HorrorWühlkiste

THE OTHER HELL: Im Kloster ist die Hölle los

Eine Bibel fängt Feuer, im Tabernakel liegt ein verfaulter abgetrennter Kopf, dämonisch leuchtende Augen sind im Dunkel zu sehen, ein Priester verbrennt bei lebendigem Leib, im Keller weidet eine Nonne eine andere aus und schreit dabei, dass die Genitalien die Pforte zum Bösen sind: Nicht viele Menschen wissen, dass solche Vorgänge im Kloster keinesfalls alltäglich sind. Immerhin ist der Bischof auf Draht und schickt einen jungen Priester in den Konvent, um Nachforschungen anzustellen. Der hegt gewisse Zweifel, ob es sich bei den Vorkommnissen um übernatürliche Ereignisse handelt – und wird bis zum Ende des Films das eine oder andere dazulernen.

L’ALTRO INFERNO (im Englischen THE OTHER HELL – nach Deutschland kam der Film nie) markiert den Beginn der Zusammenarbeit zwischen Bruno Mattei und Claudio Fragasso, die später wundersame Reißer wie DIE HÖLLE DER LEBENDEN TOTEN oder THE RIFFS III – DIE RATTEN VON MANHATTEN zusammen drehten. Der Film entstand Ende 1979 zeitgleich mit DAS SÜSSE LEBEN DER NONNE VON MONZA, den die beiden an denselben Schauplätzen mit teilweise auch denselben Darstellern inszenierten – mitunter wechselten sie auch mit mehreren parallelen Sets eifrig durch. (Autor Fragasso erklärte, er habe vieles von THE OTHER HELL selber inszeniert, aber Bruno Mattei – der sich hier als Regisseur „Stefan Oblowsky“ nennt – blieb immer dabei, dass Fragasso nur Regieassistent war.)

Dämonische Ereignisse oder ganz normaler Klosteralltag?

Es ist ein herrlich eigenwilliger Horrorfilm, den die beiden unbekümmerten Kinorabauken hier servieren – und sicherlich einer von Matteis besten Filmen. Mit seinem Klostersetting und der Erzählung vom potentiellen Teufelswerk steht der Film natürlich in der Tradition von Ken Russells DIE TEUFEL und William Friedkins DER EXORZIST, die in den Siebzigern diverse Nachzügler mit dämonischen Vorkommnissen und, nunja, Nonnen außer Rand und Band anregten – aber näher steht der Film Dario Argentos SUSPIRIA, an den er sich zwar nicht in der extremen Stilisierung, wohl aber in der unwirklichen Albtraumlogik anlehnt. THE OTHER HELL ist in seinen Geschehnissen oft zerfahren und sprunghaft, und eine Tonbandaufnahme kann da schon mal dafür sorgen, dass unser detektivischer Priester die ablaufenden Ereignisse wie ein Flashback sieht – aber diese Erzählweise spinnt aus beklommenen, rätselhaften Stimmungen und Bildern des Schreckens (oft drastisch, oft auch als Begegnung mit dem Verbotenen) einen stimmigen, schemenhaften Nachtmahr.

Hier funktioniert auch Matteis Inszenierung ganz im Sinne der Erzählung. Als ehemaliger Cutter (NACHTS, WENN DRACULA ERWACHT) gestaltet er seine Szenen und Narrative gerne so, dass er auf etwas Neues schneidet, zu einem Detail springt oder die Abläufe aus Einzelmomenten konstruiert – siehe DIE HÖLLE DER LEBENDEN TOTEN, wo immer wieder eigenes Material und Archivbilder wagemutig zusammengebaut werden. Bei THE OTHER HELL schneidet Mattei mal flugs auf eine fauchende Katze, die das Geschehen beobachtet, oder er schneidet von einem Priester, der aus dem Fenster sieht, auf eine Eule, die durch die Nacht fliegt, hin zu Spinnweben in einem Zimmer mit aufgehängten Puppen. Auch später springt er wieder zu diesem Raum und einer maskierten Frau, die dort lauert.

