DAS GEISTERSCHLOSS – Ein Film als begehbarer Raum

Film / Retrospektive / 13. Februar 2014

Wenn Filme Räume sind, die man wie eine Ausstellung neugierig durchschreiten kann, dann ist Jan De Bonts THE HAUNTING ein besonders lohnenswerter. Das liegt nicht unbedingt an der Story und auch nicht zwangsläufig an der Effektivität der Erzählung – nein, THE HAUNTING ist primär wegen dem sehenswert, was es, jawohl, zu sehen gibt, und dieser visuelle Aspekt ist eng verknüpft mit dem tatsächlichen Raum, in dem sich der Film abspielt. Orte nehmen in Geistergeschichten fast zwangsläufig Hauptrollen ein; viel mehr als die Figuren, die dort Spuk und Unheil erleiden müssen, sind es die Schauplätze selber, die der Geschichte ihren Charakter geben und die – im übertragenen wie im buchstäblichsten Sinne – am dreidimensionalsten gezeichnet sind.

Das „Hill House“, wie das mondäne Anwesen im Film heißt, ist wahrlich ein phantastischer Ort, der gleichsam als majestätische Kathedrale wie als nachtschwarzer Albtraum erscheint, als detailverliebt ausgestattetes Kunstwerk wie als üppiger Prunkbau, als Platz des Staunens und als Platz der Leere. Das Äußere besteht aus Dutzenden von Zinnen und Erkern, innen drin ist jede Wand, jeder Bogen und jeder Kaminsims ein kunstvoll geschaffenes Ausstellungsstück. Wie ein jahrhundertealter Dom scheint das Haus zu suggerieren, daß bei der Erschaffung ganze Menschenleben verbraucht wurden – und wie in solchen Kirchen ist auch hier jeder Raum so gigantisch und jede Tür so groß, daß ein Mensch sich zwangsläufig klein und verloren fühlen muß.

Unsere Protagonisten Eleanor, Theo und Luke kommen nach Hill House, weil sie dort an einer psychologischen Studie teilnehmen: Dr. Marrow hat sie unter dem Vorwand eingeladen, daß er Schlafstörungen untersuchen will, während er in Wirklichkeit das Phänomen der Furcht erforschen will. Und die greift bei den drei Versuchspersonen schnell um sich, als sie feststellen müssen, daß das Haus eine tragische Vergangenheit hat und deswegen nicht zur Ruhe kommt …

Es gilt als „überliefertes Wissen“, daß Horrorfilme unter großem Budget und vielen Spezialeffekten zwangsläufig leiden. Aber wie so oft, wenn Meinungen darüber übernommen werden, was gemacht werden darf und was nicht, ist eine Hinterfragung durchaus sinnvoll – und das nicht nur, weil mit Tobe Hoopers POLTERGEIST und John Carpenters THE THING flugs zwei Filme angeführt werden können, in denen weder das große Studiogeld im Rücken noch die üppige Verwendung von Effekten dem Spuk irgendwie abträglich gewesen wären. Freilich ist es reizvoll, den Horror im Kopf geschehen zu lassen und psychologisch statt visuell auszukosten – aber das müssen so viele Filme ja zwangsläufig tun, weil sie wenig andere Mittel haben, und somit ist THE HAUNTING schon mit der Ambition interessant, den Grusel ins Bild zu zerren. Überhaupt scheint mir die wichtige Frage ja nicht die zu sein, wie viel oder wie wenig man sieht, sondern was uns damit erzählt wird: THE THING zum Beispiel ist sehr explizit und deutet doch weitaus mehr an.

