sollen) die Besitzerin des Ladens mindestens eine Stunde lang im BH herumstehen lassen, weil das ja im Hintergrund zu sehen sein könnte.

Der Drehschluß am Samstag ging denn auch Hand in Hand (wahlweise anderes Körperteil einsetzen) in routinierte Strip-Dance-Einlagen der Belegschaft für die langsam eintrudelnden Gäste über. Das Prinzip hier ist von meinem geschulten (aber striplokalunerfahrenen) Auge schnell entlarvt worden: Jedes Mädel tanzt zwei Songs lang, einmal mit Klamotten, einmal ohne. Der gelangweilte Gesichtsausdruck bei den meisten ließ darauf schließen, daß der Job mitunter öde sein kann, aber ich muß durchaus den energetischen und der Schwerkraft trotzenden Tanz von Christina loben, die sozusagen Matrix-Gefliege mit Nackttanz verbindet.

Ach ja, gefilmt haben wir ja auch, und zwar eine Sängerin-Bindestrich-Tänzerin namens Magdalena, die in manchen Einstellungen wie Mariah Carey aussah, und die wir dank verschiedener Outfits, variierender Einstellungen und generellem Perfektionswillen unsererseits den ganzen Tag lang ungefähr 352 Mal ihren Song haben tanzen lassen. Hilfreich dabei der Produzent, der einem über die Schulter schaut und sich gelentlich mehr Busen & Hintern wünscht. Aus dem engen Korsett fällt ersterer dann auch hin und wieder beim Herumhüpfen heraus, was uns beim Sichten des Materials sicherlich über Wasser halten wird.

Erwähnen sollte ich vielleicht noch, daß es eine spaßige Erfahrung war, daß Magdalena demnächst in einem Doro-Video tanzt, daß Hasi nicht schnarcht, daß die Zufahrt zum Augsburger ETAP-Hotel gut versteckt ist, und daß es Statisten gibt, die so überzeugend nach Continuity-Menschen aussehen, daß man sie ab sofort gleich mit Einstellungslisten bestücken sollte.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    4 Comments

    1. Ging es dir bei der Sache um first-hand experience? Wie kommt man zu so einem Job? Ist das Environment auf die Dauer nicht furchtbar langweilig und traurig? Ist mit Produzent der Verantwortliche der Plattenfirma oder der Videoproduktion gemeint? Hat diese Magdalena ein Sex sells-Video nötig? Du siehst, ich zeige hier reges Interesse an deinen weekend activities.

    2. So viele Fragen! Der Song ist definitiv einer von diesen Songs, die sich am besten mit einem sexy Video im Glamour-Look verkaufen lassen. Ich glaube, ohne Sex geht da gar nichts, und Magdalenas gezieltes Flirten mit der Kamera scheint mir der beste Kaufanreiz zu sein. Der Produzent war sowohl Musik- als auch Videoproduzent – letzteres aber zum ersten Mal. Er betreibt ein eigenes kleines Label (bzw. baut sich ein solches auf), auf dem verschiedene Acts beheimatet sind. Es gibt auch einen Finanzier (sozusagen einen Mäzen), der das Geld zur Verfügung gestellt hat und prinzipiell Magdalenas Karriere fördert. Den guten Mann habe ich nicht kennengelernt, aber er stand mit Anzug und Krawatte irgendwo im Hintergrund und sah zufrieden aus. … Die Umgebung ist auf Dauer in der Tat eher deprimierend, aber dank des Schnaitl-Drehs im Februar sind wir ja ganz andere Absteigen gewohnt. Es herrscht unter den Tänzerinnen offenbar eine gute Stimmung, aber sie sehen trotzdem nicht so aus, als wäre der Job extrem spannend. Zu dem Job bin ich übrigens über Hasi gekommen, der als Kameramann mit dem Produzenten einen Deal über ein Musikvideo gemacht hat (besagter Produzent hat per Anzeige nach Kreativkräften gesucht) und mich dann als Regisseur an Bord geholt hat. Äh, und was genau ist im Strip-Lokal die first-hand experience …?

    3. Danke für die Aufklärung. Ein bisschen erinnert mich die Sache ja an „Chartbreaker“ der Massiven Töne (http://www.lyricsdownload.com/massive-toene-chartbreaker-lyrics.html), obwhl das wahrscheinlich jetzt sehr böse ist. Hattest du als Regisseur freie Hand oder pfuschte dir da dauernd der Produzent ins Handwerk? Wann wird das Video wo gezeigt?

    4. Nun, ganz so drastisch wie im angesprochenen Song ist’s sicher nicht, aber freilich fällt die Frau nicht primär wegen musikalischer Brillianz auf. Freie Hand hatte ich (bzw. hatten wir) mehr oder minder in der Ausführung, nicht in der Konzeption. Alles passierte in Absprache mit dem Produzenten, der uns zwar vertraute, daß wir ansprechende Bilder abliefern, aber während des Drehs am Monitor bei den besagte Bildern durchaus Wünsche äußerte. Aber schließlich sollen ja alle Beteiligten zufrieden sein, da sind künstlerische Alleinflüge auch nicht zielführend.

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