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SONNE, SYLT UND KESSE KRABBEN – Steeger und der Strand

Knapp 5 Jahre liegt sie nun zurück, die monumentale Ingrid-Steeger-Retrospektive, die im September 2007 mit DIE STEWARDESSEN begann und im Dezember desselben Jahres mit DIE BETT-HOSTESSEN endete (der geplante achte Teil der Retrospektive, DIE SEX-ABENTEUER DER DREI MUSKETIERE, mußte wegen Unpäßlichkeit der Gastautorin abgeblasen werden). Und immer noch erfreut sich diese voluminöse Werkschau der deutschen Nackedei-Ikone größter Beliebtheit, wie ich an Suchbegriffen und Klickzahlen feststellen darf. Da liegt es doch nahe, nach so langer Wartezeit eine zweite Retrospektive hinterherzuschieben: Steeger Legacy, sozusagen, nachdem ja noch so viele Filme ihres frühen kleidungsarmen Schaffens bislang keine Erwähnung fanden und der Entdeckung harren. Fangen wir also mit hochrotem Kopf an, uns dem Steeger-Streifen SONNE, SYLT UND KESSE KRABBEN zuzuwenden, der 1971 in die deutschen Kinos kam.

Schon der Vorspann faßt den kompletten Film sozusagen als Miniatur zusammen: Aufnahmen vom Strand, nackte Menschen im Sand, nackte Menschen im Wasser, nackte Menschen reden, nackte Menschen schweigen. Dazu eine beschwingte Nummer mit Mitsingen, deren Refrain unbedingt zitiert werden muß: „Nackedi, Nackedu, Nackedei-dei-dei / Ja, wir sind so frei / Was ist denn schon dabei“. Und während da so heiter musiziert wird, frühstücken wir doch flott die schönen Alternativtitel des Films ab, der in Deutschland auch als NACKTE LIEBE IM HEISSEN SAND lief und in Österreich wahlweise als NACKTER SEX AUF SYLT oder als – beinahe mein Favorit – BUSEN, PO UND SCHARFE MÄDCHEN unters Volk geworfen wurde (der Titel wirft bei näherer Betrachtung einige überraschende Fragen auf, wenn doch Busen und Po offenbar gar nicht zu den scharfen Mädchen gehören!). Auch der amerikanische Name soll nicht unerwähnt bleiben: READY, WILLING AND ABLE. Oh ja, dieser Kulturbeitrag wurde bis nach Übersee exportiert.

Kümmern wir uns kurz um die Handlung: Es gibt keine. Ach, halt – so flapsig darf man das gar nicht sagen! Es gibt jede Menge Handlung. Unmengen an Handlung. Ganze Mülleimer voll damit, sozusagen. Sofern bei besagten Mülleimern unten der Boden fehlt. Also: Der Generaldirektor Hugo Weber fährt nach Sylt, um dort Frauen aufzureißen. Außerdem reisen einige Mädchen, darunter des Generaldirektors Töchterlein, ebenso nach Sylt, um dort Männer aufzureißen. Ein paar Jungs kommen auch noch dazu, um Frauen aufzureißen. Und vergessen wir mal nicht die diversen nackten Männer und Frauen am FKK-Strand, die sich bemühen, andere nackte Frauen und Männer aufzureißen. Es ist also, ohne die Komplexität der Vorgänge herabspielen zu wollen, ein wie aus dem Leben gegriffener Stoff, der hier so beiläufig und doch stringent an einem Thema orientiert erzählt wird, wie es sonst nur Altman in seinen Ensemblestücken schaffte. Ähem.

