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P.O.D.: Greatest Hits – The Atlantic Years (2006)

Preiset die Hits!

Auch bei denen ist schon Werkschau angesagt: P.O.D. versammeln auf GREATEST HITS – THE ATLANTIC YEARS ganz viele Songs, die wahlweise große, kleine oder gar keine Hits waren.

„Pod? Wer sind denn Pod?“ will Sharon Osbourne, gestrenge Mama der Familie Ozzy, wissen und begutachtet skeptisch ein Albumcover. „Mama, die heißen P.O.D.,“ entrüstet sich Töchterchen Kelly: „Das steht für Payable On Death.“ Die Matriarchin zeigt sich unbeeindruckt: „Das macht es auch nicht besser.“

Natürlich hat die gute Sharon eigentlich gar nichts gegen die Jungs von P.O.D., buchte sie doch die Vorzeige-NuMetal-Band für Auftritte bei ihren Ozzfest-Treks 2000 und 2002. Klanglich paßte die Gruppe natürlich hervorragend ins Festivalprogramm: Harte Gitarren, intensive Liveshow, Rappen und Singen, viel Fankontakt, das ganze Paket. Vom Bulk der NuMetal-Rabauken unterschieden sich P.O.D. nicht nur durch die Tatsache, daß sie mehr oder weniger starke Reggae-Einflüsse in ihre Musik integrierten, sondern auch dadurch, daß sie als christliche Gruppe mit entsprechender Botschaft unterwegs waren. Und warum sprechen wir in der Vergangenheitsform? Weil es P.O.D. zwar noch gibt, sie aber gerade ihren Vertrag mit dem Major Atlantic aufgelöst haben, der passend zur Bescherung eine Retrospektive ihres Outputs veröffentlicht: GREATEST HITS – THE ATLANTIC YEARS.

Da müssen natürlich die ganz großen Erfolge drauf, und derer hatte die Band auch einige: „Boom“, „Alive“, „Youth of the Nation“. Viel Hymne, viel Epik, aber größtenteils ohne das zermürbende Pathos Creeds, die ja auch immer mit weit ausgebreiteten Armen die Hoffnung besangen. Auch die Mini-Hits sind drauf – „Sleeping Awake“ vom MATRIX: RELOADED-Soundtrack, „Southtown“ vom 1999’er Album THE FUNDAMENTAL ELEMENTS OF SOUTHTOWN – und für die Fanaten und Alles-haben-Müsser zwei neue Tracks, die sich klanglich präzise ins Gesamtbild einfügen. Zwei Singles fehlen: „School of Hard Knocks“ vom LITTLE NICKY-Soundtrack und „Change the World“ vom selbstbetitelten Album; dafür versammelt die Compilation einige Albumtracks, die weder große noch kleine Hits waren, aber natürlich genauso in die Zusammenstellung passen wie die anderen Songs auch.

Chronologisch wird wild gesprungen, aber weil die Geschichte aus einem Guß ist, fällt das gar nicht auf. So viel hat sich bei den Jungs ja nicht getan. Der Erstling – da hat ein noch etwas unerfahrener Howard Benson produziert – klingt noch ein wenig härter und klanglich zugepropfter, das Hitalbum SATELLITE ist am hymnischsten, aber die Skala dazwischen ist nicht unbedingt extrem breit. Für den Reggae-Kick gibt’s „Execute the Sounds“, für die Handbanger „Rock the Party“. Auch „Truly Amazing“, ein Stück vom PASSION OF THE CHRIST-Album (= auch Jesus würde NuMetal hören), ist hier zu finden.

Wenn man also nur eine P.O.D.-CD braucht, kann es gern diese hier sein. Richtig schlimm an der Zusammenstellung sind nämlich nur die Liner Notes, die den ganz schweren Religionshammer schwingen. „Gott hat Größeres mit P.O.D. vor,“ wird Frontmann Sonny hier zitiert in Antwort auf das frühe Angebot eines kleinen christlichen Labels, der Gruppe $100.000 für ein Album zu zahlen. Der Autor des Textes – ein Mensch, der auch ein Buch zum Thema FAITH, GOD & ROCK’N’ROLL in die Tasten geklopft hat – lobt die weise Voraussicht der Band, sich nicht durch das Angebot in eine religiöse Nische drängen zu lassen, ignoriert aber die Tatsache, daß P.O.D. vor ihren Atlantic-Veröffentlichungen schon CDs über das relativ unbekannte christliche Label Rescue unter das Volk brachten. Die Veröffentlichung der „Alive“-Single am 11. September 2001 wird nicht etwa als Zufall, sondern als göttliche Fügung gedeutet, weil die Zeilen „Every day is a new day / I’m thankful for every breath I take“ so zur Heilung der Nation beitragen konnten. Noch mehr prätentiöse Heißluft gefällig? Bitte schön: Wo früher Gott noch durch die Propheten zu den Menschen sprach, tut er es heute durch Songs wie „Slow Train Coming“ von Bob Dylan oder eben „Alive“. Was haben wir für ein Glück, daß Gott die Stereoanlage entdeckt hat.

Dieser Text erschien zuerst am 18.12.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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