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[Film] Sag niemals nie (1983)

Der Film ist eine meiner frühesten Filmerinnerungen: SAG NIEMALS NIE, der inoffizielle Bond-Film, der 1983 fast zeitgleich mit OCTOPUSSY erschien und zu aller Erstaunen wieder mit Sean Connery aufwarten konnte, der 12 Jahre zuvor in DIAMANTENFIEBER zum letzten Mal 007 verkörpert hatte und dann bekanntgab, er würde den Geheimagenten nie wieder spielen – weswegen er dann von Roger Moore abgelöst wurde. SAG NIEMALS NIE (im Original: NEVER SAY NEVER AGAIN; beides natürlich rein auf Connerys Rückkehr bezogen) entstand dank eines Rechtsstreits zwischen Ian Fleming und Kevin McClory, der eher kompliziert ist, aber darin resultierte, daß McClory Rechte an THUNDERBALL (FEUERBALL) behielt und ein Remake des Films produzieren konnte, ohne dabei mit Eon, die die Rechte an den Bond-Filmen besitzen, zusammenarbeiten zu müssen.

All das wußte ich damals natürlich nicht. Ich habe den Film fast zufällig gesehen, weil ihn sich meine Eltern am Abend im Fernsehen angeschaut haben. Ich wußte nicht, wer James Bond war, oder Sean Connery. Ich war vielleicht 7 oder 8. Und natürlich fand ich dieses Abenteuer, das da lief, immens spannend – nur schickten mich meine Eltern bei der Sequenz, wo Bond mit Fatima Blush taucht und dann von einer Gruppe von Haien angegriffen und verfolgt wird, gnadenlos ins Bett. Ich bin mir nicht sicher, ob es nur an der Uhrzeit lag, oder daran, daß sie den Streifen ungeeignet für mich hielten.

Allerdings haben sich meine Eltern den Film auf Video aufgezeichnet – und natürlich habe ich am nächsten Tag nicht lange gebraucht, um auszuknobeln, wie dieser Videorekorder funktioniert und wie ich den Film nun doch sehen könnte. Wenig später habe ich natürlich auch die anderen Bond-Filme in der kleinen Videosammlung meines Vaters entdeckt – DR. NO, LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU, GOLDFINGER, FEUERBALL und MAN LEBT NUR ZWEIMAL – und alle so oft geschaut, bis ich sie auswendig konnte. (In der Sammlung waren auch andere prägende Filme meiner Kindheit: Zum Beispiel EIN AUSGEKOCHTES SCHLITZOHR. Andere, wie zum Beispiel PICKNICK oder DAS FALSCHE GEWICHT, habe ich nie angerührt. Kein Wunder also, daß kein Kunstfilmer aus mir geworden ist.)

Weil SAG NIEMALS NIE kein offizieller Bond-Film ist, wurde er bislang auch immer sehr stiefmütterlich behandelt. Die DVD, die ich vor einiger Zeit für schlappe 4,99 erworben habe, beinhaltet gerade mal einen Trailer – ziemlich erstaunlich, wo doch die „richtigen“ Bond-Filme wieder und wieder neu aufgelegt werden, mit noch mehr Bonusmaterial und Audiokommentaren und neu gemastertem Bild und wasweißichnochalles. Mittlerweile gibt es in Amerika eine Blu-Ray-Version, die etwas Bonusmaterial beinhaltet – und das gehört, laut eines Reviews, offenbar zum negativsten Behind-the-Scenes-Material, das je produziert wurde. Scheinbar geht es sehr viel um Schwierigkeiten bei der Produktion, Probleme mit Darstellern, andere Streitigkeiten. Besonders Regisseur Irvin Kershner scheint ständig am Pulvern zu sein.

Unnötig zu erwähnen, daß ich den Film sehr liebe. Ich kenne jeden einzelnen Frame darin. Ich weiß, daß Barbara Carrera in einer Szene kurz erschreckt zurückzuckt, als sie ein Auto per Fernsteuerung explodieren läßt – ganz offensichtlich eine echte Reaktion. Ich kann die Gesten von Klaus Maria Brandauer auswendig, zum Beispiel in der Szene, als seine Geliebte Kim Basinger ihn fragt, was wäre, wenn sie ihn verläßt: Er bewegt die flache Hand kurz an der Kehle entlang und macht dann einen erhobenen Zeigefinger daraus. Ich habe den Film wohl das letzte Mal als Teenager gesehen, aber trotzdem ist jede Szene und jeder Ton darin sehr angenehm vertrautes Terrain.

