HÖLLE IM FRAUENGEFÄNGNIS plus HELL PENITENTIARY: Zwei Knastdramen zum Preis von einem

Film / Wühlkiste / 14. Juli 2014

Ich gestehe: So ganz verstehe ich das Subgenre „Frauengefängnisfilm“ nicht. Oh, ich kapiere durchaus die Muster hinter diesen hübsch reißerisch aufgezogenen Stories: Hinter Gittern herrscht Sodom und Gommora. Die eingesperrten Leicht- und Schwerverbrecherinnen fallen hemmungslos übereinander her, Gewalt ist an der Tagesordnung, und die Wärter und Wärterinnen machen von ihrer Machtposition Gebrauch und mischen bei der Sex-und-Gewalt-Tagesplanung eifrig mit. Es lebe die Phantasie! Aber, um es mal neudeutsch zu sagen, den Appeal der Chose checke ich nicht völlig. Vermutlich liegt es daran, daß ich zwar weder etwas gegen Schmuddelphantasien habe noch gegen reißerisches Exploitation-Kino, aber mir die genussfreudigen Damendramen dann doch lieber in Settings ansehe, wo niemand nebenher verprügelt und gefoltert wird.

Freilich hält mich das keinesfalls davon ab, mich auch diesem Bereich des etwas anderen Kinos ausführlich zu widmen – und das heute sogar gleich als Double Feature! Es bietet sich nämlich an, die hier besprochenen zwei Italo-Filme zusammenzuziehen, da sie 1983 zeitgleich mit derselben Crew und denselben Schauspielern entstanden. HÖLLE IM FRAUENGEFÄNGNIS erschien zuerst, dann folgte der Zweitfilm HELL PENITENTIARY (der es nie bis nach Deutschland schaffte). Als Regisseur ist bei beiden Filmen ein gewisser „Willy Regant“ angegeben, hinter dem man lange Sergio Garrone vermutete – der wohl auch beide Drehbücher geschrieben haben dürfte (im Vorspann wird kein Autor genannt) und für seine Regiearbeiten gerne das Pseudonym „Willy S. Regan“ verwendete. Seit einiger Zeit behauptet die IMDB jedoch, daß sich in diesem Fall hinter „Regant“ ein Mann namens Gianni Siragusa versteckt. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich schlafe nachts sehr unruhig, solange solche wichtigen Fragen nicht geklärt sind – könnte also bitte mal jemand den mittlerweile 88-jährigen Sergio Garrone in Rom anrufen und das klären? Danke.

Der erste Film, HÖLLE IM FRAUENGEFÄNGNIS (die englische Version heißt HELL BEHIND BARS, das Original nennt sich PERVERSE OLTRE LE SBARRE), dreht sich um die Gaunerin Conchita, deren Freund gerade erfolgreich einige Diamanten geschmuggelt hat. Sie entledigt sich des armen Mannes und deponiert einen Großteil der Beute in einem Schließfach. Ein paar verkauft sie an einen Hehler, aber dann wird sie von der Polizei festgenommen, als einige Gauner ihr das Bargeld klauen wollen und sie die Burschen erschießt. Im Gefängnis muß sie sich mit dem rauen Umgangston zwischen den Gefangenen arrangieren und sich gegen die Machtspiele der sadistischen Direktorin wehren. Außerdem wollen die Ganoven, die hinten dem Diamantenraub stecken, ihre Beute zurückholen und arbeiten dafür mit einer der Insassinnen zusammen – wem kann Conchita also bei dem geplanten Ausbruch trauen?

Im zweiten Film, HELL PENITENTIARY (im Original: DETENUTE VIOLENTE), läßt sich die Ärztin Julia Rogers ins Gefängnis einschleusen, weil sie dort Beweise für den Mord an ihrer Schwester zu finden hofft, die mitsamt ihrem Liebhaber vom Gangsterboß Frank Cuomo erledigt wurde. Der einzigen Zeugin dieses Auftrags wurde von Cuomo eine Drogengeschichte angehängt, weshalb sie nun unschuldig im Knast sitzt. Im Gefängnis muß sich Julia mit dem rauen Umgangston zwischen den Gefangenen arrangieren und sich gegen die Machtspiele der sadistischen Direktorin …naja, und so weiter.

