INDIANA JONES UND DAS KÖNIGREICH DES KRISTALLSCHÄDELS: Ein alter Held in einer veränderten Welt

Film / Neuer als alt / 6. Juni 2008

„Ich glaube es erst in dem Moment, in dem ich die Kinokarte in der Hand halte“, habe ich vor kurzer Zeit noch voll Überzeugung mehrfach zu Protokoll gegeben, wenn irgendwo wieder Gerüchte und angebliche Neuigkeiten zu einem vierten Teil der Indiana-Jones-Reihe auftauchten. Immerhin haben Steven Spielberg und Produzent George Lucas schon seit Jahren immer mal wieder über einen vierten Teil geredet, der dann wieder doch nicht gemacht werden sollte, dann wieder doch, und die Zeitspanne seit Indys letztem (!) Kreuzzug, der 1989 die Kinos füllte, wurde immer länger. Zumal ja Harrison Ford nicht jünger wurde, und zumal Teil 3 ein schöner Abschluß einer Trilogie war. Irgendwann gab es ein Skript von Frank Darabont, das Spielberg und Ford mochten, aber das von George Lucas abgelehnt wurde, und so hätte ein vermeintlicher vierter Teil die wartenden Fans noch viele Jahre bei der Stange halten können, ohne sich je zu manifestieren. Ich hatte schon lange nicht mehr daran geglaubt.

Aber plötzlich tauchen die Kinohelden der vergangenen Jahrzehnte dem Jugendwahn zum Trotz wieder im Kino auf – allesamt haben sie eigentlich das Alter überschritten, in dem man von ihnen noch temporeiche Action erwarten würde, und allesamt punkten sie gerade deshalb, weil sie zu keinem Zeitpunkt vorgeben, noch jung und unverbraucht zu sein: Sylvester Stallone erzählt eine anrührende Geschichte über das Älterwerden in ROCKY BALBOA und schickt sein faltiges Knautschgesicht in RAMBO in seine härteste Schlacht; Bruce Willis kämpft als analoger Cop in STIRB LANGSAM 4.0 mit dem so wenig greifbaren digitalen Zeitalter der Nuller Jahre – und Harrison Ford? Der fügt sich problemlos in die Reihe ein und macht mit grauen Haaren und tieferen Furchen im Gesicht immer noch eine so gute Figur wie vor 20 Jahren.

Ja, und da hielt ich nun die Kinokarte in den Händen. Wenn man einen Teil seiner Kindheit bzw. Jugend wieder besucht, besteht ja immer die Gefahr, entweder der aufgewärmten Nostalgie zum Opfer zu fallen, oder festzustellen, daß man selber schon älter geworden ist und die Erinnerungen lieber dort gelassen hätte, wo sie sich gebildet haben. Natürlich kamen gleich zum Kinostart die großen Schlagzeilen aus Cannes, wo der Film gar nicht geliebt wurde – welch Wunder, wo doch die Beliebtheit der Indy-Filme großteils völlig unabhängig vom Universum der kritischen Rezeption steht! Aber natürlich: In dem Moment, in dem das Licht im Saal ausgeht, mischt sich die Erinnerung, vor so vielen Jahren im LETZTEN KREUZZUG im Kino gesessen zu haben, und die gespannte Freude darauf, in einem erneuten Abenteuer wieder wie ein Kind staunen und mitfiebern zu können, mit einer gewissen Sorge, die sich im Hinterkopf breitmacht – was, wenn es diesmal nicht funkt? Was, wenn George Lucas wieder nicht verstanden hat, was an den eigenen Filmen so großartig war, und alles mit hohlem Spektakel zukleistert? Bitte, laß ihn gut sein!

