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Der Soundtrack von TOP GUN: Sexualität und Synthesizer

In der Reihe „Class of 1986“ widmet sich Wilsons Dachboden zwölf Filmen, die dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feiern. Nach meinen generellen Überlegungen zu TOP GUN (hier) folgt hier ein Gespräch mit meinem treuen Gastautor Dr. Wily über den dazugehörigen Soundtrack.

Der Soundtrack zu TOP GUN war ein ebensolcher Megahit wie der Film selber: Er kam auf Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts, ebenso wie die Single „Take My Breath Away“ von Berlin, während der Hauptsong „Danger Zone“ von Kenny Loggins immerhin Platz 2 erreichte. Das Album wurde in den Staaten neunfach mit Platin ausgezeichnet, verkaufte sich also alleine dort über 9 Millionen Mal. Vom internationalen Erfolg ganz zu schweigen – auch zum Beispiel in Deutschland und der Schweiz schaffte es die Platte an die Spitze der Charts.

Im folgenden Gespräch sitze ich mit Dr. Wily zusammen, um zu untersuchen, wie der Sound des Albums zum Film paßt, welche Themen verarbeitet werden, und wie die Platte den Geist der Zeit widerspiegelt.

Dr. Wily: Ich muß ja sagen: Der hat uns ja damals ziemlich gut gefallen. Heute ist die Musik eine Zeitkapsel, wenn du wissen willst, wie Radio-Rock und Pop-Balladen der Achtziger geklungen haben.

Genzel: Absolut, ja. Die Hälfte der Tracks sind von Giorgio Moroder geschrieben und produziert – und Moroder hat diesen Sound ja auch nachhaltig mitgeprägt, durch den FLASHDANCE-Soundtrack und die Songs, die er für Blondie und David Bowie und so weiter produziert hat. Das Album fängt den Sound der Ära auch deshalb so gut ein, weil da ein Mann dahintersteckt, der ihn mitgestaltet hat.

Wieviel hat Harold Faltermeyer beigesteuert?

Faltermeyer hat nur zwei Songs produziert: „Mighty Wings“ von Cheap Trick und „Destination Unknown“ von Marietta. Dafür natürlich den Score und die „Top Gun Anthem“. Von Moroder sind „Danger Zone“, „Lead Me On“ von Teena
Marie, „Take My Breath Away“, „Hot Summer Nights“ von Miami
Sound Machine und „Through the Fire“ von Larry Greene. Ich finde die Produktionen von Moroder etwas interessanter, weil sie etwas individueller sind als die von Faltermeyer – aber die sind ja beide aus einem Stall. Faltermeyer war lange Jahre der Arrangeur von Moroder, deshalb ist da nicht extrem viel Unterschied zu merken.

Wahre Achtziger-Überlebende hören den Soundtrack stilecht auf Tape.

Ein guter Teil dieser Songs geht ziemlich rein, das sind ziemliche Ohrwürmer. Das ist wirklich nicht schlecht geschrieben. Steile und große Melodien. Der Sound ist halt Plastik … entweder findet man das charmant oder halt vollkommen kitschig und künstlich. Er ist so oberflächlich wie der Film selber.

So gesehen also eigentlich adäquat. Aber für mich reduziert sich der Soundtrack nur auf eine Handvoll Tracks, weil ich so viele Songs so unglaublich anonym finde – nicht nur deshalb, weil es egal ist, wer sie singen könnte. Das ist ja auch bei den starken Songs der Fall. Wir wissen, daß da erst die Songs gemacht wurden und dann geschaut wurde, wer die singen könnte – „Danger Zone“ wäre fast von Toto gemacht worden, und dann war’s halt doch Kenny Loggins. Also, ich finde „Danger Zone“ gut und „Playing with the Boys“ – die gehen wirklich rein. „Take My Breath Away“ ist ein wirklicher Hit. Jenseits dieser Songs …

Und „Mighty Wings“! Und das TOP-GUN-Thema.

Ja, die sind schon okay. Aber dann: „Hot Summer Nights“, oder dieser Loverboy-Song, „Heaven in Your Eyes“. Oder Larry Greene, „Through the Fire“ – hast du den jetzt im Ohr, nachdem du eben erst den Soundtrack gehört hast?

