FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist

Film / Retrospektive / 10. November 2015

Sexstrahlen, ein Planet namens Porno, ein Raumschiff in Penisform: Herzlich willkommen bei FLESH GORDON, einer Softsex-Parodie der alten FLASH-GORDON-Weltraumabenteuer. Mit bizarren Ideen, schlüpfrigem Witz, schnodderiger Machart und erstaunlich liebevoll gemachten Effekten wurde der kleine Independent-Film 1974 zu einem veritablen Hit, der im Zuge der frühen Pornowelle als billige Parodie begann und sich bald zum Kultfilm mauserte.

Der Startschuss für den Film war gegeben, als sich die Pornoproduzenten Howard Ziehm und Bill Osco mit ihrer Firma Graffitti (ja, mit zwei „t“) an ein etwas ambitionierteres Projekt wagen wollten: Nachdem sie 1970 mit MONA, dem ersten im Kino vertriebenen Hardcore-Langfilm, die Nase bei der sexuellen Kinorevolution ganz vorn hatten und mit zahlreichen „Loops“ und mittellangen Sexfilmen ordentlich Kohle scheffeln konnten, entspannen sie die Idee zu einem Porno, der gleichzeitig als Science-Fiction-Parodie funktionieren sollte.

Imperator Wang (William Dennis Hunt) wurde wahnsinnig,
als ein empfindsames Körperstück einer Venusfliegenfalle zum Opfer fiel …

Die Geschichte lehnt sich eng an die alten FLASH-GORDON-Geschichten an, die in den Dreißigern als Comic ihr Leben begonnen und dann mit Buster Crabbe als „Serials“, episodisch vertriebene Filme, auf die Leinwand kamen – nur daß hier jedes Element mit Sex verknüpft wurde: Der böse Imperator Wang („Wang“ bedeutet „Schwanz“) schießt teuflische Sexstrahlen auf die Erde, weshalb die Bürger in unkontrollierte Orgien verfallen. Also muß Superheld Flesh Gordon („Flesh“, das nackte Fleisch, anstelle von „Flash“) zusammen mit seiner Freundin Dale Ardor und dem Wissenschaftler Dr. Flexi Jerkoff („jerk off“ = „wixen“) auf den Planeten Porno fliegen, um dort Wangs Pläne zu durchkreuzen. Dabei treffen sie nicht nur auf lesbische Amazonen und die nymphomane Königin Amora, sondern auch auf verschiedene Monster – wie beispielsweise einen einäugigen „Penisaurus“ …

Das mit mageren $25.000 budgetierte Projekt sollte zunächst so entstehen, wie auch MONA und die anderen Graffitti-Streifen gemacht wurden: Ziehm bediente die Kamera und inszenierte die Sexszenen, Regisseur Michael Benveniste (der auch das Drehbuch zu FLESH GORDON schrieb) kümmerte sich um die Handlung drumherum. Bald schon zeichneten sich aber unzählige Probleme am Horizont ab. Die Effektarbeit war viel aufwendiger als zunächst gedacht, zögerte das Projekt heraus und trieb die Kosten letztlich auf $500.000. Benveniste wurde, nachdem er monatelang einen unbrauchbaren Rohschnitt zusammenzimmerte, wegen Inkompetenz gefeuert, wonach Ziehm komplett das Ruder übernahm. Produzent Osco wirtschaftete offenbar in die eigene Tasche und bekam Schwierigkeiten mit der Steuer, weswegen sich Ziehm von ihm trennte.

Ein Monster im King-Kong-Modus …
nur daß dieses hier lautstark darüber nachdenkt, wie Dale wohl in schwarzer Reizwäsche aussehen könnte.

Aufgrund der Größe des Projekts entschloss sich Ziehm irgendwann, den Film nicht mehr für die Porno-Kinogänger zu machen, sondern für ein breiteres Publikum – eine Entscheidung, die sicherlich dadurch begünstigt wurde, daß die Polizei das Material beschlagnahmte und Ziehm die expliziten Sexszenen herausschneiden mußte. Bei einer solchen Entstehungsgeschichte ist es ein Wunder, daß der Film überhaupt fertiggestellt werden konnte – zumal sich manche Aufnahmen als technisch mangelhaft herausstellten und im Zuge der Polizeiaktion auch manche Negative verlorengingen, weshalb in einigen Szenen auf unvorteilhafte Einstellungen der zweiten Kamera zurückgegriffen werden mußte.

Die holprige Machart trägt aber ihren Teil zum Charme des fertigen Films bei: Gerade weil die Sache so handgemacht aussieht, gerade weil hier kaum etwas professionell aufgezogen wurde, wirkt diese filmische Zote wie ein gelungener Streich gegen das glattpolierte Hollywood und seine makellos kühlen Superheldengeschichten. Bei FLESH GORDON sind die Kulissen erkennbar billig, die Farben beißen im Auge, mitunter ist zu wenig Licht da oder die Einstellungen sind wie in einem Studentenfilm zusammengepuzzelt – aber weil es sich um eine Parodie handelt, kommen die Defizite dem Witz eigentlich zugute.

Solche Schiffe zeigen die nie in den offiziellen NASA-Berichten!

