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NACHTAKADEMIE: Schnodderkino mit humanistischer Gesinnung

Exzentriker, Chaoten und Außenseiter fallen über eine altehrwürdige Institution her? Ganz klar, das muß ein ACADEMY-Film sein! Wie so oft wurde im Falle von NACHTAKADEMIE aber das Etikett nur bei uns verliehen: Im Original entstand der Streifen unter dem Arbeitstitel NIGHT SCHOOL und wurde dann als THE UNDERACHIEVERS veröffentlicht. Was freilich nicht heißen soll, daß die POLICE ACADEMY nicht doch als Comedy-Vorbild fungierte: Nicht nur das Humorprinzip, sondern auch das gezeichnete Video-Cover und der Titel-Schriftzug sind stark an der Mutter aller ACADEMY-Filme orientiert.

Die Einrichtung, die im vorliegenden Fall mit den ganz und gar unpassenden Gestalten klarkommen muß, ist eine Schule, die aus nicht detailliert erläuterten Gründen ein Abendschul-Programm anbieten muß, das allen gratis und unabhängig von ihren Qualifikationen offensteht – darunter auch einer Horde an Sträflingen, die sich im Zuge einer Rehabilitation fortbilden sollen. Die Lehrer sperren sich dagegen, umsonst zu arbeiten und sich mit dem vermeintlichen „Abschaum“ abzugeben.

Mit der Prämisse ist eigentlich auch schon der Großteil der Handlung abgesteckt: Das lose arrangierte Chaos, das sich mit dem Einfallen der „Minderleister“ entfaltet, ist eher rudimentär an einem tatsächlichen Plot aufgehängt. Nur ein paar Fäden ziehen sich durch das Prozedere: Eine engagierte Sozialarbeiterin (Barbara Carrera, nur wenige Jahre davor noch Bond-Girl in SAG NIEMALS NIE!) setzt sich für das Programm ein und geht mit dem elitären Lehrer Murphy mehrfach Wetten ein – wenn sie gewinnt, wird das Abendschul-Programm fortgesetzt, wenn sie verliert, muß sie sich dem lüsternen Strolch hingeben. Außerdem arbeitet der Sträfling Danny Undercover: Er soll für den Gangsterboß Joey auf dessen Frau aufpassen, aber für die Polizei nach Beweisen suchen, daß Joey mit Drogen handelt. Freilich überschneiden sich die beiden Plotfäden: Danny bandelt mit der Sozialarbeiterin an und kämpft mit ihr zusammen dafür, die „Nachtakademie“ am Leben zu erhalten.

Sozialarbeiterin Katherine (Barbara Carrera) liebt das Stirnband,
das Undercover-Agent Danny (Edward Albert) den kompletten Film über trägt.

THE UNDERACHIEVERS ist der vierte Film von Regisseurin Jackie Kong – auch wenn er noch vor ihrer kurz zuvor gedrehten Horrorkomödie BLOOD DINER veröffentlicht wurde (weshalb auch die beiden Hauptdarsteller von BLOOD DINER hier in Nebenrollen als Team zu sehen sind). Wie ihre vorigen Filme wurde auch dieser von ihrem damaligen Ehemann Bill Osco produziert, der hier unter dem Namen „Mr. Osco“ als „Creative Producer“ gelistet ist (der Credit im Vorspann sieht dabei so aus, als wäre er nachträglich über einen anderslautenden gepackt worden). Und wer die Komödie POLICE PATROL – DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER gesehen hat, die die beiden zuvor mit Papiertütenkomiker Murray Langston auf die Beine gestellt hatten, kann ahnen, daß auch der Humor der NACHTAKADEMIE eher von der unbekümmert lotterigen Art ist.

„What do the American people call their leader?“, fragt da der Landeskunde-Lehrer seine Aussiedler-Schüler. „Asshole“, antworten die ganz brav unisono. Auch sonst werden Feingeister wenig Freude am Film haben: Da entwickelt sich ein Streit zwischen der Sozialarbeiterin und einer älteren Lehrerin zu einem ausgewachsenen Catfight, bei dem die Fäuste fliegen und die Frauen sich gegenseitig durchs Fenster werfen, während sich anderswo eine durchgeknallte Trekkie-Lehrerin lüstern die Klamotten vom Leib reißt, sobald von Aliens die Rede ist – nur daß der Stichwortgeber eigentlich von Einwanderern redet. Apropos Wortwitz: Undercoveragent Danny trägt ein Ansteckmikro in Form eines riesigen Käfers – ein „bug“, klar?