Nein (lacht).

Eben. Oder Marietta, „Destination Unknown“. Das ist ja nicht nur Wegwerf-Pop, das ist Ein-Ohr-rein-und-beim-anderen-raus-Pop.

Aus dem Berlin-Video „Take My Breath Away“.

Aber er paßt super in den Verlauf vom Album. Es stimmt natürlich – „anonym“ ist eine gute Bezeichnung. Aber es funktioniert irgendwie wie ein Album. Die Songs wurden alle extra für diesen Soundtrack geschrieben und produziert – da war kein einziger Song dabei, der schon woanders veröffentlicht war und den jemand hergegeben hat. Manche Musiker haben ja abgelehnt – zum Beispiel Bryan Adams.

Hat er einen Grund angegeben?

Er hatte mit der kriegsverherrlichenden Message des Films Probleme. Judas Priest dagegen haben geglaubt, daß der Film ein Flop wird.

Jedenfalls fällt mir jetzt kein anderer Soundtrack ein, der mit Rock-Songs und Pop-Songs funktioniert, die alle im Vorfeld komponiert wurden, und dann erst wurden Musiker dafür gesucht.

Ich nehme an, bei FLASHDANCE war das genauso, das war drei Jahre vorher. Da hat auch Moroder einiges gemacht. Die Songs sind meines Wissens auch alle für den Film entstanden.

Was bei FLASHDANCE aber noch ein bißchen mehr Sinn macht, oder?

Weil’s ein Tanzfilm ist, natürlich. Es wird zu dieser speziellen Musik performt. Es war ja so ein Prinzip, das erst in den Achtzigern wirklich aufgekommen ist, daß sich diese Filme so extrem über die Soundtracks verkaufen. Daß du Hitsongs hast, wegen denen die Leute diesen Film dann sehen wollen, weil die Lieder auch mit dem Thema oder dem Gefühl des Films zusammenhängen. Natürlich gab’s auch davor immer mal Songs, die so eingesetzt wurden, vor allem bei Musicals, aber die Produzenten Jerry Bruckheimer und Don Simpson haben sehr stark darauf gesetzt – sie haben sich für die Inszenierung der Filme Musikvideoregisseure und Werberegisseure gesucht und die Soundtracks der Filme dann auch so gestaltet, daß sie einen eigenen Werbeeffekt haben.

Und da passen ja die ganzen Songtitel dazu: Als würde jeder Song ein Thema des Films aufgreifen. „Danger Zone“ – mich würd’s nicht wundern, wenn es in der Fliegersprache tatsächlich so etwas wie eine „Danger Zone“ gibt. Das zweite ist „Mighty Wings“, es geht um Kampfflugzeuge. „Playing with the Boys“ – ein Club aus Männern, die einen Riesenspaß haben. Du schreibst in deinem Review, es ist der immerwährende Sommer im Ausbildungscamp, das sind die „Hot Summer Nights“. „Heaven in Your Eyes“ und „Take My Breath Away“, das sind die Lovesongs für die Liebesgeschichte. „Through the Fire“, „Destination Unknown“, die funktionieren sogar doppelt: Die Kampfpiloten fliegen als Soldaten in eine Prüfung, ins Unbekannte – aber dann gibt es das andere Thema mit dem Selbstvertrauensverlust und dem persönlichen Weg. Jetzt haben wir genau einen Song nicht genannt: „Lead Me On“.

„Lead Me On“ spielt in der Bar, bevor Tom Cruise Kelly McGillis kennenlernt – und er weiß ja da noch nicht, daß sie die Ausbilderin ist. Da paßt also in gewissem Sinne auch „Lead Me On“.

Alles paßt vom Titel thematisch zum Film – oberflächlich und plump, da gibt es nichts Subtiles und keinen Subtext.

Kenny Loggins singt „Danger Zone“.

Aber gleichzeitig sind die Titel alle so vage, daß sie auf unglaublich viel passen würden. Wir könnten ohne Mühe drei andere Filme finden, zu denen all diese Titel auch halbwegs passen. „Danger Zone“, das kannst du für SPEED auch hernehmen. Gerade bei diesem „Danger Zone“ merkt man so eine gewisse Mimikry. Der Track tut so, als wäre er total gefährlicher Rock’n’Roll – und das ist er ja überhaupt nicht, sondern eine total sichere und schön verpackte Nachstellung davon.

