[Film] Das andere Ich (1991)

Uncategorized / 26. Dezember 2012

Der Betrüger und Kleinganove Eddie Dash muß im Zuge seiner Bewährungsstrafe Sozialarbeit leisten: Er soll auf den pathologischen Lügner George aufpassen, der nach drei Jahren in einem Sanatorium nun wieder ins normale Leben zurückkehren will. Dann wird George aber mit dem Millionär Abe Fielding verwechselt, was Eddie schamlos ausnützt, um an etwas Geld zu kommen – bis sich dann herausstellt, daß rund um Fielding ein viel aufwendigerer Betrug gestrickt werden soll …

DAS ANDERE ICH (im Original: ANOTHER YOU) ist aus mehrerlei Gründen ein Film, der traurig stimmt – obwohl er als Komödie konzipiert ist. Der Streifen ist die vierte Zusammenarbeit der Komiker Gene Wilder und Richard Pryor, und es sollte ihre letzte bleiben – Pryor war schon zu sehr von Multipler Sklerose gezeichnet, Wilder zog sich aus dem Kino ins Fernsehen und danach komplett aus dem Showgeschäft zurück, und das Vermächtnis dieser beiden beliebten Darsteller mag alles sein, aber ein gelungener Film ist es wahrlich nicht.

Schon die Entstehungsgeschichte zeigt, daß ANOTHER YOU mit Problemen zu kämpfen hat: Der ursprüngliche Regisseur des Projekts war Peter Bogdanovich, der nach sechs Wochen Dreh in New York gefeuert und gegen den fast unbekannten Maurice Phillips (NUR ÜBER DEINE LEICHE) ausgetauscht wurde. Bogdanovichs Material wurde komplett verworfen, der Film nach Los Angeles verlegt und ganz neu gedreht. Man mag darüber spekulieren, wie die ursprünglich gedrehten Szenen aussahen – aber es ist schwer vorstellbar, daß sie tatsächlich unbrauchbar gewesen sein sollen. Der Verdacht liegt wohl näher, daß Autor und Produzent Ziggy Steinberg mit dem Tonfall nicht einverstanden war und deswegen intervenierte.

In ihren drei vorigen Filmen schafften es Wilder und Pryor stets mit Spielfreude und Hingabe, Skriptschwächen und Unebenheiten auszubügeln und damit selbst müde Plots wie jenen von DIE GLÜCKSJÄGER sehenswert zu machen. Zumindest Gene Wilder ist auch hier mit mehr Eifer bei der Sache, als es das Material eigentlich verdient: Er wirft sich mit Elan in die Rolle des krankhaften Lügners, der einerseits lautstark dramatische Geschichten im Sekundentakt erfindet und andererseits wie ein ängstliches kleines Kind von der Welt überfordert ist. Und immer noch ist Wilder konkurrenzlos darin, in einem Moment überdreht über den Bildschirm zu wirbeln und im nächsten so verträumt und verloren auszusehen, daß einem die Tränen kommen.

Richard Pryor würde sich wahrscheinlich gerne mit ebensoviel Verve beteiligen – aber es ist ihm hier schon überdeutlich anzusehen, daß seine Krankheit zum Drehzeitpunkt zu weit fortgeschritten war. Er sieht hager aus, bewegt sich steif und kantig, und er hat auch nicht mehr sein vollstes Reaktionsvermögen – was für eine Komödie natürlich tödlich ist, wo so viel vom richtigen Timing abhängt. Es macht einen sehr traurig, dem einst so vitalen Mann dabei zuzusehen, wie er sich hier abplagt. Natürlich hat Pryor genug Talent, daß hier und da etwas davon durchblitzt und daß seine Figur trotz all ihrer unverschämten Betrügereien einem sympathisch wird – aber wenn man sich als Zuseher mehr auf die Krankheit des Darstellers konzentriert als auf seine Figur, dann ist das dem Spaß wenig zuträglich.