Natürlich weiß Spielberg, wieviele Erwartungen an den Film geknüpft sind, und wie hoch dadurch die Gefahr der bodenlosen Enttäuschung ist. Und er geht die Angelegenheit sehr geschickt und ganz mühelos an, indem er sich anfangs erst einmal gar nicht sehr anstrengt – vielmehr entfaltet er ein ironisches Spiel mit der Ikonographie der Serie, das uns langsam wieder in Indys Welt zurückführt, die in unseren Köpfen so über-lebensgroß geworden ist. Der alte Paramount-Berg im Logo wird nicht wie im ersten Teil zu einem richtigen Berg im südamerikanischen Dschungel, sondern zu einem Maulwurfhügel. Dann donnert eine Autokolonne durch die Wüste, und ein Mann, den wir nicht sehen, wird vor einer großen Lagerhalle von finsteren Soldaten aus einem Kofferraum gezerrt und zu Boden geworfen. Neben ihm fällt sein Fedorahut zu Boden, den er langsam aufsetzt, nachdem er sich wieder aufgerappelt hat. Ganz klar: Ford setzt nach langer Zeit den Hut wieder auf und startet in ein neues Abenteuer. „Mit so vielen Typen sind wir doch schon früher fertiggeworden“, sagt Indys Mitgefangener. „Da waren wir jünger“, knarzt Ford aus seinem verstaubten Gesicht heraus, und er zeigt diese schiefe Andeutung eines Grinsens, in der er nur kurz einen Mundwinkel hebt, quasi als Augenzwinkern uns gegenüber: Natürlich wissen wir, daß auch ein älter gewordener Indiana Jones spielend mit einem Dutzend russischer Soldaten fertig wird.

Die Geschichte, die sich dann entspinnt, reiht sich nahtlos in die Groschenheft-Abenteuer der vorigen Teile ein, in denen in atemlosen Verfolgungsjagden sagenhafte Artefakte an exotischen Orten gesucht werden, während endlose Abgründe, Fallen, Rätsel und sinistre Schurken dem Stehauf-Archäologen zusetzen. Das war schon 1981, beim allerersten Indiana-Jones-Film, ganz in der Tradition spektakulärer Serials und Abenteuerfilme aus den Dreißigern (wer GUNGA DIN nicht gesehen hat, wird den TEMPEL DES TODES nur halb genießen können) und den phantastischen Abenteuererzählungen von Henry Rider Haggard bis zu den tausendfach publizierten Pulp Fictions. Die Zeit, die im tatsächlichen Leben zwischen Indys drittem Abenteuer und dem neuen Film verstrichen ist, ist auch im Film-Universum vergangen, weshalb Teil 4 nun in den Fünfzigern angesiedelt ist, die mit Rock’n’Roll, Kommunistenangst und Atombombentests wie eine Art Revue aus den Bildern dieser Dekade inszeniert werden. Weswegen natürlich auch keine Nazis mehr, sondern russische Soldaten als Instant-Finsterlinge fungieren, die unter Leitung von Irina Spalko (Cate Blanchett mit strenger Domina-Frisur), Leiterin des Insituts für Parapsychologische Forschung in Russland, die Roswell-Funde stehlen und hinter das Geheimnis der mysteriösen Kristallschädel zu kommen versuchen (besagte Schädel wurden in Mittel- und Südamerika gefunden und werden der Inka-, Maya- und Aztekenkultur zugeschrieben, obwohl sie nicht genau datiert werden können – einige dieser Schädel wurden mittlerweile als Fälschungen identifiziert). Indiana Jones wird eher unfreiwillig in die Geschichte hineingezogen, aber er muß auch diesmal nicht alleine kämpfen: Ein junger Halbstarker (Shia LaBeouf) begleitet ihn, der sich später bei einer Begegnung mit Indys alter Liebe Marion Ravenwood (Karen Allen, aus dem ersten Film) als sein Sohn entpuppt.

