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CATCH ME IF YOU CAN: Ein Hochstapler und das Abenteuer seines Lebens

Die Geschichte ist schon lange Hollywood-Folklore: Mit einer immensen Portion Chuzpe bewaffnet bezieht der junge Steven Spielberg auf dem Gelände der Universal-Studios ein leeres Büro, läßt seinen Namen an der Tür anbringen und arbeitet dort wochen-, wenn nicht gar monatelang, ohne aufzufliegen. Ein Filmverrückter schleust sich schlitzohrig selber ins System ein und wird dafür mit dem Abenteuer seines Lebens belohnt: Die Story ist dieses talentierten Geschichtenerzählers würdig. (Georg Sesslen merkt in seinem Buch STEVEN SPIELBERG UND SEINE FILME trocken an: „Sagen wir es freundlich: Der Wahrheitsgehalt dieser Erzählungen ist nicht über alle Zweifel erhaben.“)

Bei einer solchen, wie man es im Comic-Universum ausdrücken würde, eigenen Origin-Story ist es kein Wunder, daß Spielberg sich zu der wahren Geschichte von Frank Abagnale, Jr. hingezogen fühlt. Dieser Mann zählt zu den raffiniertesten Gaunern Amerikas: Mit gefälschten Schecks besorgte er sich mehrere Millionen Dollar, er trat überzeugend als Pilot auf, als Arzt und als Anwalt – und das alles, bevor er 21 wurde. Letztlich wurde Abagnale aber doch vom FBI geschnappt – und arbeitete nach seiner Haftstrafe aufgrund seiner Fähigkeiten mit seinem Verfolger zusammen, um andere Scheckbetrüger zu schnappen.

FBI-Agent Carl Hanratty (Tom Hanks, hinten) ist Frank Abagnale, Jr. stets auf den Fersen.

Es mag daran liegen, daß Spielberg sich mit dem jugendlichen Schwindler identifiziert, daß CATCH ME IF YOU CAN als leichtfüßiges Katz-und-Maus-Spiel funktioniert, bei dem wir stets auf der Seite des Betrügers sind. Bereitwillig lassen wir uns wie der Film von seinem mühelosen Charme einwickeln, können vergnügt daran teilhaben, wie sich Abagnale beständig neu erfindet, und dabei einen immensen Respekt vor seinem Einfallsreichtum und seiner Geschicklichkeit entwickeln. Es ist eine zu schöne Phantasie: Manchmal möchte man sich eben, nur mit dem richtigen Auftreten ausgestattet, Zugang zu sonst verschlossenen Welten verschaffen. Frank Abagnale beherrscht dieses Spiel – nach ein paar frühen Anläufen – im Schlaf.

Freilich hilft es, daß Frank dabei nicht nur wie ein Unschuldslamm wirkt, sondern tatsächlich nie einen Masterplan verfolgt – er betrügt nicht, um anderen Menschen Schlechtes zu tun, sondern nur, um sich selber Gutes zu tun. Seine Scheckbetrügereien zielen vornehmlich auf große Firmen ab und nicht auf einzelne Personen, seine Schwindeleien geraten niemandem zum Nachteil. Anderswo funktionieren seine Hochstapeleien als Schelmenstreich: In einer amüsanten Szene liest ihn eine Edelprostituierte auf, die seine Naivität ausnutzt, um ihren Preis in die Höhe zu treiben – und dann zahlt Frank mit einem zu hoch dotierten gefälschten Scheck und läßt sich von ihr die Differenz bar ausbezahlen.

Dieses Spiel wird Eskortmädchen Cheryl Ann (Jennifer Garner) verlieren …

Wie so oft bei Spielberg wird die Geschichte von der Beziehung zwischen einem Vater und einem Sohn vorangetrieben. Frank vergöttert seinen Vater, von dem er früh lernt, die Menschen mit Charme zu becircen. Ein Naturtalent im leichten Leben ist Frank Sr. allerdings kaum: Die Steuerfahndung sitzt ihm im Nacken, die Bank gibt ihm keinen Kredit mehr, das Haus muß verkauft werden, Franks Mutter betrügt ihn und läßt sich von ihm scheiden.

