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Die Wahrheit tut weh!

Auf vielfachen Wunsch eines Einzelnen poste ich die Limp-Bizkit-Kritik, die ich gerade für die SN geschrieben habe, hier in meinem Blog, damit meine treuesten Fans nicht warten müssen, bis sie dort online erscheint:

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Eines der allerdeutlichsten Zeichen, dass der Nu-Metal tot ist, war 2003 der Release des Limp-Bizkit-Fiaskos „Results May Vary“. Vorher war ja Gitarrist (und vermutlich auch das musikalische Gehirn der Band) Wes Borland ausgestiegen, um mit seinem nie fertig realisierten Projekt Eat The Day eigene Wege einzuschlagen. LB-Frontmann Fred Durst verbrachte viel Zeit damit, einen neuen Gitarristen zu suchen, während er die Aufnahmen zum Album so oft in die Tonne warf, dass man das Todesröcheln seiner Gruppe immer lauter wahrnehmen konnte. Was dann tatsächlich das Licht der Welt erblickte, war eine breiige Masse, klanggewordener Größenwahn, der Dursts ziellosem Geheule und seinen paranoiden Anklagen nicht ein einziges griffiges Riff, nicht eine kohärente Songidee entgegensetzen konnte. Kommerziell aufgefangen wurde das Desaster noch vom The-Who-Cover „Behind Blue Eyes“, wo sich Fred in seinem goldenen Käfig selber sehr leid tat und das letzte bisschen Glaubwürdigkeit verspielte, dass man ihm vielleicht noch zusprechen konnte.

Zwei Jahre später scheint die Gruppe derart orientierungslos zu sein, dass eine schwere Kurskorrektur verordnet wird. Borland kehrt zu der Gruppe zurück, dafür wird Schlagzeuger John Otto gegangen. Und beinahe völlig unbeachtet von den Medien steht plötzlich eine neue CD im Laden, deren Titel ein Konzeptalbum vermuten lässt: „The Unquestionable Truth (Part 1)“. Ja, das Album ist besser als „Results May Vary“, aber das besagt nicht viel.

Musikalisch scheint man sich für das sehr zahnlose „Behind Blue Eyes“ entschuldigen zu wollen. Das Album ist heavy, roh, ungeschliffen, sehr sperrig – ach ja, und außerdem ein unglaubliches Rage-Against-The-Machine-Plagiat, das exakt den Sound dieser Gruppe zu kopieren sucht und dabei klingt wie gewollt und nicht gekonnt. Sicher, die Band ist tight, wie man auf neudeutsch so schön sagt, aber dabei schlichtweg unattraktiv und austauschbar. Wer Borland bislang für den kreativen Genius hinter Limp Bizkit hielt, mag sich vielleicht angesichts dieser Richtungslosigkeit noch mal Gedanken machen.

Und dann ist da noch Fred Durst. Natürlich versucht er so zu klingen wie Zack De La Rocha, und natürlich scheitert er. Er konzentriert sich hier hauptsächlich auf Sprechgesang, aber er jammert, keucht, quietscht, winselt, quäkt und quält sich (und uns) so fürchterlich durch die Songs, dass man sich immer nur wünscht, er würde endlich die Klappe halten. Den Vogel schießen natürlich wieder seine Texte ab, in denen er über Gott und die Welt schimpft und dabei in völliger Ignoranz seiner eigenen Person bleibt: Er mag Radio und Fernsehen nicht, weil die ja nur Mist spielen. Er schüttelt den Kopf über „rappers that can’t rap anymore“. Er fragt „who is phony and fading slowly?“. Und natürlich ist wieder einmal die ganze Welt schuld an seinem Unglück, und keiner versteht ihn.

Abgeschlossen wird das Album, das übrigens sagenhafte 29 Minuten lang ist, von einer Art Ballade – die Art Song, die man schreibt, wenn man 17 ist. Durst versucht hier, zu singen, und wenn die Stimme dann beim Oktavenwechsel aufzugeben scheint, tut er einem wirklich fast leid. Da sieht man vor dem geistigen Auge nämlich Fred Durst in ein paar Jahren zusammen mit Vanilla Ice oder einem beliebigen anderen Gescheiterten bei irgendeiner Comeback-Show auftreten.

Erschreckend ist freilich, dass uns der Albumtitel einen zweiten Teil von diesem Rumpelkammer-Schlonz androht. Es bleibt spannend, wie weit Durst sich in seinem Irrsinn noch verlaufen kann.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    2 Comments

    1. Sehr cool. Danke. Sehr vernichtend. Recht so. Wenn sich der Typ halt nicht so ernst nehmen würde. Ich mein, andere reden auch viel Scheiß, wenn ihnen der Erfolg in die Birne steigt, aber die halten sich dann wenigstens nicht für den Oberpropheten und das Weltgewissen. Naja….

    2. Oder – noch schlimmer – für Zack de la Rocha.

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