In beiden Filmen dient die Handlung primär eh nur dazu, zu erläutern, warum wir uns ins Gefängnis begeben. Was vielleicht auch erklärt, weshalb in beiden Fällen der Plot an einen Schweizer Käse erinnert – vor allem beim zweiten Film: Wie genau schleust sich Julia ins Gefängnis ein? Geht die da hin und sagt: „Grüß Gott, ich bin Bankräuberin“? Und warum läßt der Gangsterboß die werte Zeugin nicht auch gleich ins Jenseits befördern? Warum wird sie im Keller des Gefängnisses langsam mit Drogen vergiftet, anstatt sie dort unauffällig verschwinden zu lassen? Der erste Streifen schlägt sich da nur marginal besser, und gegen einen Versuch, den Plan der Gangster hinterher im Detail plausibel zu erläutern, könnten Reden von Edmund Stoiber geradezu kohärent wirken.

Macht nichts, dafür gibt es Sex. Sehr viel davon. Hier wie dort freunden sich die gefangenen Frauen mit neuen Zellenkolleginnen äußerst rasch und zärtlich an; überhaupt ist das Betriebsklima im Knast die meiste Zeit über so gut, daß sich die Insassinnen unter der Dusche gegenseitig einseifen. Die sadistische Direktorin schnappt sich in beiden Filmen eine Gefangene (beide Male dieselbe Schauspielerin!), mit der sie dann die Beziehungen zwischen Personal und Häftlingen intensiviert; im ersten Film bespaßt sie nebenher auch noch einen der männlichen Wärter. Im zweiten Film gibt es dafür noch einen Gefängnisleiter, der eine der Gefangenen als Hausmädchen engagiert und in freien Minuten auf dem Sofa beglückt. (Der Gefängnisleiter wird dann von seiner blinden und tauben Ehefrau erdolcht. Sie sieht die Welt ein bißchen wie durch Milchglas, was die Definition von „blind“ vielleicht dehnt. Die Gefangene redet dann auf sie ein, und die Ehefrau guckt, als würde sie sich überlegen, ob sie jetzt wirklich taub ist oder nicht.)

Freilich gibt es auch ein paar Garstigkeiten. In HÖLLE IM FRAUENGEFÄNGNIS vermutet die sadistische Direktorin, daß eine der Gefangenen etwas in einer Körperöffnung versteckt hat, und schaut mit dem Schraubenzieher gründlich nach (zum Glück sieht der Regisseur dabei nicht ganz so gründlich hin). In HELL PENITENTIARY begeistert die Direktorin im Laufe des Films gleich drei Insassinnen mit einem glühend heißen Schüreisen – wobei das zwar geräuschvoll zischt, aber (wie wir bei späteren kleidungsarmen Sequenzen sehen dürfen) keinerlei Hautschäden verursacht. Ansonsten wird halt, wie im Genre so üblich, ein wenig gerauft unter den Mädels, hier und da wird auch mal eine umgebracht – der übliche Alltag eben in so einer Besserungsanstalt.

Das Gefängnis – in beiden Filmen dasselbe Set – ist übrigens auch ein paar Worte wert. Die Zellen sehen nach miefigem Keller aus, die übrigen Räume auch; der Innenhof scheint zu irgendeinem verfallenen Gemäuer zu gehören. Dafür ist die Anstalt in anderer Hinsicht hochmodern: Die Gefangenen dürfen sogar noch spätnachts zwischen den Kellerräumen, äh, Zellen herumgehen, und müssen keine Gefängnisuniformen tragen – stattdessen haben sie leichte Blusen (vorzugsweise weit geöffnet, damit keine Mißverständnisse über das Geschlecht der Gefangenen aufkommen), Röcke (vorzugsweise kurz, damit die Beine etwas Luft abkriegen) und sogar High Heels. Julia, die im zweiten Film irgendwann als Assistentin des Gefängnisarztes arbeitet, darf unter ihrem weißen Kittel sogar Strapse tragen! Die Wärterinnen müssen sich dagegen mit freudlosen braunen Mänteln begnügen.