Das macht aber der Sound.

Nicht nur der Sound, auch die Tatsache, daß Kenny Loggins den Track singt, und die Tatsache, daß an der ganzen Songkonstruktion nichts aus irgendeinem Schema herausbricht – es ist nichts gefährlich an dem Song. Auch wenn man den mit einer richtigen Rockband und anderem Sound covern würde, wäre dieser Song trotzdem ein kreuzbraver Radio-Rocksong.

Stimmt, ja, weil er unglaublich viel Melodie hat. Ich stelle mir gerade vor, wenn das eine schnurgerade Rockband machen würde … wenn zum Beispiel Motörhead das spielen würden, würde es wie ein Popsong klingen, weil er viel zu viele Melodiekurven hat, lauter schöne Melodiebögen und Ohrwurm-Hooks.

Hier hast du auch die Verbindung von Synthesizern und Gitarren, wo das Ziel ja damals war, diese Sounds so ähnlich klingen zu lassen, daß man nicht mehr weiß, was was ist. Das fand ich immer interessant: den Synthesizer als erkennbares eigenes Instrument. Er soll ja eigentlich so klingen, als wäre es ein anderes Instrument – aber gerade in dieser Zeit ist er als eigener Sound verwendet worden, bei dem man auch erkennen soll, daß das ein Synthesizer ist. Was mittlerweile ja nicht nur im Indie-Bereich auch wieder so hergenommen wird: Da wird gar nicht versucht, einen Synthesizer möglichst organisch, „instrumentengleich“ klingen zu lassen.

Da bin ich mir gar nicht so sicher. In den Siebzigern war der Synthesizer einfach aufgrund der technischen Limitationen immer ein extrem künstliches Instrument – du hast gehört, daß das kein „natürliches“ Instrument ist, sondern künstlich erzeugter Klang. In den Achtzigern hat diese Vermischung aber sehr wohl stattgefunden – wie du ja gesagt hast, sollte das nicht mehr so differenziert werden: Ist das eine Gitarre oder ein Synthesizer? Auch die echten Drums klangen teils so synthetisch wie die programmierten. Da wurde auf einen Sound gesetzt, bei dem man nicht mehr mitkriegen soll, was davon synthetisch ist und was nicht – Synth-Streicher zum Beispiel sollten auch nach echten Streichern klingen. Schau im „Top Gun Anthem“-Video, wie Harold Faltermeyer am Piano sitzt, obwohl man wirklich hört, daß das kein Piano ist.

Harold Faltermeyer am Piano für das „Top Gun Anthem“.

Ich stelle mir grad vor, die hätten damals den Soundtrack ohne Synthesizer aufgenommen und „organische“ Instrumente dafür hergenommen – das hätten die nicht gemacht, weil sie diesen Klang nicht wollten. Der Synth-Sound war der Multimillionen-Dollar-Sound 1986.

Der ja auch zum Designerlook des Films paßt. Es hat alles eine gewisse Künstlichkeit, alles ist sehr schick und sehr modern – das darf man ja nicht vergessen, damals war dieser Klang einfach modern, eine Mode.

Voll am Puls der Zeit.

Ja. Eine Ästhetik, die man so eingesetzt hat, wenn das cool, neu, aktuell wirken sollte. Eben: Du hast dann so eine ältere Band wie Cheap Trick, eigentlich eine Siebziger-Jahre-Rockgruppe mit Glam-Touch, und hier kriegen die dann auch diesen Synthesizer-Sound, damit die mit der Zeit gehen. Diesen breiigen Sound.

Dazu ganz viel Hall auf der Stimme, damit’s richtig groß klingt, nach Stadion. Die Drums sind riesig – und klingen gleichzeitig so hohl.

