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Staind – The Illusion of Progress (2008)

Offen zugegebene Stagnation auf dem jüngsten Staind-Album: Hier bewegt sich gar nichts.

Wenigstens sind sie ehrlich: Das Album heißt THE ILLUSION OF PROGRESS, womit der fehlende Fortschritt quasi verbrieft ist. Dazu passend sitzt ein einsamer Junge auf einer leeren Strasse und blickt in die Ferne. Nun haben sich Staind ja schon auf den vorigen Alben kaum angestrengt, ihre Musik irgendwohin zu bringen: Aaron Lewis‘ Weltschmerz, seine mitunter völlig resignierte Verzweiflung an seinem Umfeld und vor allem an sich selbst war ja schon seit jeher ein eher in sich gekehrter Rückzug. Der Unterschied ist, daß es früher eine zwingende, düstere, oft intime Nabelschau war. Mittlerweile ist es eine milde Verstimmung.

Dabei hatten sich Staind ja nach dem zugekleisterten, gelangweilten Album 14 SHADES OF GREY mit ihrem Nachfolger CHAPTER V durchaus wieder mit den kantigeren Klängen ihrer Frühtage ausgesöhnt und eine Reihe von frischen Songs produziert, bei denen das Bedürfnis, ihre Geschichte zu erzählen, wieder fühlbar darüber hinaus ging, nur ein weiteres Staind-Hit-Album abzuliefern. Nicht so beim jüngsten Album: „Here we are / With nowhere else to go“, beginnt die CD, und auch wenn Aaron Lewis vielleicht wieder über eine Beziehung singt, hat man das Gefühl, daß die Band gemeint ist. „This is it, and it fits / And it feels like this is good enough for me“, heißt es dann im Refrain, und genauso klingt das Album dann auch. Zufriedenheit nimmt der schönsten Rockband den Biß, aber Aaron strengt sich ja nicht einmal mehr an.

Fast alle Songs auf THE ILLUSION OF PROGRESS sind nach Staind-typischem Muster gestrickt: Balladentempo, große Akkorde, ein epischer Refrain, alles klingt betrübt und melancholisch. Weil Aarons Melodieführung wenig Variationen kennt, klingen die Songs allesamt so ähnlich, daß das Album zur reinen Unzufriedenheitstextur wird. Immer wieder wird alles wuchtig groß und dann wieder reduziert, als könnte man die Uhr danach stellen. Und natürlich ist das einfach nur gefüllt, denn Energie produzieren die lauten Gitarrenwände kein bißchen.

Da ist man dann schon für die ganz kleinen Dinge im Leben dankbar: „Tangled Up in You“ ist eine Solonummer von Aaron, die ohne Band, aber mit ein paar Sessionleuten gespielt wird. Eigentlich ist es eine recht einfach gestrickte Liebeserklärung, aber in der Mitte steht dann der Satz „You’re the only thing I like about me“, und man ahnt einmal kurz, warum Aarons Resignation früher einmal so spannend sein konnte. Der vorletzte Song, „The Corner“, ist genauso konzipiert wie alle anderen, aber im Hintergrund singt ein Gospelchor, und auch hier blitzt für einen kurzen Moment wieder die Intensität durch, die die Band früher ausgezeichnet hat. Natürlich werden manche Songs wieder öfter gehört werden als andere, z.B. „The Way I Am“ oder „All I Want“, weil da die Melodien mehr ins Ohr gehen. Aber spannend ist hier nichts: Diese Band klingt, als hätte ihnen der Arzt jede Aufregung strengstens verboten.

Der letzte Song heißt dann „Nothing Left to Say“. Ganz so ehrlich braucht man dann eigentlich doch nicht zu sein, Aaron.

Dieser Text erschien zuerst am 26.9.2008 bei meinSalzburg/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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