Interview: Michael Ternai (MICA) über den neuen Austro-Pop

Uncategorized / 16. April 2015

Ich habe vor kurzem für GMX einen Artikel über den „neuen Austro-Pop“ geschrieben – über die plötzliche Popularität österreichischer Bands wie Wanda und Bilderbuch, die auch im deutschsprachigen Ausland einige Erfolge feiern können. Ich habe dafür mit Michael Ternai vom MICA (Music Information Center Austria) telefoniert, um diesem neuen Austro-Sound auf den Grund zu gehen. Unten findet ihr das komplette Interview, meinen dazugehörigen Artikel findet ihr hier bei web.de.

Glaubst du, daß es so etwas wie den „neuen Austro-Pop“ tatsächlich gibt, oder ist das etwas, das wir vom Feuilleton uns so ein bisschen herbeiwünschen?

Nun, das ist eigentlich ein Begriff aus den Achtziger Jahren, der einen bestimmten Stil oder eine bestimmte Interpretation der deutschsprachigen Popmusik abgebildet hat – der klassische Austro-Pop: Ambros, Fendrich und so. „Neuer Austro-Pop“, nun ja … es gibt eine Band, die heißt Blonder Engel, die haben gerade vor zwei Wochen ein neues deutschsprachiges Album herausgebracht. Die haben gesagt: Wir machen Pop im österreichischen Dialekt, also machen wir Austro-Pop. Also, man kann das so oder so sehen. Sagen wir’s so: Es ist Popmusik aus Österreich. Das ist der Überbegriff, unter dem jetzt alles abläuft.

Was zeichnet die Gesamtheit an Musik aus, die da gerade aufkommt?

Es ist vor allem im Moment eine unglaubliche musikalische Breite und Vielfalt in Österreich vorhanden. Es war lange Zeit die deutsche Sprache nicht wirklich unbedingt „in“ in Österreich, aber jetzt dürften die Künstler und Musiker vor allem im Pop wieder die deutsche Sprache entdeckt haben, also den Dialekt. Sie trauen sich wieder und haben keine Berührungsängste zu diesem Begriff „Austro-Pop“ aus vergangenen Tagen.

Es sind viele Faktoren, die zusammenspielen: Ich glaube, warum jetzt einige Bands gerade den Sprung aus Österreich herausschaffen, liegt einfach daran, daß in den letzten Jahren sehr viel passiert ist. Zum einen hat generell eine Professionalisierung stattgefunden in Österreich – unter den Labels und den Musikern selbst – was die Mechanismen des Marktes angeht und wie man damit umgeht, wie man selber Marketing macht. Auf der anderen Seite glaube ich, daß durchaus auch von Seiten des Publikums der Wunsch nach etwas Neuem, nach neuen österreichischen Songs da ist. Dann glaube ich, daß die Leute, die hier in Österreich verantwortlich dafür sind, sich auch besser vernetzt haben, auch ins Ausland, und diese Kanäle, die sie sich eröffnet haben, jetzt auch besser nutzen können. Es gibt auch solche Plattformen wie das Popfest Wien zum Beispiel, wo ganz öffentlich auf niederschwelliger Ebene allen Hörern dargestellt wird, was für super Musik es in Österreich gibt.

Ich glaube, diese kleinen Bausteine wirken alle im Moment zusammen. Das macht die Stärke der österreichischen Popmusik heute aus. Man kann nicht sagen, daß Bilderbuch urplötzlich vom Himmel heruntergefallen sind und Erfolg haben – die gibt es schon seit 10 Jahren, und sie haben kontinuierlich an sich gearbeitet und mit den Leuten um sich herum daran gearbeitet, daß sie jetzt dort stehen, wo sie stehen.

(An dieser Stelle wurde unser Telefonat unterbrochen – offenbar war das Netz überlastet. Nach mehrfachen Fehlversuchen konnten wir ungefähr 15 Minuten später das Interview fortführen.)

Neuer Austro-Pop, aber altes Telering-Netz …

(lacht) Na, bei so einem schweren Thema …

Findest du, daß man all diesen Bands auch tatsächlich anhört, daß sie aus Österreich kommen?

Mmmh … das ist eine gute Frage. Bei Wanda zum Beispiel, die auch in Deutschland relativ durchgestartet sind, würde ich wegen dem Wiener Dialekt „ja“ sagen. Bei Bilderbuch … ja, das ist deutschsprachige Popmusik. Natürlich kann die auch in Deutschland entstanden sein, aber sie ist in Österreich entstanden, das ist der Unterschied. Sie haben ja auch vor kurzem in einem Interview von uns auf die Frage, ob sie woanders auch groß herausgekommen wären, oder ob sie den Plan haben, mal nach Berlin zu gehen und dort die Karriere weiterzupushen, geantwortet: Hier in Wien haben sie alles. Hier ist ihre Homebase, von hier aus können sie genauso gut ihre Karriere pushen und Musik machen. Aber ja, das typisch österreichische Element findet sich bei Bilderbuch weniger als bei Wanda oder einem Nino aus Wien zum Beispiel.