In einer bewegenden Szene zwischen Vater und Sohn in einem Restaurant macht CATCH ME IF YOU CAN klar, daß sich hier zwei tragische Figuren gegenübersitzen. Fast obsessiv versucht Frank Jr. mit seinen Betrügereien, sein kindliches Zuhause wiederherzustellen: Immer wieder schwärmt er dem Vater vor, daß sich finanziell jetzt alles zum Guten wenden würde, und will ihm teuren Luxus schenken, damit der seine entfremdete Frau wieder für sich gewinnen kann. Frank Sr. definiert sich über ein überschaubares Repertoire alter triumphaler Geschichten: Zum wiederholten Mal erzählt er die Geschichte zweier Mäuse, die in einem Bottich aus Sahne landen. Eine ertrinkt, aber die andere gibt nicht auf, und durch ihr Strampeln wird die Sahne irgendwann zu Butter, so daß die Maus herausklettern kann. Und eine zweite Geschichte erzählt er: Wie er damals als Soldat das schönste Mädchen in einem französischen Dorf für sich gewinnen konnte – Franks Mutter. In der Szene kann er es nicht zu Ende erzählen, ohne zu weinen.

Nach dem GOLDFINGER-Kinobesuch läßt sich Frank wie Sean Connery ausstatten.

Tatsächlich hat Frank sogar zwei Väter: Nachdem er nach der Scheidung seiner Eltern von Zuhause weggelaufen ist, findet er in dem FBI-Agenten Carl Hanratty eine Art Ersatzvater. Zu Weihnachten ruft Frank Carl im Büro an und sagt ihm sogar, in welchem Hotel er sich gerade befindet und in welchem Zimmer – aber Carl glaubt, daß es sich um einen Trick handelt. Dennoch durchschaut er sofort, warum Frank anruft: „You didn’t have anyone else to call.“ Auf gewisse Weise ist Hanratty auch der Einzige, der Franks betrügerische Kreativität respektieren kann – und auch wenn Carls Leben beschaulich und unaufregend verläuft (in einer schön ironischen Montage sehen wir, wie sich Frank gerade mit dem Callgirl vergnügt, während Carl sich im Waschsalon langweilt), haben sie in ihrem einsamen Einzelgängertum doch auch etwas gemeinsam.

CATCH ME IF YOU CAN gehört zu Spielbergs leichtesten und amüsantesten Filmen und erzählt dabei doch eine bewegende Geschichte. Mit sichtlichem Vergnügen spielt der Regisseur mit dem farbenfrohen Flair der Sechziger und hat eine diebische Freude an den Gaunereien seines Protagonisten – vor allem, wenn der sich sein Verhalten von Film- und Fernsehvorbildern abschaut. Leonardo DiCaprio verkauft den verführerischen Charme perfekt, mit dem Frank seine Umwelt – und vor allem die vielen schönen Frauen – um den kleinen Finger wickelt. Auch Tom Hanks ist genau richtig als FBI-Agent Hanratty, der schon alleine dadurch komisch wird, daß er überhaupt keinen Sinn für leichen Humor hat. Und Christopher Walken als Frank Sr. gibt dem ernsten Unterbau der Komödie die notwendige emotionale Erdung.

Daß Frank zum Schluß noch einmal ausbrechen und sich als falscher Pilot auf die Flucht begeben möchte, ist nachvollziehbar: Gegen die Phantasie ist das echte Leben manchmal ernüchternd. Dafür hat er etwas geschafft, das dem Androidenkind David in Spielbergs A.I. – der ebenso menschliches Verhalten nachahmte, um geliebt zu werden – versagt blieb: Nach all den vorgetäuschten Identitäten ist der verlorene Junge Frank Abagnale, Jr. zu einer echten Person geworden. Das Abenteuer seines Lebens liegt noch vor ihm.

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Catch Me If You Can (USA 2002)
Regie: Steven Spielberg
Buch: Jeff Nathanson
Kamera: Janusz Kaminski
Musik: John Williams
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tom Hanks, Christopher Walken, Martin Sheen, Nathalie Baye, Amy Adams, James Brolin, Brian Howe, Jennifer Garner, Elizabeth Banks

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2003 DreamWorks L.L.C.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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