GamesUncategorized

THE SECOND GUEST: Ein altmodisches Adventure mit Burton-Flair und Bugs

The Second Guest

Wir treten zur Verteidigung eines ungeliebten Spiels an: THE SECOND GUEST, ein hübsch altmodisches Point-and-Click-Adventure, das 2012 recht garstige Kritiken und Kommentare erntete – unter anderem aufgrund der Tatsache, daß der Spieler schon während der Installation mit verschiedenen Bugs zu kämpfen hat und das Game sich auch danach gerne mal zickig zeigt. Die Tatsache, dass man mit dem Spiel nur die ersten zwei von geplanten fünf Episoden erhält und die Geschichte daher nach einigen Spielstunden mittendrin endet, hat freilich nicht geholfen. Und doch: THE SECOND GUEST kann Adventure-Liebhabern Spaß bereiten.

Die Handlung ist im Jahr 1923 angesiedelt. Unser Protagonist Jack Ice erhält die Einladung zur Testamentseröffnung des verstorbenen Lord Averton, den er überhaupt nicht kannte – aber aus einem unerfindlichen Grund ist Jack als Haupterbe vorgesehen. Das scheint jemandem zu mißfallen: Auf der abgeschiedenen Insel, auf der Avertons Schloß steht, wird schon bald ein Mordanschlag auf Jack verübt. Außerdem segnet der Notar überraschend das Zeitliche – und so muß Jack versuchen, das Geheimnis von Averton Island zu lüften.

The Second Guest
Jack Ice geht beim Erkunden der Insel in sich.

Das Spielprinzip funktioniert ganz nach klassischem Adventure-Prinzip: Man spaziert durch die verschiedenen Örtlichkeiten, die die Insel zu bieten hat, und kann einzelne Objekte mit Icons wie „Sehen“ oder „Nehmen/Benutzen“ anklicken. Die mitgenommenen Gegenstände landen in einer Tragetasche und können in der Umgebung eingesetzt oder miteinander kombiniert werden. Bei gelegentlichen Gesprächen mit anderen Figuren, darunter die restliche Verwandtschaft von Lord Averton und ein ermittelnder Inspektor, können Dialogzeilen ausgewählt werden – obwohl die Selektion meist beschränkt ist und man ohnehin alle Fragestellungen durchklickt.

In Sachen Stimmung ist THE SECOND GUEST vollauf gelungen: Die Grafik wirkt, als hätte Tim Burton die Zwanziger als Gothic-Comic gestaltet, die düstere Atmosphäre wird von Luigi-Maria Rapisardas dichtem Score (der übrigens auch in CD-Form beiliegt) perfekt untermalt. Die Animationen sind teils ein wenig dürftig, aber das paßt zum Retro-Charme eines Spiels, das so klassische Vorbilder hat. Zur Präsentation passen auch die professionellen Sprecher: Jack wird schwermütig von Johnny-Depp-Synchronsprecher David Nathan gesprochen, der Kommissar von „Justus Jonas“ Oliver Rohrbeck, und hinter dem Erzähler verbirgt sich „Jan Tenner“ Lutz Riedel.

The Second Guest
Der Inspektor wird sehr lange in der Bibliothek bleiben und nicht einen einzigen Beweis finden.

Aber ja, es stimmt leider: Jack hat nicht nur mit den Rätseln der Insel, sondern vor allem auch mit einigen Programmfehlern und anderen Holprigkeiten zu kämpfen. Da ertönt an ganz unpassender Stelle plötzlich eine Stimme, die einen wichtigen Brief vorliest, ohne daß es zum Bild passen würde. Anderswo löst sich plötzlich eine Figur in Luft auf, nachdem man mit ihr geredet hat, und mehr als einmal wird von Personen gesprochen, die man eigentlich noch gar nicht getroffen hat. Manchmal hakt die Steuerung auch und nimmt einen Klick nicht an, weshalb etwas Beharrlichkeit gefragt ist. Es wirkt ganz so, als wäre das Spiel vorschnell veröffentlicht worden – ein kurz nach Erscheinen hinterhergeschobener Patch bringt auch prompt einen anderen kuriosen Bug mit sich.

The Second Guest
Jack erkundet eine geheimnisvolle Gruft.

So wäre es sicherlich geschickt gewesen, dem Team von David Frentzel und seinem Studio Twice Effect (das in den Neunzigern noch C64-Spiele für Diskmagazine wie Game On programmiert hat) mehr Zeit und Mittel zu geben, um THE SECOND GUEST abzurunden. Dann würde auch die Geschichte nicht so ganz in der Schwebe aufhören: Die angerissenen Rätsel bleiben ganz offen, einige Handlungsorte bleiben unzugänglich (zum Beispiel die eingestürzten Katakomben unter dem Schloß, die hinter einer verschossenen Eisentür verborgen bleiben). Weil das Spiel bei Kritik und Publikum durchfiel, wurden die weiteren drei Episoden nie entwickelt – und so werden wir wohl nie erfahren, wer Jack nach dem Leben trachtet und wer der ominöse zweite Gast nun sein soll.

Ein wenig ähnelt THE SECOND GUEST damit einer Serie, die trotz Potential abgesetzt wurde und den Zuseher mit allen in der Luft hängenden Handlungsfäden zurückläßt. Wer sich davon nicht abschrecken läßt und mit einigen Bugs leben kann, darf aber trotzdem mal einen Ausflug nach Averton Island wagen.



Die Screenshots wurden mit freundlicher Genehmigung von Headup Games GmbH & Co. KG verwendet.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    Comments are closed.

    0 %