Was mir jetzt viel stärker auffällt: Wie wenig ernst der Film doch eigentlich ist. Seit den Roger-Moore-Filmen wurde die Bond-Serie ja immer abgedrehter und witziger; MOONRAKER ist letzten Endes schon eine Parodie auf die anderen Bond-Filme. Natürlich fand ich auch SAG NIEMALS NIE früher immer vergnüglich, habe über den herumstolpernden jungen Agenten gelacht, der Bond in Nassau zur Seite gestellt wird (und von dem ich sehr sehr viel später gemerkt habe, daß er von Rowan Atkinson gespielt wird), habe die witzigen Einlagen im Kampf gegen den Killer im Sanatorium (Pat Roach, der Indiana Jones in den ersten beiden Filmen zugesetzt hat!) genossen. Aber damals habe ich die Handlung an sich noch sehr viel „straighter“ wahrgenommen.

Ich will den Film nicht mit BATMAN HÄLT DIE WELT IN ATEM vergleichen, den ich ja auch als Kind lustig und doch sehr spannend fand – und dabei nicht verstanden habe, warum meine Eltern den überhaupt nicht so aufregend fanden – SAG NIEMALS NIE ist eben einfach eine Actionkomödie, die absolut spannend ist, nur eben mit Augenzwinkern erzählt. Da werden also Atomraketen geklaut, indem Testraketen gegen echte ausgetauscht werden – was nur vom Präsidenten selbst autorisiert werden kann, der sich dafür vom Computer das Auge scannen läßt. Ergo schnappt sich die böse Verbrecherbande einen Mann, dessen Auge so operiert wird, daß es mit dem Präsidentenauge identisch ist. Während die Raketen ausgetauscht werden, erklärt eine freundliche Computerstimme, daß die Testraketen jetzt mit Atomsprengköpfen versehen sind und wünscht noch einen schönen Tag. Letzteres ist mir früher nie witzig vorgekommen. Meine Güte, der C64 blieb ja auch bei allen Lesefehlern und Problemen immer freundlich und schreib: „Ready“!

Ebenso lustig sind Bonds Gespräche mit M, der hier wie ein strenger Direktor einen Schuljungen zurechtweist. Nach dem Kampf im Sanatorium muß sich Bond schwere Vorwürfe über die entstandenen Schäden anhören und weist dann sachlich darauf hin, daß immerhin jemand versucht hat, ihn umzubringen. Aber M will nichts davon wissen: Er tippt auf einen gehörnten Ehemann, der Bond ans Leder wollte. Na klar, das war schon früher lustig – aber die Absurdität der Szene, wie sich Bond wie ein ungezogener Junge für sein rüpelhaftes Benehmen rechtfertigen muß, und es dem Chef offenbar höchst tadelnswert vorkommt, daß einer seiner Agenten tatsächlich angegriffen wird, sticht mir natürlich heute noch viel mehr ins Auge. Sehr schön dann auch der Moment, wo M rätselt, wie die Raketen ausgetauscht werden konnten, und Bond meint: „Vielleicht haben sie ein falsches Auge verwendet“ – woraufhin ihn sein Chef mit einem genervten „Jetzt seien Sie doch einmal ernst, Bond. Suchen wir doch lieber nach einer logischen Erklärung“ abkanzelt.

Schön auch der Einfluß vom Achtziger-Zeitgeist: Die Flugbahn der Raketen wird mit einer, ähem, hochmodernen, ruckelnden Vektorgraphik verfolgt, die Lust auf C64-Spiele macht. Später bekämpfen sich Largo und Bond sogar mit einer Art Videospiel, wo die beiden mit zwei Joysticks, die unter Strom stehen, um den Besitz von Ländern kämpfen. Und Kim Basinger und ein anonymer Tanzlehrer sind in einer Art Aerobic-Fitness-Ballettstunden-Tanz bei funkig ploppendem Bass zu sehen.

Auf jeden Fall ein schönerer Bond-Film als so mancher Roger-Moore-Streifen und die meisten Dalton- und Brosnan-Bonds. Brandauer und Connery tragen die Show mit Leichtigkeit. Und sexy Carrera ist ein verdammt fieses Bondgirl, die in fantastischen Kostümen durch die Sets stolziert und so böse ist, daß sie irgendwann nur noch vergnügt lacht. SAG NIEMALS NIE ist immer noch ein gelungener Zusatz zur offiziellen Bond-Reihe.



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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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