Beide Filme wurden, wie erwähnt, größtenteils mit denselben Schauspielern gedreht, teils in anderen Rollen, teils aber auch nicht, weshalb es besonders unterhaltsam ist, sich beide Streifen direkt hintereinander anzusehen – es wirkt, als würde man einen Blick in ein Paralleluniversum werfen. Conchita aus dem ersten Film wird von Ajita Wilson gespielt, deren Filmographie einen entzückenden Titel nach dem anderen enthält (mein Favorit: KAFFEEBRAUN UND NYMPHOMAN, dicht gefolgt von APOKALYPTISCHER SEXWAHN FRÜHREIFER NACKTLUDER – wobei ich davon ausgehe, daß beide Filme mit der Kreativität ihrer Titel nicht mithalten können). Im zweiten Film spielt sie eine toughe Insassin, die auch schon mal unliebsame Mitgefangene um die Ecke bringt. Ajitas Gegenpart ist in beiden Fällen eine gewisse Linda Jones – wieder einmal einer von diesen uritalienischen Namen – die in Film Nr. 2 die Ärztin Julia Rogers spielt, in Film 1 dagegen die toughe Insassin, die auch schon mal … genau. Linda Jones ist so schön, daß sie das Gesicht kaum mehr bewegen kann, weshalb sie vor allem im zweiten Film gerne mal wie eine Leihgabe vom Wachsmuseum wirkt. Die fiese Direktorin wird in beiden Fällen von Rita Silva gespielt, die ihr Haar streng maskulin hochgesteckt trägt, privat aber gerne mit einer wilden blonden Perücke auftritt. Auch diverse andere Darsteller und Darstellerinnen kann man in beiden Filmen erspähen.

Es sei nicht verschwiegen, daß die beiden Streifen, nunja, recht preisbewußt inszeniert wurden. Das merkt man vor allem im zweiten Film, wo ein Gefängnisaufstand abgesehen von einem Bild, in dem auf zwei Wärter geschossen wird, nur über eine Handvoll Schüsse aus dem Off dargestellt wird. Hübsch schmuddelig sind sie beide – wobei der erste Film von einem Finale profitiert, das vage an Garrones KILLER’S GOLD erinnert, wo ebenfalls die Gier dafür sorgte, daß die Besetzungsliste immer kleiner wurde. Dafür ist der andere Film in seiner Schmalhansinszenierung noch heiterer: Da wird eine Wärterin über ein Treppengeländer geworfen, fällt höchstens zwei Meter, aber der Schrei klingt, als würde sie in eine kilometertiefe Schlucht stürzen. Fröhlich ist auch der Beginn, bei dem ein Liebespärchen auf der Flucht vor den Killern auf einer Baustelle landet, wo die schon mit dem Bagger warten (gemeine Schurken!). Während die Attentäter mit der Baggerschaufel gemütlich den Wagen kleinpressen, kommt aber keines der beiden Opfer auf den Gedanken, auszusteigen.

Die Musik ist übrigens in beiden Filmen grandios – was vielleicht daran liegt, daß es beide Male mehr oder weniger dieselbe ist. Da wird schönster Sleazy-Listening-Funk gespielt, beim Anblick des Gefängnisses von außen haut mal wer auf die Orgel, eine nachdenkliche Synthmelodie ertönt auf Heavy Rotation, und wenn die Direktorin ihre Gespielin vernascht, singen körperlose Stimmen „ahhhhh-ahhhh“, während sanft die Percussion gestreichelt wird. Ein Album mit diesem Score (von Franco Micalizzi unter dem Pseudonym „Frances Taylor“) würde ich mir ja sofort kaufen.

Eine BluRay-Ausgabe mit beiden Filmen in feinster Qualität, diversen Audiokommentaren, Interviews und 64-seitigem Essay würde ich mir natürlich auch sofort kaufen, aber da werde ich in absehbarer Zeit wohl kaum in Verlegenheit kommen.

 

 

Hölle im Frauengefängnis (Italien 1984)
Originaltitel: Perverse oltre le sbarre
Alternativtitel: Hell Behind Bars
Regie: „Willy Regant“ (= Gianni Siragusa oder Sergio Garrone?)
Buch: Sergio Garrone (nicht im Vorspann genannt)
Musik: „Frances Taylor“ (= Franco Micalizzi)
Kamera: Maurizio Centini
Darsteller: Ajita Wilson, Rita Silva, Linda Jones, „Alex Freyberger“ (= Alessandro Freyberger), Leda Simonetti, Helen Johansson, Enrica Saltutti

Hell Penitentiary (Italien 1985)
Originaltitel: Detenute violente
Regie: „Willy Regant“ (= Gianni Siragusa oder Sergio Garrone?)
Buch: Sergio Garrone (nicht im Vorspann genannt)
Musik: „Frances Taylor“ (= Franco Micalizzi)
Kamera: „Maurice Centine“ (= Maurizio Centini)
Darsteller: Ajita Wilson, Rita Silva, Linda Jones, „Alex Frayberger“ (= Alessandro Freyberger), „John Vincent“ (= Cesare Di Vito), „Laura Simonson“ (= Leda Simonetti), Helen Johansson, „Elizabeth Sherbrooke“ (= Enrica Saltutti)






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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