Ein älterer Herr in Schwarz betritt mit tänzelnd federndem Gang die Bühne, begleitet von fünf weit jüngeren Mitstreitern. Er trägt eine dicke schwarze Brille, seine schlohweißen Haare sind hinten zu einem kleinen Knäuel zusammengebunden. Flugs postiert sich jeder an seinem Instrument, der Mann in Schwarz schlägt ein Riff am Keyboard an. Er ist kein Rock’n’Roll-Veteran, aber er wird gefeiert wie einer.
Eigentlich ist er hauptberuflich nicht einmal Musiker, auch wenn seine Musik immer ein essentieller Bestandteil seiner Kunst war. Er hat Schreckensvisionen von gesichtslosen Killern auf die Leinwand gebracht, vom tödlichen Nebel der Vergangenheit, von Alieninvasionen, von gewalttätigen Gangs, vom Teufel und von allzu einflußreichen Schriftstellern. Seine Helden sind wortkarge Einzelgänger, die nach ihrem eigenen Kodex leben. Er hat von Paranoia und Mißtrauen erzählt, von Isolation und dem Kampf gegen das übermächtige, archaische Böse.
Daß Regisseur John Carpenter einmal mit einer Band auf der Bühne steht und einen Streifzug durch seine vielen Filmklassiker spielt, als wäre es ein langbewährtes Greatest-Hits-Programm, hätte er sich selber wahrscheinlich auch nie träumen lassen. In seiner Jugend spielte er in einer Rockband namens Coupe de Villes zusammen mit seinen Freunden Nick Castle und Tommy Lee Wallace: „The best way to meet girls“, wie er einmal schmunzelte. Castle und Wallace waren bei vielen seiner frühen Filme involviert, zu BIG TROUBLE IN LITTLE CHINA taten sie sich nochmal mit ihm als Coupe de Villes zusammen und nahmen einen Synth-Rock-Titeltrack mit passendem Musikvideo auf. Ansonsten blieb Carpenter Studiomusiker, der für seine eigenen Filme aktiv wurde: Seine nervösen, minimalistischen Arbeiten zogen die Spannung bei HALLOWEEN und ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT an, seine Synth-Skulpturen formten die Welten von DIE KLAPPERSCHLANGE und PRINCE OF DARKNESS, seine Rock’n’Roll-Lässigkeit erdete THEY LIVE und IN THE MOUTH OF MADNESS.
Jetzt steht er also auf der Bühne der Wiener Stadthalle hinter einem Keyboard, daneben ein kleines Macbook, auf dem er die einzelnen Synth-Programmierungen wechselt. Links von ihm steht Gitarrist Daniel Davies, rechts sein Sohnemann Cody Carpenter hinter einem weiteren Keyboard. In zweiter Reihe die Rhythmussektion: Drummer Scott Seiver, Bassist John Spiker und Rhythmusgitarrist John Konesky. Wenn der Maestro kein Tasteninstrument hätte, wäre es fast eine klassische Rockband.
Carpenter eröffnet mit dem Thema zu DIE KLAPPERSCHLANGE, gefolgt vom Hauptmotiv aus ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT. Der dicke Bass lässt den Saal vibrieren, der Sound ist in den Bandarrangements dick und direkt. Der Meister hat manchmal eine Hand lässig in der Tasche, während er mit der anderen die Riffs spielt, die so simpel sind und doch so einzigartig. Dann tänzelt er ein bißchen, bewegt seinen Oberkörper im Takt der Musik, ballt die Fäuste und tut so, als würde er gleich lostanzen. Er hat offensichtlichen Spaß an der Sache. Hinter ihm laufen auf einer Videoleinwand Ausschnitte aus den Filmen, prägnante und ikonische Bilder, Stimmungsszenen und Highlights.
Dann kommen zwei Nummern von den beiden LOST-THEMES-Alben, die er 2015 und 2016 veröffentlichte: Soundtrack-Nummern ohne dazugehörigen Film. Sie sind voller arrangiert, steigern sich teils in fiebrige Intensität, aber sie klingen eindeutig nach ihm. „Vortex“, „Mystery“: Es sind Songs, die Carpenter-Welten suggerieren. In ihrem Retro-Futurismus schlagen sie die Brücke zwischen seinen alten Synthtexturen und heutiger elektronischer Musik.
So wechseln sich die alten und neuen Stücke im Programm ab, auf zwei Filmthemen folgen zwei „Lost Themes“. Im Bandarrangement tritt das Rockelement von Carpenters strengen Synth-Kompositionen noch stärker hervor: Das Bass-Ostinato von ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT klingt in E-Gitarren-Begleitung nach lässigem Rock-Riff, das Blues-Feeling von THEY LIVE könnte in einen staubigen Jam münden. Mit jedem Track wird klarer, daß Carpenters klassische Themen von diesem Ansatz geprägt sind, daß in ihren rigiden Formen der Geist der Rock-Rebellion schlummert. Wahrscheinlich versprühen sie deswegen diese herbe Coolness, die auch Carpenters Helden vom Rest der Welt absetzt.
Zwischendurch moderiert Carpenter sein Programm: Mit dramatischer Stimme liest er kurze Einführungen zu manchen Songs, als wäre er der Ansager eines Horrorspektakels, der die Schaulustigen in die richtige Spukstimmung versetzt. Ein bißchen ist die Show das ja auch: Zu THE FOG wird die Bühne eingenebelt, bis die sechs Musiker wie die sechs verfluchten Seefahrer aus dem Film darin stehen, zu THEY LIVE ziehen sich alle ihre schwarze Sonnenbrille auf, während uns die Videoleinwand einen „Obey“-Befehl zeigt. Es ist wohl gut, daß es zu ASSAULT kein Vanilleeis gibt.
Interessanterweise ist die Show keine Nostalgieveranstaltung – einerseits, weil ja auch die Neukompositionen gespielt werden, und andererseits, weil die Arrangements die Stücke verändern, sie ins Jetzt holen. Trotzdem ist der Auftritt vor allem mit seinen Videoimpressionen eine spannende Retrospektive von Carpenters Werk: Es wird einem immer wieder klar, wieviel Besonderes Carpenter uns filmisch schon angeboten hat, wie individuell sein Schaffen ist. Es zeigt sich ja schon in der Tatsache, daß es sonst wohl keinen Filmemacher gibt, der mit einer Band einen Streifzug durch sein Oeuvre präsentieren könnte.
Das Publikum feiert Carpenter für jeden Song, am Schluß gibt es Standing Ovations der gesamten Halle. Sie applaudieren nicht nur für den Auftritt, sondern für alles, was Carpenter uns in all den Jahren gegeben hat. Und irgendwann merkt man es bei dem Paket aus Snake Plissken und ASSAULT-Riff und mutierendem „Ding“ und HALLOWEEN-Piano und Kung-Fu-Spektakel und Sonnenbrillen-Blues: Natürlich ist John Carpenter ein Rock’n’Roll-Veteran.
Vielen Dank an Alexander Sobolla für die Photos.
Mehr über das Konzert auch in unserer Lichtspielplatz-Bonusfolge: HIER.
Texte über Carpenter-Scores auf Wilsons Dachboden: DARK STAR, HALLOWEEN, THE FOG, HALLOWEEN II.
Mehr über John Carpenter auch in unserem ersten Lichtspielplatz-Podcast: HIER.