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Mudvayne: By the People, for the People (2007)

Mudvayne stöbern im Archiv und bringen verzichtbares Demomaterial zu Tage.

Musiker müssen einen permanenten Kampf gegen das Vergessen austragen. Genauer gesagt: Gegen das Vergessenwerden. Das war schon immer so, daß in regelmäßigen, nicht zu langen Abständen neue Musik erscheinen muß – Produktivität nach der Uhr quasi – und es kann einem heutzutage, wo Musik in Sekundenschnelle verfügbar ist, viel schnellebiger erscheinen: Rein nüchtern gesehen mag es erst ein Jahr seit dem letzten Album her sein, aber die gefühlte Zeit dehnt sich dann doch immer wieder auf ein verwundertes Von-denen-haben-wir-ja-ewig-nichts-mehr-gehört aus. Ehe man es sich versieht, ist man nicht mehr präsent in den Köpfen der Zuhörer.

Da Kreativität nun aber selten perfekt in einen Zeitplan gequetscht werden kann, überbrücken Musiker längere Wartezeiten gerne mit Krokel und Ramsch – Hauptsache, da steht eine neue CD im Regal. Ob nun Remix-CDs, Livealben, B-Seiten-Kollektionen oder Akustiksessions – irgendwie rettet man sich schon über die Zeit. Und wenn gar nichts anderes hilft, dann kann es auch eine Best-of-Compilation sein. Obwohl es ja meistens ein kleiner Zettel mit einem herzlichen „Wir sind nicht verschwunden, aber wir brauchen noch ein wenig“ es ja auch getan hätte.

So kommen wir also zu BY THE PEOPLE, FOR THE PEOPLE von Mudvayne, die 2005 ihr letztes Album LOST AND FOUND veröffentlichten und erst im kommenden Jahr wieder ins Studio gehen, um an einem Nachfolger zu arbeiten (zwischenzeitlich war die Hälfte der Band ja auch mit dem schnörkellosen Seitenprojekt Hellyeah beschäftigt). Die Idee hinter der Zusammenstellung von herumliegendem, anderweitig nicht verwertbarem Material: Die Fans durften per Website ihre Lieblingssongs wählen, die Band hat zu den meistgewählten Songs eine Compilation aus Live-Aufnahmen und Demoversionen zusammengesammelt.

Da sind natürlich zunächst mal so ziemlich alle Songs dabei, mit denen man irgendwie gerechnet hätte: Nämlich die ganzen Singles. „Dig“, „-1“ und „World So Cold“ werden in Liveversionen dargeboten, die auch schon einmal auf einem quasi offiziell abgesegneten Bootleg erschienen sind; dazu gibt es diverse Demoversionen – eine vom Erstling, vier vom zweiten Album und drei vom dritten, plus den üblichen Kladderadatsch: Eine Akustikversion von „Forget to Remember“, zwei B-Seiten, die nur bei der limitierten Auflage des Zweitwerks enthalten waren, und noch zwei neue Songs – das solide „Dull Boy“ und ein eher unaufregendes Cover von „King of Pain“ (The Police). Als nette Geste, die allerdings den Hörfluss eher trübt, spricht Frontmann Chad Gray vor jedem Song ein paar Worte – und das selten informativ.

Als Fan-CD wird diese Zusammenstellung nun also angepriesen, und in der Tat gäbe es für sonst niemanden einen triftigen Grund, sich marginal von den Originalversionen abweichende Songs in schlechterer Klangqualität und ohnehin nicht zur Veröffentlichung gedachter Demoproduktion anzuhören. Natürlich sind die Songs selber immer fesselnd: Mudvaynes komplexer Balanceakt zwischen explosiver Härte und in die Ferne strebenden Melodien, ihre instrumentale Brillanz um die Derwisch-Akrobatik des Sängers herum, die vielschichtigen Arrangements mitsamt intelligenter Überraschungen bleiben durch die Bank eine lohnenswerte Angelegenheit – die natürlich auf den drei regulären Alben viel schärfer gezeichnet und besser ausgeführt anzuhören ist als auf diesem Schubladen-Gestöbere.

Dem überaus freudigen Fan mag diese Zusammenstellung gefallen – wer einen Musiker liebt, will ohnehin jeden Schnipsel aus dem Archiv haben und hören. Aber stellen wir doch mal folgende Frage in den Raum: Wenn die Zusammenstellung wirklich als Fan-Geschenk gedacht war, warum ist sie dann nicht als Gratisdownload, Fanclub-Special oder Bonus-Beigabe zu einer regulären Veröffentlichung erschienen, anstatt zum vollen Preis im Laden zu stehen?

Dieser Text erschien zuerst am 29.11.07 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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