Der Humor ist freilich auf ganz schlüpfrigem Pennälerniveau. Jerkoffs Raumschiff hat die Form eines Penis, Imperator Wang trägt zur Zwangshochzeit mit Dale Ardor gleich selber das Brautkleid, und unsere Helden werden an einer Stelle von hilflos herumstolpernden Blechgesellen angegriffen, die zwischen den Beinen mit einem langen, spitzen Bohrer ausgestattet sind – „rapist robots“. Wenn jemand hinfällt, ertönt gerne ein Geräusch wie in einem Zeichentrickfilm – ebenso bei der Begutachtung diverser Oberweiten und nackter Popos. Man kann die Macher hinter jeder Zote kichern sehen.

Nun ist die Geschmacklosigkeit des Films aber kein kommerzielles Kalkül, sondern entspringt tatsächlich einem gewaltig schrägen Sinn für Humor. Man merkt es daran, daß Ziehm, Osco und Benveniste kein Schmäh zu blöd ist – selbst, wenn es nicht um Sex geht: Das Raumschiff wird wie ein Auto mit einem Zündschlüssel gestartet, an dem ein VW-Schlüsselanhänger prangt. Beim Betreten des Planeten Porno atmet Dr. Jerkoff tief ein und verkündet dann: „Good. There is oxygen on this planet“. Und an einer Stelle übertölpelt Jerkoff eine Wache, indem er ihn bittet, diverse Gegenstände zu halten, bis der gute Junge keine Hand mehr frei hat und Jerkoff seine Waffe klauen kann. Gleichzeitig setzt er sich eine Gasmaske auf – weil die herunterfallenden Gegenstände in einer chemischen Reaktion giftigen Rauch entwickeln, der die Wache außer Schach setzt!

Was genau kann einem ein Penisaurus eigentlich antun? Oder will ich das gar nicht wissen?

Ganz nebenbei ist der Witz des Films aber natürlich auch Zeitgeist. Es ist die antiautoritäre Haltung der Achtundsechziger, die hier durchscheint – nichts ist heilig, jeder Regelbruch ist erlaubt. Außerdem rückte die Pornographie seit 1972 für kurze Zeit ins Mainstream-Bewußtsein: Nach DEEP THROAT galt es für kurze Zeit als chic, sich mit entsprechender Ware auseinanderzusetzen – also ist es nur recht und billig, daß hier das Schmuddelige und anderswo Anrüchige mit Wonne gefeiert wird.

Wobei es interessant ist, daß gerade die über die Erde hereinbrechenden Sexstrahlen die Gefahr für unsere Spezies darstellen. Der kollektive Sexwahn, in den die Menschen bei der Begegnung mit Wangs Strahlen verfallen, erinnert ja an eben jene Sexwelle, die seit den späten Sechzigern auch ins Kino spülte. Aber obwohl hier ein aufrechter Bürger peinlich berührt kichern darf, wenn das Wort „Erektion“ fällt, und Wang aus eigener Impotenz anderen die Lust zerstören will, haben Ziehm & Co. kaum die Absicht, satirisch Gesellschaft oder Zeitgeist zu kommentieren – es ist halt einfach alles auf Sex getrimmt, ohne tieferen Hintergedanken. Es mutet geradezu merkwürdig an, daß jegliche sexuelle Aktivität hier stets unter Zwang stattfindet oder sonstwie unangenehm konnotiert ist – aber schon in MONA war der Sex ja durch die Bank mit Tabubrüchen verbunden.

Ein mechanischer Käfermensch tritt gegen Flesh an.

Zu seinem Kuriositätenstatus verhalfen FLESH GORDON aber auch seine Spezialeffekte. Zum Effektteam gehörten unzählige junge Künstler, die es später weit bringen sollten: Mike Minor (später u.a. der Art Direction von STAR TREK II – DER ZORN DES KHAN), Rick Baker (später sieben Oscars und Arbeit u.a. an HELLBOY oder Michael Jacksons THRILLER-Video), Dennis Muren (später neun Oscars, u.a. für TERMINATOR 2 und JURASSIC PARK) und Greg Jein (später u.a. Modelle für UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART und STAR TREK – DER FILM) arbeiteten an dem Projekt mit, ebenso wie Stop-Motion-Profi Jim Danforth (ALS DINOSAURIER DIE ERDE BEHERRSCHTEN). Ihre Arbeit für den Film läßt das geringe Budget durchscheinen, ist aber immens kreativ und liebevoll gestaltet – alleine Fleshs Kampf gegen einen animierten Roboterkäfer ist eine bemerkenswerte tricktechnische Leistung.

FLESH GORDON mag albern sein, er mag zotig sein oder notdürftig zusammengeschustert. Er mag auch streckenweise langatmig sein – vor allem, wenn die Musik beständig donnert und klimpert, während der Erzählfluss hilflos herumstolpert. Der Streifen ist aber definitiv auch eins: einzigartig. Es ist ein Film, der sich etwas traut, der aus allen Schemata herausfällt und von einer Liebe zur Materie und einer Begeisterung für das Kuriose durchtränkt ist. Und zum Schluss wird er dann – wie so vieles hier halb zufällig getroffen – doch noch politisch: „The Universe“, sagt da der schwule Prinz Precious, „is once again safe for democracy and freedom. And the right of all to happiness, each to his own personal religious convictions.“ Da wünscht man sich doch fast, Flesh Gordon würde uns auch mal im 21. Jahrhundert besuchen.

 

 

Flesh Gordon (USA 1974)
Regie: Michael Benveniste, Howard Ziehm
Buch: Michael Benveniste
Produktion: Howard Ziehm, William Osco
Kamera: Howard Ziehm
Musik: Ralph Ferraro
Darsteller: Jason Williams, Suzanne Fields, Joseph Hudgins, William Hunt, Candy Samples






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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