KISS ME LIKE A STRANGER – MY SEARCH FOR LOVE AND ART: Die Memoiren von Gene Wilder

Buch / Uncategorized / 25. Januar 2013

Ich weiß nicht genau, wann ich Gene Wilder für mich entdeckt habe, aber es muß schon recht früh gewesen sein: Schon als Kind liebte ich seinen Film TRANS-AMERIKA-EXPRESS – damals vor allem natürlich wegen dem spektakulären Finale – und ganz besonders auch seine Fremdgeh-Komödie DIE FRAU IN ROT, die ich zigfach gesehen habe, obwohl ich damals noch gar nicht wirklich verstand, worum es da überhaupt geht. Als Teenager habe ich dann jeden Wilder-Film gesehen, der mir in die Finger kam – seine Meisterstreiche mit Mel Brooks, seine eigenen Regiearbeiten (darunter der brillante und hochgradig alberne SHERLOCK HOLMES‘ CLEVERER BRUDER), seine wunderbare Westernkomödie EIN RABBI IM WILDEN WESTEN, und auch seine weniger grandiosen Werke wie KEIN BABY AN BORD oder DAS ANDERE ICH. Ich war fasziniert von diesem Schauspieler, der nebenher auch noch schrieb und Regie führte – von seinem schrägen, merkwürdigen Sinn für Humor, von seinem verträumten Blick, von seinen unglaublich komischen hysterischen Anfällen, die er den meisten seiner Figuren gibt. Und vor allem von dem Sentimentalen, das er ausstrahlt, und von der gewissen Melancholie, die so oft unter seinem Wahnwitz zu sehen ist.

Kein Wunder also, daß ich Genes Memoiren innerhalb kürzester Zeit durchgelesen habe – wobei das Buch, das er 2005 unter dem Titel KISS ME LIKE A STRANGER veröffentlichte, so oder so kein ausuferndes Schwergewicht ist: Auf 250 Seiten erzählt Gene von seiner Kindheit, von den Filmen, die er gedreht hat und von seinem Privatleben – vor allem von den Beziehungen zu den verschiedenen Frauen, mit denen er zusammen war. Ganz am Ende gibt er zu, daß der Arbeitstitel des Buches I LEAN TOWARDS WOMEN lautete, der ihm aber dann doch nicht gefiel: „A terrible title, I think now: sounds like the story of a man whose right leg is shorter than his left“.

Zusammengehalten werden diese oft sehr anekdotenhaften Erzählungen und die teilweise nur kurz angerissenen Erinnerungen durch einen interessanten narrativen Kniff: Das Buch ist aufgezogen, als würde Gene mit seiner Therapeutin reden. Das gibt ihm einerseits Gelegenheit, aus der Distanz zu reflektieren, warum er sich zu gewissen Gelegenheiten auf eine bestimmte Art verhalten hat, und erlaubt ihm andererseits, sich selbstkritisch zu betrachten: In gelegentlichen Einschüben kann seine Therapeutin ihn immer wieder durch Fragestellungen und teilweise sehr direkte Hinweise zu verblüffenden Erkenntnissen über sich selbst bringen. Überhaupt ist diese Therapeutin – ob sie nun real existiert, wie oft genug angedeutet wird, oder nur als erzählerisches Hilfsmittel dient – eine spannende Figur: Sie weist ihn stets darauf hin, wenn er vermeintliche Gründe für sein Verhalten vorschiebt, um vom tatsächlichen Grund abzulenken – und sie begeht an einer Stelle auch einen interessanten Fehler, über den sie dann offen mit Gene redet.

Wer nach möglichst viel Hintergrundinformationen zu Wilders Filmen sucht, ist bei KISS ME LIKE A STRANGER allerdings an der falschen Adresse. Üblicherweise erzählt Gene nur eine Handvoll Geschichten zu den Dreharbeiten – wie Richard Pryor und er eine Szene für TRANS-AMERIKA-EXPRESS überarbeitet haben, oder wie Mel Brooks ihn für BLAZING SADDLES zunächst als Bösewicht Hedley Lamarr besetzen wollte. Manche Filme werden blitzschnell abgehakt – die Infos zu WAS SIE SCHON IMMER ÜBER SEX WISSEN WOLLTEN nehmen eine halbe Seite in Anspruch; DIE FRAU IN ROT wird nur einmal erwähnt – und manche tauchen erst gar nicht auf (darunter KEIN BABY AN BORD und DAS ANDERE ICH). Als Fan saugt man diese Anekdoten natürlich auf und sehnt sich nach mehr – aber es ist offensichtlich, daß Gene diese Details gar nicht so wichtig sind, sondern die Filme eigentlich eher als Markierungspunkte in seinem Leben fungieren.

Viel wichtiger sind ihm nämlich die Beziehungen in seinem Leben, über die er mit sehr sympathischer Ehrlichkeit berichtet. In seine ersten beiden Ehen ist er eigentlich eher aus einem Schuld- oder Pflichtgefühl heraus gegangen: In die erste, weil er es für „das Richtige“ hielt – obwohl er die Frau gar nicht liebte – und in die zweite, weil ihn die Tochter seiner Freundin schon „Daddy“ nannte. Auch über seine Ehe zur Komikerin Gilda Radner, die er beim Dreh zu HANKY PANKY kennenlernte und die dann 1989 an Krebs starb, spricht er sehr offen: „We didn’t get along well, and that’s a fact. We just loved each other, and that’s a fact“. Bemerkenswert ist, wie er gleichzeitig sehr offen spricht und auch wenig beschönigt, aber gleichzeitig nie verbittert oder schmerzerfüllt wirkt. Er scheint absolut mit sich im Reinen zu sein.

Der Untertitel des Buches – „My Search for Love and Art“ – ist damit also geklärt, aber was ist mit dem Titel? Auch dieses Geheimnis lüftet er zum Schluß: Gilda Radner nannte ihm den Titel kurz vor ihrem Tod, aber sie wußte nicht, wofür er ihn verwenden könnte. Und beim Schreiben der Memoiren erinnerte er sich an einen Moment, wo er sich mit Radner darüber gestritten hat, daß sie zu jedem Fremden freundlich und liebevoll ist, aber an ihm alle Launen ausläßt – weswegen er sie gebeten hat: „All I want is for you to treat me the way you would a stranger“.

Mehr über Gene Wilders Filme und Bücher auf Wilsons Dachboden:
CHARLIE UND DIE SCHOKOLADENFABRIK (1971)
ZWEI WAHNSINNIG STARKE TYPEN (1980)
ZWEI WAHNSINNIG STARKE TYPEN – Soundtrack
DER GEISTERFLIEGER HANKY PANKY (1982)
DIE GLÜCKSJÄGER (1989)
DAS ANDERE ICH (1991)
MY FRENCH WHORE – A LOVE STORY (2007)






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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