Weitestgehend versenkt wird ANOTHER YOU dann aber doch vom Skript und von der Inszenierung. Mal wieder darf eine hanebüchene, aber potentiell witzige Prämisse in einen endlos müden Plot münden, der kaum von der Stelle zu kommen scheint – und dann gleich zwei Szenen einwirft (eine in der Mitte, die andere am Ende), die brav dem Zuseher alles erläutern, was hier eigentlich passiert. Der Aufhänger mit der Verwechslung ist so alt wie die Zeit und wäre bei geschicktem Handwerk immer wieder für Lacher gut – aber hier wird der Witz mitunter fast vergessen und stattdessen eine unentschlossene Gratwanderung zwischen lautem Chaos, angedeutetem Pathos und mühsam ausgewalztem Krimiplot hinlegt. Die wenigen Lacher des Films stammen jedenfalls von Wilder und Pryor, die aber mit allem Einfallsreichtum dieses bleiern inszenierte Geschichtchen auch nicht mehr stemmen können. Wie orientierungslos der Regisseur hier agiert, zeigt sich schon nah am Anfang, wo George von seiner Therapiegruppe verabschiedet wird – aber anstatt hier seine Figur emotional zu verankern und aufzusetzen, was für ihn auf dem Spiel steht, wenn er in der richtigen Welt die Wahrheit sagen muß, gibt sich die Szene nur diversen platten Albernheiten hin.

Immerhin: Ein paar heitere Momente sind dann doch zu finden. Manche Details sind schön: Im Sanatorium läuft ein älterer Herr im Bademantel mit dem Hollywood-Branchenblatt VARIETY über den Rasen und murmelt in permanenter Wiederholung: „But the dailies were great!“. Großartig ist eine eingestreute Sequenz, in der Pryor von einer Band als Saxophonist auf die Bühne gebeten wird – der Bandleader (Police-Gitarrist Andy Summers!) hat ihn auf der Straße spielen sehen, aber wir wissen, daß die Musik nur vom Band kam. Pryors grausames Gequietsche und seine abschließende Anweisung an die Band sind wundervoll – und freilich ist es bezeichnend, daß einer der besten Gags des Films (ebenso wie die ganze Szene) rein gar nichts mit der Handlung zu tun hat. Amüsant ist auch ein Dinner, bei dem Gene Wilder aufregende Geschichten zum Besten gibt und dabei immer wieder einen der Zuhörer in plötzlichen Wutausbrüchen zurechtweist.

ANOTHER YOU ist also in vielerlei Hinsicht ein Abschied. Es ist Gene Wilders letzter Kinofilm. Es ist Richard Pryors letzte Hauptrolle – er tauchte in kleinen Rollen noch hier und da auf, beispielsweise als Mechaniker (im Rollstuhl!) in LOST HIGHWAY. Und es ist ein Abschied von der Partnerschaft zwischen den beiden, die zwar privat nie befreundet waren, aber auf der Leinwand so gut zusammen funktionierten. Und das wirklich Traurige an ANOTHER YOU ist nicht die Tatsache, daß es ein Abschied ist – sondern daß er so mißglückt ist.

Mehr über Gene Wilders Filme und Bücher auf Wilsons Dachboden:
CHARLIE UND DIE SCHOKOLADENFABRIK (1971)
ZWEI WAHNSINNIG STARKE TYPEN (1980)
ZWEI WAHNSINNIG STARKE TYPEN – Soundtrack
DER GEISTERFLIEGER HANKY PANKY (1982)
DIE GLÜCKSJÄGER (1989)
KISS ME LIKE A STRANGER – MY SEARCH FOR LOVE AND ART (2005) MY FRENCH WHORE – A LOVE STORY (2007)



Das andere Ich (USA 1991)
Originaltitel: Another You
Regie: Maurice Phillips
Buch: Ziggy Steinberg
Darsteller: Richard Pryor, Gene Wilder, Mercedes Ruehl, Stephen Lang, Vanessa Williams, Peter Michael Goetz, Kevin Pollak, Michael J. Pollard, Vincent Schiavelli, Andy Summers

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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