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Janet Jackson: Discipline (2008)

Ein durchweg gelungenes Album – wenn es nach der Hälfte aufhören würde.

Der Schlüsselsatz steht ganz hinten im Booklet: „Janet Jackson is a registered trademark of Janet Jackson“. Will heißen: Janet ist eine angemeldete Marke, ein Produkt, das sie selbst formt und verkauft. Daran ist freilich nichts Ehrenrühriges, weil der Pop immer Kunstfiguren schafft und diese auf einem Markt auswertet – auch wenn der Schaffende nicht immer auch die Person ist, die da zur Kunstfigur erhoben wird. Janet Jackson gehört da mit ihrer 26-jährigen Karriere zur absoluten Ausnahme, weil neben Madonna kaum eine Popsängerin so sehr ihre eigene Karriere steuert und sich mit einem ganzen Tross an Kreativschaffenden ihre Welt nach eigenem Ermessen maßschneidern läßt. Nun hat sich das Produkt Janet in den letzten Jahren leider nicht mehr gar so ungestüm verkauft: Nach dem Sündenfall beim Superbowl und der darauffolgenden Vertreibung aus dem Chart-Paradies wurde ihren letzten beiden Alben hauptsächlich mit Apathie begegnet. Um ihrer Karriere wieder auf den richtigen Weg zu verhelfen, trennte sich Janet nach langen Jahren von ihrem Label Virgin und wechselte zu Def Jam – ebenso, wie sie sich von ihren langjährigen Produktionspartnern Jimmy Jam & Terry Lewis verabschiedete.

DISCIPLINE heißt nun das neue Album – und die Verpackung ist durchaus irreführend. Auf dem Cover und im Booklet posiert Janet passend zum Albumtitel mit Lack und Leder gekleidet und mit klebrig-nassen Haaren und wirft uns herausfordernde Blicke zu. In den Songs zieht sich das Fetisch-Thema dann allerdings doch nur sparsam durch: Abgesehen von der ersten Single „Feedback“ (mit den Textzeilen „So here’s a demonstration, a peep show / Tonight, my body’s an exhibition, babe / Though it’s on display, don’t be scared to touch it“) und einem BDSM-Ausflug im Titeltrack („Babe, I need some discipline tonight / Don’t hold back / I’ve been very bad / Make me cry“) kreisen die Stücke dann doch eher bieder um die typischeren romantischen Themen: durchaus mit ein paar sexuellen Anspielungen hier und da, aber auch mit ganz viel Liebe und Seufzen.

Auch musikalisch schafft das Album nicht die volle Strecke: Die vordere Hälfte besteht hauptsächlich aus Dancetracks, darunter das schon erwähnte, von Rodney Jerkins produzierte „Feedback“, das mit minimalistischem Fiepen und vertrackten Beats auf Endlosschleife im Kopf hängen bleibt (und trotzdem in Amerika die Charts eher von außen betrachten mußte) – ebenso kühn und grandios stilisiert wie das darauffolgende „Luv“, und ebenso schneidig funktionierender Pop wie der Disco-Kracher „Rock With U“ (der trotz des Titels nichts mit Bruder Michaels gleichnamiger Hitsingle aus den späten Siebzigern zu tun hat). Diverse Produzenten treten an, darunter natürlich Janets Mann Jermaine Dupri, und alles flirrt und klirrt und glitzert und macht durchaus Spaß. Die zweite Albumhälfte allerdings besteht hauptsächlich aus Balladen, die das Tempo deutlich drosseln – und auch größtenteils musikalisch uninteressanter sind. Bei „Never Letchu Go“ gniedelt Ernest Isley eine schmierige Gitarre über steril-cleane Keyboard-Akkorde, und dauernd kommt noch eine Ballade, obwohl man sich beständig wünscht, daß mal wieder etwas passiert. Da helfen dann der durch den Reißwolf gedrehte Electro-Techno-Schnickschnack „So Much Betta“ und die leichtfüßige Zusammenarbeit mit Missy Elliott („The 1“) auch nicht mehr gar so viel.

Der beste Track des Albums ist dann ironischerweise doch eine Ballade: das verspielte „Can’t B Good“, das so gut ist, daß man es auch eine ganze Zeitlang in Dauerrotation hören kann, und das so sehr nach den Glanzzeiten von Michael Jackson klingt – inklusive Janets Stimme! – daß man unwillkürlich an die Zeit zurückdenken muß, in denen die Verschwörungstheorie umging, daß Janet und Michael in Wahrheit ein und dieselbe Person seien.

Der Luxus-Edition des Albums, im schicken silberleuchtenden Digipack, liegt übrigens eine DVD dabei, und es ist wenig erstaunlich, daß sich die Hintergrund-„Dokumentation“ mehr mit Styling und Videochoreographie beschäftigt als mit den Aufnahmen zum Album selbst: Da können alle Beteiligten noch so nette, bodenständige, und clevere Leute sein, aber wenn sie uns in ausufernder Länge etwas über das Entstehen eines Pop-Albums erzählt hätten, könnte man auch den sympathischen Mann in der McDonald’s-Küche eine Kochsendung moderieren lassen. Ergo sieht man stattdessen einer Designerarmee dabei zu, wie sie das Produkt Janet verpacken.

Janet selber bleibt übrigens auf DISCIPLINE auch im Hintergrund: Sie überläßt das Songschreiben und Produzieren – abgesehen von ein paar kleinen Zwischensprengseln – durchweg den angeheuerten Externen. Und ja, die wissen Janet eigentlich sehr ansprechend zu kleiden – wenn auch nicht auf voller Albumlänge, und auch nicht ganz in dem Stil, wie es den Fetischisten in mir dank der Aufmachung so richtig gefreut hätte. Vorne viel tease, hinten dann doch nicht ganz wie versprochen. Aber quengeln wir mal nicht – Michael würde derzeit nicht mal den tease hinkriegen.

Dieser Text erschien zuerst am 4.4.2008 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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