Der weitere exakte Ablauf der Geschichte ist natürlich komplett egal, weil es schlußendlich nur darum geht, wer gerade das Artefakt besitzt und wer als erster zum sagenumwobenen Tempel kommt, in dem dreizehn dieser Schädel zusammengeführt werden sollen – „ein Wettlauf gegen das Böse“, wie Henry Jones Sr. ja schon im dritten Teil so schön erläuterte, auch wenn diesmal nicht ganz klar ist, warum das Objekt so wichtig ist und niemals den Russen in die Hände fallen darf – obwohl es ja irgendwie einleuchtend erscheint, daß 1957 schlichtweg nichts den Russen in die Hände fallen darf. Obwohl die Kristallschädel nicht so stark als MacGuffin funktionieren wie die Bundeslade oder der heilige Gral – gerade zu letzterem war ja wenig Erläuterung nötig – ist es durchaus reizvoll, wie Spielberg und Lucas auch hier wieder Legende, Phantasie und ein paar geschichtliche Fakten vermengen: In der Tat gab es parapsychologische Forschungen in Russland (wie ja auch die Nazis tatsächlich nach okkulten Gegenständen suchten) – wahrscheinlich, weil man lieber kurzfristig als leichtgläubig dastehen wollte als langfristig als Verlierer – und in der Tat ranken sich einige Legenden um die Kristallschädel. Alles andere ist natürlich Schall und Rauch und Phantastik und wird nur von übereifrigen und freudlosen Historikern mit einer dokumentarischen Auseinandersetzung mit den Wundern dieser Welt verwechselt.

Na gut, dann hätten wir das Gerüst ja mal abgefrühstückt – kümmern wir uns also um die weitaus wichtigere Fragen: Zündet der Film? Ist er aufregend? Spannend? Humorvoll? Wie schlägt sich Ford? Wie ist die Dynamik zwischen ihm und Shia LaBeouf, seinem Sohn? Funktioniert das Wiedersehen mit Marion? Können wir staunen, lachen, mitfiebern? Mal ganz gerade heraus gefragt – is it fun? Also: mitreißender, wunderbarer, magischer fun?

Ja. Auf alles. In jeder Hinsicht. Spielberg (der den Film zusammen mit seinem Kameramann Janusz Kaminski ganz altmodisch im Stil der Trilogie realisierte) inszeniert mit lässiger Hand, führt uns wieder an sagenhafte Orte, die wir zusammen mit den Figuren entdecken können, und feuert ein grandioses Spektakel nach dem anderen ab. Eine der besten Sequenzen des Films ist eine Autoverfolgungsjagd durch den Regenwald, in der Shia LaBeouf und Cate Blanchett auf zwei parallel fahrenden Jeeps die Klingen kreuzen, während Indy im Kampf um den Kristallschädel von einem Auto ins andere und zurück springt und seinen Wagen geschätzte zweieinhalb Millimeter neben eher Steilklippe balanciert. Ford macht, wie schon eingangs festgestellt, eine gute Figur, und sein Schauspiel ist einer der Gründe, warum Indiana Jones so gut funktioniert: Er ist immer nur widerwillig der Held, kämpft immer genervt seufzend, und zwischen seinen staubtrockenen Meldungen ringt er sich beinahe mit Kraftaufwand den schiefen Mundwinkel ab. Blanchett hat sichtlichen Spaß als nimmermüde Kampfmaschine (und läßt nur gelegentlich ihren russischen Akzent schlingern, zum Beispiel mit ein paar perfekten th-s), Shia LaBeouf zeigt gute Präsenz, und Karen Allen ist so sympathisch und resolut wie vor, jawoll, 27 Jahren.

INDIANA JONES UND DAS KÖNIGREICH DES KRISTALLSCHÄDELS macht Spaß. Sehr viel Spaß. So einfach ist es. Und er fügt sich hervorragend in die Serie ein: Natürlich gibt es übertriebene Momente und alberne Witze, aber wer irgendetwas an diesem Film unglaubwürdig und überdreht findet, hat schon lange nicht mehr gesehen, wie Indy mit einem Schlauchboot aus einem fliegenden Flugzeug springt (Teil 2), wie er sich von einem die Klippe herabstürzenden Panzer über einen dürren Strauch nach oben hangelt (Teil 3), oder wie er an ein Periskop geklammert eine U-Boot-Fahrt mitmacht (Teil 1): Das Übertriebene ist quintessentieller Teil der Serie (und natürlich sämtlicher Abenteuergeschichten-Vorbilder) und wird trotzdem durch Fords nüchternes Spiel immer geerdet.