Ich habe mir auch die Texte mal ein bißchen angeschaut. Es ist interessant, daß die immer wieder sexuell aufgeladen werden. Schon bei „Danger Zone“: „Metal under tension / Begging you to touch and go“. Cheap Trick singen dann „Take me on your mighty wings tonight“. Und wenn man das einmal gemerkt hat, dann wird das fast wie so eine Parodie: „You’ll never know what you can do / Until you can get it up as high as you can go“. Später dann natürlich: „Playing with the Boys“.

Bist du dir sicher, daß die gemerkt haben, daß das auch anders gelesen werden kann?

Also, im Song heißt es: „Bodies working overtime / One of life’s simple joys is playing with the boys“. Aber natürlich, die haben das nicht ironisch gemeint.

Da sind wir bei einem interessanten Thema: Wieviel Homoerotik findet da eigentlich statt, ohne daß die Männer das überhaupt merken?

Das ist wie bei den Metalbands der Achtziger, mit den ultraengen Lederhosen und den nackten, schwitzenden Körpern, die sich beim Konzert auch noch aneinanderreiben – man sieht das ja auch hier in dem Loverboy-Video, das trotz Balladen-Song genau so aufgezogen ist.

Tony Scott sagt über die Volleyballszene ja auch schmunzelnd, das sei „soft porn“.

Scott erzählt im Making-of auch von einem Photoband, der ihn sehr beeindruckt hat. Da hat ein Photograph namens Bruce Weber Männer in der Armee abgelichtet, schwarz-weiß und oft mit nackten Oberkörpern. Das hatte auch einen sehr homoerotischen Einschlag und war auch so intendiert. Und Tony Scott hat sich an diesem Look orientiert, an diesen schönen Körpern und wie die inszeniert wurden. Wenn man das alles zusammenfügt, ist der Schritt zu der Tarantino-Parodie in SLEEP WITH ME relativ gering – die Szene, wo er als Partygast darüber redet, daß es in TOP GUN eigentlich um Mavericks Kampf mit seiner eigenen Homosexualität geht. Da ist schon viel Knistern unter Kerlen.

Eine Photographie von Bruce Weber, über die Tony Scott im Making-of von TOP GUN redet.

Und niemandem ist aufgefallen, daß bei diesem Feiern der Männlichkeit auch noch etwas anderes mitschwingt. Aber da sind auch ein paar Songs dabei, die sich eigentlich an der Oberfläche nicht auf die Männergemeinschaft in der Armee oder auf die Liebesgeschichte mit Kelly McGillis beziehen, sondern auf die Fliegerei – und das Fliegen eines Kampfflugzeugs, den Steuerknüppel in der Hand, das hat hier etwas Erotisches. Das kann erregend sein, wenn ich durch die Lüfte gleite und irgendwen abballere.

Ja, es wird auf das Adrenalin, auf das Gefühl reduziert – und da paßt es auch, daß der Text von „Danger Zone“ von Tom Whitlock geschrieben wurde, der Moroders Ferrari-Mechaniker war. Ein Automechaniker, der über die Sinnlichkeit eines röhrenden Motors schreibt.

Es ist schon interessant: Wenn man sich anschaut, wie Film und Soundtrack entstanden sind – das sind eigentlich Produkte. Von einem künstlerischen Anspruch oder einem künstlerischen Ausdruck ist ja da nicht zu reden – das sind Produkte, wo alles ineinandergreifen soll. Die Filmästhetik ist an Werbeästhetik angelehnt, die Musikvideoästhetik lehnt sich an die Filmästhetik an – bei Kenny Loggins sieht man bei gewissen Shots nicht, ob das aus dem Film oder aus dem Musikvideo ist. Die Songs sind oberflächlich und voll auf dem Zeitgeist, setzen auf das, was massenmäßig im Radio lief und verkauft wurde. Ein völliges Produkt – und heute hört man sich das an und kriegt wie bei einer Zeitmaschine einen Eindruck, was damals populär war. Sie haben also doch künstlerisch etwas eingefangen – aber das war nie ihre Intention.

Der abschließende Teil unserer TOP-GUN-Retrospektive geht morgen online: Ein Blick auf den Look von Kelly McGillis bzw. ihrer Figur (hier).

 

Die Screenshots wurden aus dem Bonusmaterial der deutschen BluRay (C) 2009 Paramount Pictures genommen. Das Photo des Tapes stammt von Dr. Wily.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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