Der Herr Generaldirektor ist dabei am sympathischsten gezeichnet. Verzweifelt er doch schon am Anfang an seinem Fräulein Tochter, die nicht nur durchs Abitur gefallen ist, sondern auch lautstark wüste Rockmusik hört. „Ist diesem Alter ist Beat besser als Bett“, weiß ihn aber seine Ehefrau zu beruhigen. Und so reist Herr Direktor Weber alleine nach Sylt, Freiheit im Kopf, Begehr im Herzen, und macht sich am ersten Abend in der Hotelbar auch gleich an die hübsche Ingrid Steeger heran, die er mit Hochprozentigem beglückt und der er dann ein herzerweichendes Begehr formuliert: „Irgendwann sehnt man sich nach einem Menschen, einem Menschen ganz für mich allein“. Ingrid gruselt’s dabei leider, und so wird nichts aus der trauten Zweisamkeit.

Ingrid ist übrigens mitsamt ihrer Freundin Katrin (Monica Marc) nach Sylt gereist, weil sie beide in einem Oben-Ohne-Tanzwettbewerb gewonnen haben. Katrin gerät auf der Insel an den Chaffeur des Direktors, der sich in einem Tanzschuppen mit den Worten „Marcus Paulsen, Stellungssuchender“ vorstellt und die fesche Frau dann sogleich mit den Worten „Na, wollen wir ’ne Runde wegwackeln?“ zum Tanzen einlädt. Am nächsten Tag ist sie dann aber enttäuscht, daß der gute Mann nur Chaffeur ist, weswegen sie sich gleich an den Generaldirektor heranschmeißt – der fühlt sich durch ihre Avancen so motiviert, daß er des Nachts (laut Dialog ist es Nacht, auch wenn der Himmel hellblau ist) in ihr Zimmer schleicht und sie beglücken will. „Ich bin ein Blitzmerker. Du stehst auf das Direkte, erst rein und dann raus“, eröffnet er ihr, aber sie wirft ihn vor die Tür. Da tut einem der nette Herr Direktor dann schon ein wenig leid.

Ebenso im Ensemble: Ein geschmeidiger Aufreißer namens Thorsten, über den seine Freunde gleich zu Beginn sagen: „Vor allem schnappt er sich immer die ganz jungen, die können nicht weglaufen“. Thorsten lernt gleich zu Beginn zwei nette Mädels kennen, die er mit dem Spruch „Rollstuhl gefällig?“ auf eine Autotour mitnimmt. Die drei tollen ein wenig nackt im Wasser herum, dann verstecken ihm die Mädels die Klamotten. So muß Thorsten also nackt zurückfahren, was ihm aber recht wenig ausmacht.

Und vergessen wir mal nicht den nerdigen Edgar, der mit seiner Tante zu Besuch auf Sylt ist! Die Tante (Rose Renée Roth, die Loriot-Freunden als Tante Mechthild aus ÖDIPUSSI bekannt sein dürfte) ist selbstverständlich schwer schockiert und entrüstet über die permanent kleidungslos herumlaufenden FKK-Strandbesucher, was den Verdacht aufkommen läßt, daß sie sich nicht hinreichend über ihr Reiseziel informiert hat. Edgar lernt beim Strandspaziergang mit seiner Tante eine nette Frau namens Ina kennen, die gerade die herumfliegenden Vögel füttert. Das veranlaßt das gute Tantchen zu einem Spruch, der vermutlich schon 1971 einen Bart von hier bis Wladiwostok hatte: „Sie sind aber ganz besonders gut zu Vögeln!“

Thorsten hat derweil einmal mehr wenig Glück bei den Frauen: Eine nackte Schönheit folgt ihm zwar in die Dünen, will dann aber von seinen Avancen nichts wissen. Gerade will sie wieder gehen, da appeliert er an ihr Mitgefühl: „Bleib wenigstens noch ein paar Minuten da, sonst ist mein Ruf ruiniert“. Das sieht sie dann auch ein und bleibt. Braves Mädchen. Einstweilen kommt auch die Tochter des Generaldirektors nach Sylt gereist, wo sie beim Autostopp sogleich von einem Lehrer lustvoll betatscht wird, was sie nach fünf- bis siebenmaligem Tatschen vehement ablehnt.

