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SS CAMP 5: WOMEN’S HELL – Nazi-Folter für den inneren kleinen Sadisten

Manchmal meldet sich ein merkwürdiges Rumoren in der Magengegend. Liegt es daran, dass ich zu wenig gefrühstückt habe? Habe ich vielleicht beim Dauerfilmkonsum das Essen mal wieder komplett vergessen? Falsch: Es ist die Rezensentenpflicht, die sich lautstark zu Wort meldet. Das ist dieses komische Gefühl, das einen beschleicht, wenn man etwas ganz Absonderliches gesehen hat und einem dann ein Stimmchen zuflüstert, man sollte doch darüber schreiben. Nachdem ich mich nun gestern abend in den tiefsten Keller des schlechten Geschmacks hinabbegeben habe und dort den klebrigsten Bodensatz mit staunendem Unglauben begutachtet habe, rumort nun die Pflicht. Obwohl man eigentlich nur den Titel des Films hinschreiben müsste, um eine Ahnung der filmischen Abgründe zu vermitteln, die sich da aufgetan haben: SS CAMP 5: WOMEN’S HELL heißt der miefige Streifen, den Sergio Garrone 1977 zusammen mit einem ähnlich konzipierten Film namens SS EXPERIMENT LOVE CAMP inszenierte. Fröhlich hereinspaziert, es gibt Nazis, Konzentrationslager, Menschenexperimente, nackte Frauen und Folter. Wer würde das verpassen wollen? „Oje“, meint der aufrechte Kollege Schwarz auf meinen Hinweis, dass ich mir den Film angesehen habe, gefolgt von einem weiteren Wort: „Rezension?“ Wie schön: Meine Rezensentenpflicht ermahnt mich sogar schon extern.

Nun sind die beiden Garrone-Filme beileibe nicht die einzigen Vertreter dieser unglaublichen Gattung. Inspiriert vom Erfolg des provokativen Skandaldramas DER NACHTPORTIER (1974) über die sadomasochistische Beziehung zwischen einer Holocaust-Überlebenden und ihrem einstigen Folterknecht sowie dem geschmäcklerischen Nazibordell-Erotikdrama SALON KITTY (1976) sahen sich findige Produzenten schnell davon überzeugt, dass man den Reiz dieser Filme flott auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren könnte: Nazis, nackte Frauen, Gewalt. Alles für sich genommen schon sensationsträchtige Elemente, mit denen man die niederen Instinkte ansprechen kann, aber als Melange einfach so unglaublich plakativ, dass die voyeuristischen Neigungen alleine schon den Kinoerfolg garantieren müssen. Der amerikanische Produzent David F. Friedman schlug als erster in die Kerbe: ILSA, SHE-WOLF OF THE SS (1975) hieß das dreckige Schmuddelfilmchen, das eine Reihe fieser Folterungen mit viel Sex und extrem viel schlechtem Geschmack in eine fadenscheinige Geschichte um ein Nazi-Gefangenenlager setzte.

Natürlich konnten und wollten die Italiener da nicht nachstehen – und warfen eine ganze Reihe von ähnlich gestrickten Derbheiten auf den Markt. Bruno Mattei drehte SS GIRLS, Fabio De Agostini lieferte RED NIGHTS OF THE GESTAPO ab, Cesare Cenevari inszenierte GESTAPO’S LAST ORGY. Die Filme teilten sich dabei in zwei Kategorien auf: Solche, die das Geschehen in Nazibordellen nachzeichneten, und solche, die in Konzentrationslagern spielten (und somit dem sexuell orientierten Schema der ersteren Sparte eine Reihe von gewalttätigen Grausamkeiten hinzufügten). Erzählt wurden die abartigen Geschichtchen zumeist unter einem aufklärerischen, warnenden Deckmantel, der um Authentizität heischte und den unmenschlichen Geschehnissen vermeintlich kritisch gegenüberstand – aber natürlich selbige sensationslüstern zum Kitzel der Zuseher ausschlachtete und sämtliche Komplexitäten rigoros ignorierte, die das Grauen des Dritten Reiches eingehender hätten beleuchten können.

So will auch SS CAMP 5: WOMEN’S HELL – der Film ist in Deutschland nie erschienen, aus vermutlich nicht sehr originellen Gründen – eine schockierende Geschichte über ein Konzentrationslager erzählen, in dem die gefangenen Frauen entweder als Liebessklaven für die ansässigen Offiziere oder als Futter für Menschenexperimente herhalten müssen. Die Geschmacklosigkeit des Films ist schon während des Vorspanns klar, der mit Photos aus echten Konzentrationslagern unterlegt wurde. Auch später im Film ist Archivmaterial zu sehen, in dem ausgehungerte Gefangene gezeigt werden und ein Leichenberg in einem Massengrab verscharrt wird. Tiefer kann ein Film wohl nicht mehr sinken, als mit Bildern des Holocausts den Schockgehalt eines Sex-und-Folter-Dramoletts zu intensivieren.

Ungefähr 53 Minuten lang bleibt der Film dabei eigentlich gewissermaßen recht harmlos – abgesehen von zwei Sequenzen, wo hölzern spielende Wissenschaftler einer nackten Gefangenen bei vollem Bewußtsein das Bein anzünden, weil sie nach einer Brandsalbe forschen. Allein der Hinweis darauf, dass schon an die tausend Gefangenen im Zuge dieser wissenschaftlichen Tätigkeit ihr Leben lassen mussten, lässt Rückschlüsse auf die Kompetenz der Akademiker zu. Ansonsten hüpfen viele nackte Frauen über den Bildschirm und lassen sich von blonden und glatzköpfigen Nazis besteigen, die freundlicherweise beim Sex die Hosen anbehalten. Dazu dudelt die Synth-Orgel wie beim Flipperautomaten.

