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[Artikel] Zeitungsredaktion – Ein heiteres Gesellschaftsspiel ohne Anspruch

Nicht alles, was so publiziert wird, ist auch zwangsläufig gut. Die banale Erkenntnis dieser Einleitung fand ihren Weg in diese Kolumne via der neuesten Aussendung der ÖH, einem Magazin, das Adjektive irgendwo zwischen „traurig“ und „bedenklich“ anzieht.

STRAVO heißt das Machwerk, das da gleich zweimal in meinem Briefkasten landete – wohl in der irrigen Hoffnung, ich würde die Postille aus grenzenloser Begeisterung heraus auch wiederholte Male lesen wollen. Man kann jene Funken der Inspiration noch förmlich vom Titelblatt sprühen sehen, welche dieses heiter angehauchte Amalgam aus trendig-jugendlichem Schmäh und unbeirrter Studentenpolitik fabrizierten: Die BRAVO der STRVen, sozusagen das Lifestyle-Blättchen für die engagierten Minderheiten. Nicht umsonst läßt sich aus den Titellettern auch das Wort Strafvollzug ableiten.

Bei der Lektüre jenseits des Covers entwickelt sich dann die Art von morbider Faszination, die immer wieder von groß gescheiterter Ambition ausgeht. Schon auf Seite 2 wird ein Leserbrief mit Verbesserungsvorschlägen bezüglich des Layouts abgedruckt – ungekürzt & schonungslos, aber ebenso unbeachtet von der unbarmherzigen Redaktion, die eine patzig-trotzige Antwort daruntersetzt und beteuert, sie werde weitermachen wie bisher. Der kritische Brief diente also entweder dazu, Platz zu schinden, oder aber als Angriffsfläche, an der die Redaktion ihre Erhabenheit über die unerhebliche Meinung Anderer demonstriert. Meine Wenigkeit war leider nicht persönlich anwesend, als anno Schnee von einem findigen Journalisten die Idee des Leserforums gegründet wurde, aber ich bin zuversichtlich, daß Sinn und Zweck eines solchen damals noch anders formuliert wurden.

Um die Trotzkind-Haltung zu festigen, orientiert sich das Design der – ich mag es nicht mehr Magazin nennen – Broschüre streng am Prinzip des Verkehrsunfalls. Und weil wir ja mal gelernt haben, daß Form und Inhalt eine Einheit bilden müssen, ist der Stil der Autoren ähnlich schmissig ausgerichtet. Da wird im trendigen Neudeutsch von der „nexten Zeitung“ geredet, man reflektiert über das „Gefühl des verarscht werdens“ (Gott, die Grammatik), und mein Anglistenherz wird durch die Anpreisung eines „Life Chat“ arg mitgenommen. So groß die Zahl der orthographischen Auswüchse auch ist, die Verwendung von Beistrichen verhält sich umgekehrt proportional – vermutlich ist man hier der irrigen Annahme aufgesessen, man müsse nach der Rechtschreibreform überhaupt keine Kommas mehr setzen.

Na gut, niemand ist perfekt, und vielleicht sollte sich auch der eine oder andere Autor unseres eigenen Magazins einmal gerügt fühlen. Sehen wir also davon ab, daß STRAVO mit unaufholbarem Vorsprung den Konrad-Duden-Award 2002 einheimsen würde, und wenden uns dem zu, was die Autoren eigentlich sagen möchten.

Natürlich enttäuscht das Pamphlet auch hier nicht: In naiv-aufrührerischer Geisteshaltung werden zur Abwendung der Unireform „Besetzeungen“ (sic) vorgeschlagen, bei der Büros und Hörsäle durch Studentengruppen besetzt werden sollen, die dann die anwesenden Personen festhalten und ihre Forderungen der Polizei übermitteln. Ach ja, und es wird auch vorgeschlagen, sich an einen Schreibtisch ketten zu lassen. Treuherzig (und kommalos) wird noch versichert: „Eine Anzeige wegen Sachbeschädigung kann vermieden werden wenn darauf verzichtet wird Sachen zu beschädigen“. Heilige Einfalt.

Nicht der komplette Inhalt ergeht sich in solch peinlichen Terroraufrufen, die zwischen Geiselnahme-Szenario und Greenpeace-Märtyrertum vielleicht nicht die Unireform abwenden werden, aber ein attraktives polizeiliches Führungszeugnis sichern dürften. Dennoch zeigt sich das Niveau der übrigen Beiträge ähnlich niedrig – Haltung ersetzt die Substanz, das lauthalse Schreien die sinnvolle Äußerung. Natürlich hat das auch sein Gutes: Worüber sonst würde ich mich in meiner Kolumne aufregen?

Dieser Text wurde ursprünglich in der Ausgabe Juni 2002 der Studentenzeitschrift Aktion veröffentlicht.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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