Besagter Lehrer ist übrigens verheiratet mit einer schönen Frau, die sich schon vorher im Film mit den Worten „Man nennt mich Hasi“ vorgestellt hat. Hasi hat mehr Glück bei den Männern: Sie reißt einen Kerl in einem Strandhaus auf, indem sie sich nackt in die Badewanne setzt und ihm vorschnurrt: „Wasser ist für mich der halbe Orgasmus“. Als der Lehrer seine schöne Hasi dann mit dem fremden Mann im Haus erwischt, glaubt er, er träumt oder ist im falschen Haus gelandet, weswegen er herausgeht und nochmal reinkommt. Da ist dann wieder alles gut und der unbekannte Jüngling ist verschwunden.

Sollen wir jetzt noch den tückischen Plot erläutern, mit dem die Tochter des Direktors diesem seine Fremdgehversuche austreiben will? Ach, nein, das muß man schon selber mitverfolgen. Reden wir lieber über den schwungvollen Soundtrack, auf dem neben dem oben schon zitierten Lied „Nackedei-dei-dei“ auch permanent ein Song mit dem Refrain „Wer hat dem Hugo den Schnorchel geklaut?“ ertönt. Außerdem zu hören: Eine schöne Nummer mit der noch schöneren Zeile „Wem gehört der schöne Po? / Gisela aus Gütersloh“, sowie der altbekannte Gassenhauer „Feliz Navidad“ in Heavy Rotation. Auf dem Soundtrackalbum zum Film werden bestimmt diese vier Nummern dreimal hintereinander wiederholt, um das Feeling des Streifens adäquat einzufangen.

Falls es der geneigte Leser übrigens noch nicht bemerkt haben sollte: In diesem Film wird hemmungslos gewitzelt. „Wo ist denn hier das Meer?“, wird Thorsten gefragt, worauf der antwortet: „Kurz hinter’m Strand“. Wenig später ist auch folgender schöner Kalauer zu hören: „Ich hab‘ ’ne dufte Party vor. Kommst du mit?“ – „Klar, ich bin doch eine Partysanin“. Und Ingrid Steeger darf sich weiter hinten darüber beschweren, daß ihr bei all den nackten Menschen noch kein Mann fürs Leben untergekommen ist: „Mein Typ ist mir auch noch nicht zwischen die Beine gekommen“.

SONNE, SYLT UND KESSE KRABBEN bleibt übrigens der letzte Film des Regisseurs Jerzy Macc, der in den Fünfzigern immerhin als Regieassistent bei den Wolfgang-Staudte-Filmen ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT und DER MAULKORB arbeitete, bevor er dann 1967 den Streifen HEISSER SAND AUF SYLT inszenierte, den das Lexikon des Internationalen Films als „primitiv-albernes Filmchen mit pseudo-zeitkritischer Handlung“ beschimpft. (Bei solch wohlfeilen Worten will ich den Film, in dem übrigens Horst Tappert mitspielt, natürlich auch gleich sehen.) Maccs Zweitwerk MATTANZA – EIN LIEBESTRAUM mit Günther Stoll bleibt leider verschollen, da die Aufführung offenbar testamentarisch untersagt wird. Danach folgte dann auch schon die letzte Regietat: SONNE, SYLT UND KESSE KRABBEN – aber wie bitteschön hätte Macc diesen Wurf danach auch noch toppen können?



Sonne, Sylt und kesse Krabben (Deutschland 1971)
Alternativtitel: Nackte Liebe im heißen Sand / Nackter Sex auf Sylt / Busen, Po und scharfe Mädchen / Ready, Willing and Able
Regisseur: „Jerry Macc“ = Jerzy Macc
Drehbuch: Peter M. Thouet, Michael Haller
Darsteller: Ingrid Steeger, Monica Marc, Achim Strietzel, Christine Schuberth, Rose Renée Roth, Horst Heuck, Gaby Glöckler, Ina Lane

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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