Dabei ist De Bonts Film zunächst gar nicht so effektlastig, wie man meinen könnte, und den gruseligen Geschehnissen liegt eine originelle Kreativität zugrunde – zum Beispiel, wenn sich im flatternden Vorhang Geistergestalten abzeichnen, die dann auf das darunterliegende Bett huschen und die Decke entlangkriechen, oder wenn sich die Haare unserer Heldin beim Kämmen einen Spalt öffnen, als würde etwas hineinkriechen wollen. Später wird das Haus im wahrsten Sinne des Wortes lebendig: Ein netter visueller Gag zum Beispiel ist eine Sequenz, in der zwei Fenster plötzlich als Augen des bösen Geistes fungieren, der in dem Spukschloß umhergeht. Erst im Finale wird dann wirklich der ganz große Zauber losgetreten, und daß der dem Spuk keine wirklich befriedigende Präsenz bzw. dann auch Befreiung geben kann, liegt eher daran, daß die Auseinandersetzung zwischen Hauptfigur und Geist auf Storyseite nicht mehr viel Resonanz erzeugt.

Interessant ist bei allem Effektgewitter aber auch, wie geduldig De Bont seine Story aufzieht – es braucht eine halbe Stunde, bis sich das Übernatürliche überhaupt mal bemerkbar macht, und danach läuft die Geschichte keinesfalls nach dem Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip ab, das so viele andere Horrorproduktionen auszeichnet. Vor allem zu Beginn wird da auch gekonnt mit der Suggestion gespielt – zum Beispiel in einer Sequenz, in der etwas von außen gegen die Zimmertür poltert, während innen der Raum so kalt wird, daß der Atem sichtbar wird. Das Sounddesign tut sein Übriges, das Haus als beinahe lebendiges Wesen zu inszenieren: Geräusche hallen nach, überall dröhnt und rumpelt es, und ständig scheint außerhalb des Bildes hörbar ein kalter Luftzug vorbeizugehen.

Auch wenn die Geschichte selber eher ins Skizzierte als ins Ausgefleischte läuft, bietet sie ein paar interessante Bausteine, die das Geschehen emotional ein wenig verankern. Die Hauptfigur Eleanor wird als unsichere und zurückgezogene Person gezeichnet, die sich ihr Leben lang um ihre kranke Mutter gekümmert hat; dieses umgedrehte Mutter-Kind-Verhältnis spiegelt sich in ihrer Funktion in der Geistergeschichte wieder, wo sie – nachdem sie herausfindet, daß in dem Haus Kinder gefangengehalten wurden und gestorben sind – sich der unruhigen Seelen annimmt und diese letztlich erlösen kann (es wird sogar an einer Stelle eingeführt, daß die Ehefrau des Hausherren ihre Ur-Ur-Urgroßmutter gewesen sein muß). Dem gegenüber steht Dr. Marrow, der gewissermaßen als Patriarch für die Gruppe verantwortlich ist – und sich dabei nicht nur als wenig hilfreich entpuppt, sondern auch eine gewisse Paralelle zum bösen Geist suggeriert, der zu Lebzeiten ebenso Personen (in dem Fall Kinder) unter falschem Vorwand ins Haus lockte.

Wirkliches Gewicht erhalten dann aber weder die Figuren noch der Storyverlauf – das Haus selber wird schnell zum raison d’être des Films. So mag THE HAUNTING als Erzählung nur ein solides Grundgerüst bieten, das irgendwann seine Figuren und Themen in den Hintergrund rückt – aber als begehbarer Raum, wenn man so will, oder als wahrnehmbares Objekt aus Bildern, Geräuschen und Stimmungen ist der Film eine faszinierende Evokation eines Ortes, von dem man immer mehr sehen will – was natürlich nur möglich ist, wenn man die Geister mit einem nochmaligen Filmstart wieder aufscheucht. Das Haus ist der beste und teuerste Spezialeffekt des Films – und damit ein Beweis, daß sich Aufwand und Phantasie nicht ausschließen.



Das Geisterschloß (USA 1999)
Originaltitel: The Haunting
Regie: Jan De Bont
Buch: David Self, nach dem Roman von Shirley Jackson
Kamera: Karl Walter Lindenlaub
Musik: Jerry Goldsmith
Darsteller: Liam Neeson, Catherine Zeta-Jones, Owen Wilson, Lili Taylor, Bruce Dern, Marian Seldes, Virginia Madsen
FSK: 12






Avatar-Foto
Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





You might also like