TOP MODEL: Enthüllungsjournalismus mit Photostrecken-Flair

Uncategorized / 7. Oktober 2012

Hier wird sie schon kompliziert, die Reihe um Joe D’Amatos Erotikdrama ELF TAGE, ELF NÄCHTE: Ist der 1988 erschienene TOP MODEL eine Fortsetzung oder ein Spin-Off, wie es manche Filmseiten einordnen? Also: TOP MODEL erzählt weitere Abenteuer der Autorin Sarah Asproon, die sich hier einmal mehr im Zuge von Recherchen gerne und oft ihrer Kleidung entledigt – und Sarah wird erneut von der umwerfenden Jessica Moore gespielt, wie schon in ELF TAGE, ELF NÄCHTE. Entsprechend wurde der Film auch vielfach als Sequel vermarktet: ELF TAGE, ELF NÄCHTE, TEIL 2. Problematisch nur, daß ein 1990 erschienener Film von D’Amato, der sich erneut um die Figur Sarah Asproon dreht, in Italien als UNDICI GIORNI, UNDICI NOTTI 2 lief, also ebenso als zweiter Teil (bei uns hieß er DAS TESTAMENT DER BEGIERDE) – nur spielt dort nicht mehr Jessica Moore, sondern Kristine Rose die Hauptrolle! Und dann gibt es da noch den eigentlich schon vor TOP MODEL erschienenen Film AFTERNOON – STUNDEN DER LEIDENSCHAFT bzw. POMERIGGIO CALDO (1987), der aber dann als UNDICI GIORNI, UNDICI NOTTI 3 verkauft wurde, während dem oben erwähnten Film von 1990 eine Vier an den Titel geklebt wurde. (In England wurde dann auch noch weitere Filme von D’Amato ungeachtet ihres Entstehungsjahres als Teil 5, 6 und 7 veröffentlicht.)

Atmen wir mal tief durch und sagen ganz einfach: TOP MODEL ist Teil 1½ in der Sarah-Asproon-Serie. Immerhin ist hier auch wieder ihre Verlegerin an Bord, die nach Sarahs Buch „Meine 100 Liebhaber“ auf einen weiteren Knüller hofft. Für einen neuen Enthüllungsschinken hat sie also mal eben eine gut gehende Model- und Eskortagentur gegründet, in der Sarah unter dem Decknamen „Gloria“ arbeitet und intensive Recherchen zu … ja, zu was eigentlich betreibt? Möglicherweise zum Thema Prostitution, steht sie doch nicht nur zigfach nackt Modell für diverse Kunden, sondern kann auch für flotte Nummern bestellt werden – und das ohne vorher die Männer zu irgendwelchen Events eskortieren zu müssen!

Gloria bzw. Sarah (Jessica Moore) verführt den sexuell orientierungslosen Cliff (James Sutterfield).

Wo ELF TAGE, ELF NÄCHTE noch eine zwar dünne, aber dennoch stringente Handlung aufwies, ist TOP MODEL eher vignettenhaft erzählt: Wir sehen Sarah bei diesem Kunden und bei jenem Herren, und zwischendurch spricht sie ein wenig mit ihrer Verlegerin und kümmert sich um den jungen Computerspezialisten Cliff, der in der Agentur gerade ein neues Datenbanksystem installiert. Die Szenen um Cliff sind das, was hier einem Plot noch am nächsten kommt: Sarah will Cliff nämlich verführen, aber der ist eigentlich latent schwul – wobei er sich da noch nicht so hundertprozentig sicher zu sein scheint, weil er anfangs seinem Freund bzw. hoffnungsfrohen zukünftigen Partner erklärt, daß er noch ein wenig Zeit brauche. Nach diversen Dates und Verführungsversuchen kann Sarah jedenfalls feststellen, daß der gute Mann wenigstens bi sein muß, und zum Schluß stellt sich dann die Frage, ob sich Cliff für Sarah entscheidet (mit der er dann in ein neues Leben fliegen würde) oder für seinen netten Jason.

Nebenher wird Sarah übrigens auch noch erpreßt – und zwar von einem recht schmierigen Kunden namens Peter, der ihre wahre Identität erkannt hat. Zu dieser Detektivarbeit darf man ihm herzlichst gratulieren, prangt doch Sarahs Photo ganzformatig auf der Rückseite ihres vorigen Buches! Peter will jedenfalls Gratis-Sex für sein Stillschweigen – und Sarah macht, wenn auch etwas lustlos, mit. Vielleicht habe ich das Prozedere nicht in seiner ganzen Komplexität verstanden, aber – was genau würde eigentlich passieren, wenn Peter Sarah als Autorin outet? Will die dann keiner mehr als Nacktmodel?