Mit dieser Baustein-Herangehensweise und einer gewissen Chuzpe hat Mattei in seinen Filmen auch immer wieder Elemente aus anderen Streifen entliehen (sprich: geklaut, kopiert). Auch bei THE OTHER HELL gibt es etwas, das eigentlich zu etwas anderem gehört: der Score. Über den gesamten Film läuft die Musik, die die Band Goblin eigentlich für Joe D’Amatos SADO – STOSS DAS TOR ZUR HÖLLE AUF geschrieben hat – offenbar, weil Neukomposition teuflischere Auswirkungen auf das Budget hat als flotte Lizensierung. Aber die Aneignung funktioniert hier – und das nicht nur, weil die Orgel im Score so schön zum Klostersetting passt, oder weil Franca Stoppi in beiden Filmen eine zwielichtige Hauptrolle spielt. Tatsächlich spannt die Musik eine gewisse Brücke von THE OTHER HELL zu SADO, als würden die Streifen zusammengehören, als würden wir hier in denselben Wahnsinn hinter verschlossenen Türen eintauchen. Beide Filme erzählen mit Gothic-Motiven von mörderisch verzerrter Liebe und von Wiedergängern, in beiden werden Körper detailliert zerstört und mühsam entsorgt und bleiben doch immer in der eingesperrten Welt des Films präsent.

Der Mutter Oberin (Franca Stoppi) mißfällt die Gesamtsituation.

Und natürlich ist THE OTHER HELL auch auf allen anderen Ebenen ein Bruno-Mattei-Film. Will heißen: Alles ist flugs ohne viel Geld entstanden, und eine Kirchenglocke hört schon mal sichtbar auf, sich zu bewegen, während auf dem Soundtrack das Gebimmel weitergeht. Die Schauspieler funktionieren als prägnante Typen – Franca Stoppi (neben SADO bekannt aus Matteis LAURA und LAURA II) mit ihrem messerscharfen Gesichtszügen und kühlen Augen als Mutter Oberin, Carlo De Mejo (der Sohn von Alida Valli, bekannt aus Lucio Fulcis EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL) mit stoischer Melancholie als ermittelnder Priester, und Franco Garofalo (als „Frank Garfeeld“, bekannt aus Matteis DIE HÖLLE DER LEBENDEN TOTEN) mit hagerem Gesicht und gequälten Augen als mysteriöser Gärtner, der aus einem sicherlich sehr triftigen Grund gleich neben dem Kloster Kampfhunde hält. Sie alle dürfen irgendwann in höllischem Eifer die Augen aufreißen, dem Affen Zucker geben und Sätze von sich geben wie „All you can produce are empty screams, but I produced a child, a wonderful child!“ Und dass da im Klosterkeller grün blubbernde Apparate stehen und irgendwann blutige Hände aus malerisch aufgestellten Särgen krachen, während oben der Spruch „Ex morte vita“ an der Wand steht, gehört ebenso zum Unterhaltungsprogramm. THE OTHER HELL ist eben auch, wie immer bei Mattei, ein herrlicher Reißer.

 

L’altro inferno (Italien 1980)
Englischer Titel: The Other Hell
Regie: „Stefan Oblowsky“ (= Bruno Mattei)
Buch: Bruno Mattei & Claudio Fragasso (Story), Claudio Fragasso (Drehbuch)
Kamera: Giuseppe Berardini
Musik: Goblin
Darsteller: Franca Stoppi, Carlo De Mejo, Francesca Carmeno, Susan Forget, „Frank Garfeeld“ (= Franco Garofalo), Paola Montenero, „Sandy Samuel“ (= Ornella Picozzi), „Andrew Ray“ (= Andrea Aureli)

Von Severin gibt es eine US-BluRay mit Audiokommentar von Claudio Fragasso sowie kurzen Interviews mit Bruno Mattei und Carlo De Mejo (offenbar in allen Regionen abspielbar) – sie kann über Amazon bezogen werden. Wer über meinen Link shoppt (egal, was!), unterstützt den Dachboden!

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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