Und Spielberg selbst hat sichtliches Vergnügen am Spielerischen und läßt dem jungen Kinoliebhaber in sich freien Lauf: Shia LaBeouf tritt in den Film wie einst Marlon Brando in THE WILD ONE. Überall sind Verbeugungen vor den ersten drei Teilen – in den Bildern, in der Musik. Ob er viele Frauen nach ihr hatte, will Marion von Indy wissen. „Ein paar“, grummelt er, „aber sie hatten alle ein Problem.“ Dann macht er sich bereit, ein Heer von Russen zu erledigen und fügt noch erklärend hinzu: „They weren’t you“ – einer von vielen Momenten, in denen das Geschehen auf der Leinwand das Gefühl des Zusehers und des Fans einbezieht, der ja nie im Leben die kreischende Willie Scott oder die verräterische Elsa Schneider bevorzugen würde. Für Spezialisten gibt es eine Sequenz, die aus einer frühen Version des ZURÜCK-IN-DIE-ZUKUNFT-Skripts abgewandelt wurde. Ganz zum Schluß will Shia LaBeouf den Fedorahut aufsetzen, aber Indy nimmt ihn ihm weg: Noch setzt sich Harrison Ford nicht zur Ruhe. Und ein bißchen Raum für den jetzigen Spielberg findet sich auch – in der Klage, daß das Land wegen McCarthys Hetzjagd nicht mehr dasselbe ist (in vielen seiner jüngeren Filme kommentiert Spielberg die aktuelle Entwicklung in Amerika), oder in der wehmütigen Beobachtung, daß es einen Punkt gibt, wo das Leben aufhört, einem Dinge zu geben, und dafür anfängt, sie einem wegzunehmen.

Freilich werden viele Kinogänger sagen, daß Teil 4 nicht so gut ist wie die ersten drei, wie ja auch Blicke in Online-Foren bestätigen: Wieder aufgewärmt, schlecht geschrieben, nicht dieselbe alte Magie, die üblichen Beschwerden eben. Die Wahrheit ist natürlich die, daß sich nicht der jetzige Film von den früheren so sehr unterscheidt – sondern das jetzige wir vom früheren. Für die meisten von uns repräsentieren die ersten drei Filme eine andere Zeit in unserem Leben – eine unbeschwertere Jugend, in der viele Alltags- und Karrieresorgen noch nicht existierten, und in der wir problemlos über lange Zeit in eine andere Welt eintauchen konnten, die wir bei allem Spaß und aller Freude sehr ernst genommen haben: Mit 11 Jahren ist Indys phantasische Welt doch so viel lebendiger und echter als die eigene. Heute sind wir älter, abgeklärter, haben weniger Zeit und Sinn, uns in Geschichten hinein zu fanateln, wir haben Berufe, Karrieren, Steuererklärungen und eine Miete zu zahlen. Deswegen betrachten wir auch vieles anders: Natürlich fühlt sich wenig so unbeschwert an wie früher. Das Geheimnis vom KÖNIGREICH DES KRISTALLSCHÄDELS? Wenn wir uns auf den Film einlassen und den abgeklärten Teil von uns abschalten, dann können wir wieder 11 Jahre alt sein. Zumindest für die Zeit von zwei Stunden.

 

 

Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels (USA 2008)
Originaltitel: Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull
Regie: Steven Spielberg
Drehbuch: David Koepp, George Lucas, Jeff Nathanson
Kamera: Janusz Kaminski
Musik: John Williams
Produktion: Lucasfilm / Paramount
Darsteller: Harrison Ford, Shia LaBeouf, Karen Allen, Cate Blanchett, Ray Winstone, Jim Broadbent
Länge: 122 Minuten
FSK: 12






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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