„Ob ich jetzt auf Windows 10 updaten soll?“

Weil also die Geschehnisse so ein bißchen lose arrangiert sind und ohne großen Streß erzählt werden, funktioniert TOP MODEL über weite Strecken wie ein recht langes Musikvideo: Sarah kommt zu einem Kunden, und dann sehen wir zu lang ausgespielter Musik eine Montage, in der sich der Film sein „Erotik“-Label verdient. Gleich zu Beginn kommt Sarah zu einem etwas dicklichen Photographen in ein Loft, wo sie kleidungslos (nunja, die Absatzschuhe bleiben dran) mit diversen Schaufensterpuppen posiert, während der begeisterte Herr aus der Entfernung knipst und gelegentlich auch eine Hand für sich selbst frei hat. Dann geht’s zu Peter – der für ein Schäferstündchen mit Sarah seine Pokerrunde unterbricht, aber freundlicherweise daneben eine Kamera laufen läßt, damit seine Freunde am Pokertisch auch etwas von der jungen Dame haben. Dann folgt ein wenig, hmm, Handlung – Sarah in der Agentur, Sarah lernt Cliff kennen. Und danach geht’s ab in ein Hotel, wo ein großer schwarzer Mann mit merkwürdigem Schnurrbart von Sarah eingecremt werden will.

Wie schon bei ELF TAGE, ELF NÄCHTE weiß Regisseur D’Amato (auch wieder als Kameramann tätig, diesmal unter dem Namen „Fred Sloniscko Jr.“), wie er seine Hauptdarstellerin in einem flott abgefilmten Hochglanz-Trashlook ins rechte Licht rückt – das Photostreckenflair des ersten Teils bleibt dank liebevoll gestalteter Optik auch hier enthalten. Abgesehen von Jessica Moores höchst ansehnlichem Körper gibt es in dem Softsex-Reigen nicht viel zu inspizieren, aber die gute Frau ist dafür so kurvig, daß man anstandslos (ein in diesem Kontext wunderbar doppeldeutiges Wort!) mehrere Minuten des Films alleine damit verbringt, ihr beim An- und Ausziehen zuzusehen. (Vor ihrer leider nur vierjährigen Filmkarriere – 1986 bis 1989 – war Moore übrigens unter ihrem bürgerlichen Namen „Luciana Ottaviani“ tatsächlich als Model tätig.)

Sarah (Jessica Moore, rechts) berät sich mit ihrer Verlegerin Dorothy („Black Emanuelle“ Laura Gemser).

Wieder tut D’Amato so, als wäre die Geschichte der Realität entsprungen: Beim Vorgängerfilm war ja „Sarah Asproon“ als Co-Autorin gelistet (eigentlich Claudio Fragassos Frau Rossella Drudi), hier werden Story und Skript „Sarah Asproon“ und „Gloria Miles“ zugeschrieben – also der Hauptfigur und ihrem Model-Decknamen – und noch der Hinweis eingestreut, die Story basiere auf dem Roman „Top Model“ von „S. Asproon“. Die leichte Doppelbödigkeit des Vorgängers wiederholt D’Amato diesmal allerdings nicht – dafür fließen einige der dunkleren Aspekte von D’Amatos sonstigen Arbeiten ein: Voyeurismus, Prostitution, und natürlich die nicht ganz unanstößige Geschichte von der erfahrenen Frau, die den jungen Orientierungslosen von seiner Homosexualität „befreit“. Keines dieser Elemente wird wirklich unangenehm ausführlich ausgelotet, aber dennoch schwingen sie als Textur mit. Ganz so herrlich eskapistisch wie ELF TAGE, ELF NÄCHTE ist TOP MODEL damit nicht, aber mit der entspannt-aufmerksamen Inszenierung seiner Hauptdarstellerin immer noch ansprechend.

Ein paar verstreute Hinweise noch: Es existieren mehrere Fassungen von TOP MODEL, und in manchen davon ist der Titelsong „Top Model“ von René de Versailles zu hören, in anderen dagegen wieder nicht – aus welchen Gründen auch immer (dafür ist der Song sogar als Maxi erschienen!). Die sonstige Musik von Piero Montanari wiederholt einige Stücke aus dem Vorfilm, funktioniert aber auch hier immer noch prächtig. In einer Nebenrolle ist Mark Shannon aus D’Amatos bizarrem PORNO HOLOCAUST zu sehen – diesmal bleibt er halbwegs angezogen – und als Verlegerin taucht wieder Laura Gemser auf, die hier unerklärlicherweise einmal zu einem Doppel-Kunden-Arrangement mitgeht und somit diesen Film im Gegensatz zum ersten Teil leider nicht auf die kurze Liste jener Streifen setzen kann, in denen sie keine nackte Haut zeigt.

So, das reicht jetzt aber, was das TOP MODEL angeht. Sarah Asproon, wir sehen dich in DAS TESTAMENT DER BEGIERDE wieder – wenn auch leider nicht mehr in Form von Jessica Moore …




Top Model (Italien 1988)
Alternativtitel: Elf Tage, elf Nächte – Teil 2 / Eleven Days, Eleven Nights – The Sequel
Regie: „Joe D’Amato“ (= Aristide Massaccesi)
Buch: „Sarah Asproon & Gloria Miles“ (= Rossella Drudi)
Kamera: „Fred Sloniscko Jr.“ (= Aristide Massaccesi)
Musik: Piero Montanari
Produktion: Filmirage
Darsteller: Jessica Moore, James Sutterfield, Ale Dugas, Laura Gemser, Jason Saucier, Mark Shannon

Die Screenshots wurden von der DVD (C) 2015 Neue Donau Film e.k. genommen.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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