Irgendwann versuchen dann vier der Frauen zu fliehen und werden von dem haarlosen Obernazi mit dem stechenden Blick im Ofen eingesperrt, wo sie bei lebendigem Leib (und durch ganz miese Effekte illustriert) verbrannt werden. Der fiese Kommandant und seine Adjutantin (sie heißen übrigens Hans und Greta, wie auch sonst) schnappen sich dann vier weitere Gefangene und verhören sie, wer den anderen bei der Flucht geholfen hat. Für die kommenden zehn Minuten darf man getrost sein Schinkensandwich beiseite legen, bis dann alle Fingernägel ausgerissen, alle Köpfe zerquetscht, alle Eingeweide zerschlitzt und alle Zungen herausoperiert wurden. Ein Blick in einschlägige Nachschlagewerke versichert mir übrigens, dass dieser Streifen weniger grausam ist als Garrones Zwillingsfilm. Welch Glück.

Fünfzehn Minuten vor Schluß stehen dann übrigens die Russen vor der Tür – zumindest dem Dialog nach zu urteilen. Die restlichen Frauen schnappen sich ein paar Waffen und kämpfen sich ihren Weg aus dem Gefangenenlager heraus. Nachdem dann der letzte Nazi besiegt wurde, ist auch schon der Film aus, aber zuvor sehen wir noch eine mahnende Schrifttafel: Wir Menschen bringen uns immer noch gegenseitig wie die Tiere um, weil das Blut von Kain in uns fließt. Natürlich würde hinter einen Film, der mit dem Holzhammer inszeniert wurde, auch kein weniger plakativ hingeklatschtes Epigramm passen.

Garrone, der einige gute Italowestern und den effektiven kleinen Gangsterfilm KILLER’S GOLD inszenierte und auch sonst höchstwahrscheinlich kein schlechter Mensch ist, erklärt in einem Interview auf der DVD tatsächlich, wie die Nazi-Gefangenenlagerfilme einerseits als Mahnmal fungieren, andererseits als harmlose Katharsis für den inneren kleinen Sadisten gedacht sind. Nun bin ich gerne einer der ersten, der zugibt, einen inneren kleinen Sadisten zu haben, aber irgendwie hat der noch nie nach Demütigung und Folter von nackten Frauen verlangt. Vielleicht ist das bei anderen Menschen anders. Natürlich ist die erste Auslegung Schwachsinn – das „Mahnmal“ ist hier ebenso aufgesetzt wie der wissenschaftlich motivierte Anspruch der SCHULMÄDCHEN-REPORT-Filme oder der GESICHTER-DES-TODES-Monstrositäten.

Für eine intensivere Auseinandersetzung mit den Mechanismen und den Fallstricken dieses abartigen Subgenres darf Mikel J. Kovens Essay „‚The Film You Are About to See Is Based on Documented Fact‘: Italian Nazi Sexploitation Cinema“ empfohlen werden, der in dem Buch ALTERNATIVE EUROPE: EUROTRASH AND EXPLOITATION CINEMA SINCE 1945 zu finden ist. Koven zeigt, wie die um vermeintliche historische Authentizität bemühten Filme nicht nur allesamt die Begriffe „Konzentrationslager“ oder „Jude“ scheuen – offenbar scheint der Tabubruch gleichzeitig einer tiefergehende Problematik ausweichen zu wollen – sie sind in ihrem angeblichen Wahrheitsgehalt freilich auch komplett schwammig: Beispielsweise hat es das ideologisch verbreitete Konzept der „Rassenschande“ den KZ-Offizieren verboten, sexuelle Beziehungen mit jüdischen Frauen einzugehen – auch, wenn es sich dabei um Gefangene handelte. Natürlich scheint es keine große Erkenntnis zu sein, dass der historische Gehalt in einem Sex-und-Gewalt-Filmchen nicht allzu genau ist. Aber die genaue Betrachtung der Tatsachen entlarvt die Serie von Filmen als exakt das, was sie ist: Eine Ansammlung von Derbheiten, die unter dem Vorwand der kritischen Aufdeckung an die voyeuristischen Instinkte des Publikums appellieren sollen. Nichts weiter.

Der Magen hat sich beruhigt. Die Rezensentenpflicht wurde erfüllt. Ein weiteres verborgenes Kapitel europäischen Filmschaffens wurde beleuchtet. Es ist unglaublich, welche bizarren Auswüchse sich in der Filmgeschichte gebildet haben – aber das bedeutet bitteschön nicht, dass sich irgendjemand den Dreck ernsthaft ansehen muß. Ich sage nicht, daß es verwerflich ist, sich den Film anzuschauen – es ist ganz einfach komplette Zeitverschwendung. Glaubt mir einfach mal unbesehen.

SS Camp 5: Woman’s Hell (Italien 1977)
Originaltitel: SS Lager 5: L’inferno delle donne
Regie: Sergio Garrone
Buch: Tecla Romanelli, Vinicio Marinucci, Sergio Garrone
Musik: Vasili Kojucharov, Roberto Pregadio
Produktion: Società Europea Films Internazionali Cinematografica (SEFI)
Darsteller: Paola Corazzi, Rita Manna, Giorgio Cerioni, Serafino Profumo, Patrizia Melega

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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