Diese Dame (Becky LeBeau) unterrichtet Unterwasser-Ballet für Senioren. Ehrlich!

Gar so übersprudelnd ist NACHTAKADEMIE aber in Sachen Irrsinn und Wortspiel nicht ausgefallen – die entsprechenden Stirnklatsch-Schmähs, die bei POLICE PATROL noch im Dauerfeuer vom Stapel gelassen wurden, sind hier nur vereinzelt anzutreffen, und der wonnig schlechte Geschmack wird diesmal auch nicht gar so umfassend zelebriert. Das hat den etwas merkwürdigen Effekt, daß NACHTAKADEMIE teils zu zahm für den selbstgewählten Tonfall wirkt – oder daß einzelne Schenkelklopfer zu einsam in einer Szene stehen, um sie wirklich zu tragen. Einiges ist amüsant, aber vieles auch viel zu behäbig und – Überraschung! – schlichtweg blöd.

Es hilft allerdings, daß der Film wie so viele seiner ACADEMY-Brüder im Geiste sein Herz am rechten Fleck hat: Auch wenn wir lachen sollen, wie wenig die schrägen Vögel in die Schulwelt passen, stehen wir doch ganz klar auf der Seite dieser Außenseiter. Die Bösen sind die elitären Lehrer, die ihre Schüler für ihr Unwissen verspotten oder sich über ihre Herkunft lustig machen. Tatsächlich baut der Film auf die Grundhaltung, daß Bildung für alle zugänglich sein sollte – und läßt die komischen Käuze an ihrer Fortbildung auch wachsen. NACHTAKADEMIE ist Schnodderkino mit humanistischer Gesinnung.

Hält nichts von den Punkern und Rockern und Dealern und Zockern und Wixern und Mixern:
Der elitäre Lehrer Murphy (Michael Pataki)

Die schönste Szene hat übrigens ausgerechnet Bad-Taste-Produzent Bill Osco, der hier ein letztes Mal in einer kleinen Rolle vor die Kamera tritt. Er spielt (unter dem Pseudonym „Johnny Commander“, das er auch schon im Abspann von THE BEING verwendete) ein Mitglied der Amateurtheatergruppe der Schule. Am Abend vor der Aufführung sitzt er dann niedergeschlagen am Bett seiner kleinen Tochter (Roxanne Cybelle Osco, die tatsächliche Tochter von Osco und Jackie Kong) und bittet sie, ihm beim Auswendiglernen des Textes zu helfen. Trotz der nächtlichen Stunde zeigt sich das Kind hilfsbereit: „Put the coffee on and I’ll be down in a minute“. Dann seufzt die Kleine noch: „You’re the best dad in the world, but you can’t remember shit“. Angesichts der hämischen Kommentare, die Osco für seine beiden eigens verschafften Hauptrollen in den Filmen COP KILLERS und THE BEING gekriegt hat, möchte man ihn für solch herzige Selbstironie fast umarmen.

Mehr Jackie Kong auf Wilsons Dachboden:
THE BEING (1983)
POLICE PATROL – DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER (1984)

Mehr Bill Osco auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch Amerika
FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist
THE UNKNOWN COMEDY SHOW: Der Witz aus der Papiertüte
URBAN LEGENDS: Antikino als Frankenstein-Flickwerk
CAT FIGHT WRESTLING: Furiose Frauenzimmer in leeren Lagerhallen 

Nachtakademie (USA 1987)
Originaltitel: The Underachievers
Arbeitstitel: Night School
Regie: Jackie Kong
Drehbuch: Jackie Kong, Tony Rosato, Gary Scott Thompson
Kamera: Chuck Colwell
Musik: Don Preston
Creative Producer: „Mr. Osco“ (= Bill Osco)
Darsteller: Edward Albert, Barbara Carrera, Michael Pataki, Vic Tayback, Mark Blankfield, Jimmy Van Patten, Susan Tyrell, Burton Gilliam, Jewel Shepard, Becky LeBeau, Burt Ward, Carl Crew, Rick Burks, „Johnny Commander“ (= Bill Osco)

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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