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Gedanken zum Musikexpress 05/2006

1) Einem amüsanten Dossier wie „Die 50 besten Debütalben“ müssen selbstverfreilich weitaus weniger amüsante Leserbriefe folgen, in denen das Fehlen von 150 genauso besten Debütalben bemängelt wird. Wo bleibt das Debütalbum von Fisch zum Frühstück, oder das von Obsessed With Nadja? Das nächste Dossier: „Die 50 besten Debütalben, denen nie ein Zweitling folgte“.

2) Elvis Costello. Schon seit Jahren lese ich mit großem Vergnügen Interviews mit und Artikel über diesen intelligenten und interessanten Menschen, der gerne tiefstapelt und stets bescheiden bleibt. Genaugenommen lese ich diese Interviews so gerne, daß ich mir noch nie auch nur ein einziges Musikstück von Costello angehört habe, weil ich viel zu viel Angst habe, daß ich das einfach nur sterbenslangweilig finde. (Das ist äquivalent dazu, gutaussehende Frauen in der U-Bahn nicht anzusprechen, weil man höchstwahrscheinlich herausfindet, daß sie fürchterliche Stimmen haben oder nur Unsinn von sich geben.)

3) Auch interessant: Ein völlig uninteressanter Bandkollege von The Vines redet über den plötzlich entdeckten Autismus des Frontmanns. Früher haben sie ja immer nur geglaubt, der Kerl ist einfach nur so gestört, aber daß es jetzt auch schon Fachausdrücke für sowas gibt!

4) Der Musikexpress ist ja wahrscheinlich das einzige Magazin, das mehr Kolumnen als Redakteure hat. („Alles, was ich jetzt noch brauche, ist ein toter Kolumnist,“ sagt Robert Duvall in THE PAPER.) Nachdem jetzt eine ebensolche Spalte eines belanglosen Schreiberlings gestrichen wurde, sticht immer noch die bemühte Lässigkeit von Sarah Kuttner ins Auge, die so gerne witzig wäre, aber deren vermeintlicher Humor so konstruiert wirkt, daß man den Kasten gleich mit hätte entsorgen sollen.

5) Die Musik der Red Hot Chili Peppers ist mir ja in etwa so wichtig wie die Bürgermeisterwahlen in Bad Hersfeld – nämlich gar nicht – aber interessante Gesprächspartner sind sie zumindest. Ich habe zwei CDs der Gruppe, und habe mich bei keiner der beiden je dazu durchringen können, sie ein zweites Mal zu hören.

6) Wenn man sich meine gesammelten Musikzeitschriften so ansieht, wird man feststellen, daß in den meisten die CD immer noch enthalten ist, weil ich mir die Beilagen eh nie anhöre. In beispielloser Todesverachtung habe ich den diesmaligen Sampler aber sogar einmal in den CD-Player eingelegt und die Play-Taste betätigt. Schon beim dritten Indie-Schrammel-Gitarrenpop-mit-dem-gleichen-Sänger-Track flog der Silberling aber auch schon wieder heraus. Wenn ich noch drei weitere Stücke durchgehalten hätte, hätte ich zum ersten Mal in meinem Leben Elvis Costello hören können – wer weiß, wozu es gut ist.

7) Verschont mich mit diesen ganzen deutschen Bands! (Ein Statement wie dieses muß übrigens nicht begründet werden.)

8) Gut gemeint, aber wie Kraut und Rüben geschrieben: Der Massive-Attack-Rückblick ins Jahr 1990. Neneh Cherry, hier als „coolste Frau der späten 80er“ bezeichnet, schmort übrigens mittlerweile in meiner Kiste der aussortierten CDs.

9) Im Fotodossier werden wenigstens meine niederen Instinkte angesprochen. Zumindest theoretisch – wenn ich auf Frauenschlammcatchen stehen würde.

10) Es steht zwar nicht in der Rezension, aber auf dem neuen Pink-Album wurden Tracks von Josh Abraham produziert. Vermutlich sind’s nur ein oder zwei, und kaufen werd ich mir das grelle Teil trotzdem nicht – jeder hat so seine Grenzen. Pink gibt mir ja noch wesentlich weniger als die Red Hot Chili Peppers, die mir zumindest egal sind. Hallo, Bad Hersfeld?

11) Ein neues Tool-Album! Das wird gekauft. Nicht heute, eher morgen oder übermorgen oder nächstes Weihnachten. So wild nach denen bin ich ja dann auch wieder nicht.

12) Der sonst so nüchterne Musikexpress schafft es, den Rolling Stone an Pathos noch zu überbieten, wenn es um das Springsteen-Livealbum geht. „Ein Mythos, eine Sternstunde des Rock’n’Roll“ … kill your idols.

13) Warum kaufe ich mir den Musikexpress? Richtig, weil er eigentlich die entspannteste Musikzeitung mit der größten Bandbreite ist. Warum lese ich seit Monaten eigentlich kaum mehr Artikel im Musikexpress? Genau, weil mich die ganzen faden Schnarchnasen und die netten Normalos überhaupt nicht interessieren. Das bringt mich dann wieder zur ersten Frage zurück.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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