Du hast vorhin gesagt, daß die Bands jetzt die Haltung haben, daß die österreichische Sprache nichts Problematisches mehr ist – was ja lange Zeit anders gesehen wurde. Glaubst du, es ist eine Marke für Bands, wenn man ihnen anhört, daß sie von hier kommen?

Ja, ich denke schon, natürlich. Es sind ja nicht nur Wanda oder Bilderbuch oder Julian le Play, der jetzt auch erste erfolgreiche Schritte nach Deutschland macht. Darunter laufen ja auch Bands, die Wiener Soul haben, aber auch in Bayern schon recht bekannt sind und dort auch die Konzertsäle füllen – die haben alle dieses typisch Wienerische oder den österreichischen Dialekt. Bei Konzertankündigungen von Wanda schreibt man immer: Das ist eine Wiener Band, die den Wiener Soul hat – natürlich ist das eine Marke. Der Unterschied zu früher ist, daß diese Marke jetzt einen gewissen Coolness-Faktor hat. In den Achtziger Jahren war es eher das Gegenteil, da war das abgeflaut – das war nicht cool, sondern eher altbacken. Jetzt ist wieder das Image da: In Österreich entsteht coole Musik, wir haben diese bestimmte Note.

Warum hat sich das verändert, daß man sich heute hinstellen kann und sagt: Wir kommen aus Österreich, wir klingen so und man hört uns den Dialekt an? Selbst hierzulande wollten die Leute das ja lange Zeit eigentlich gar nicht haben.

Ich denke, daß einerseits das Selbstbewußtsein der Bands gestiegen ist – das Selbstbewußtsein, zu zeigen, woher man kommt. Zum anderen – ich habe letzte Woche ein Interview mit Julian le Play geführt, der hat etwas ganz Interessantes gesagt: Der hat seine allerersten Lieder auch in Englisch geschrieben. Er war ein Jahr in Australien. Hier in Österreich ist er irgendwann zu dem Punkt zurückgekommen, daß er mit der englischen Sprache, weil er Österreicher ist, nicht das ausdrücken kann, was er ausdrücken will. Er ist an sein Limit gestoßen und hat gesagt: Scheiß drauf, ich sing auf Deutsch. Bei Julian le Play war es so, und es wird bei vielen anderen auch so sein, daß sie sagen – warum soll ich verbergen, woher ich komme?

Das mit dem Selbstbewußtsein finde ich ganz interessant. Die Bands sind ja vom Sound her ganz unterschiedlich – Bilderbuch klingen überhaupt nicht nach Wanda, und die klingen dann wieder überhaupt nicht nach Olympique, und so weiter – aber das Selbstbewußtsein verbindet sehr viele von denen. Das ist eigentlich recht unösterreichisch, sich hinzustellen und das mit einer gewissen Selbstverständlichkeit zu tun, was früher ja sehr herabgespielt wurde.

Ich arbeite jetzt schon 8 Jahre hier bei MICA – als ich begonnen habe, hatte ich mehr noch das Gefühl, daß das alles nicht richtig greifbar war. Es hat schon gebrodelt im Untergrund, es hat den einen oder anderen Act gegeben, der irgendwie schon angedeutet hat, daß da was kommen kann. Ich glaube, die Unterstützung innerhalb der Szene ist so stark geworden, daß man sich gegenseitig pusht, und es sind Strukturen entstanden, die das Selbstbewußtsein angeregt haben, die das gefördert haben. Gebucht worden ist wieder vermehrt. Das Publikum konnte also auch erreicht werden. Mit dem steigenden Selbstbewußtsein ist, glaube ich, auch der Publikumszuspruch größer geworden.

Da sind dann Sachen dazugekommen wie das Popfest in Wien, das ich vorhin erwähnt habe, wo dezidiert die Popmusik aus Österreich in den Vordergrund gestellt wurde und das Publikum wirklich zuhauf gekommen ist. Klar, das war immer ein Gratisfestival, aber trotzdem war es eine Plattform, um zu zeigen: Hier gibt es gute österreichische Musik. Und das ist auch super angenommen worden vom Publikum.

Bisher war’s immer so: Bevor man in Österreich irgendwie anerkannt worden ist als österreichischer Künstler, hat man im Ausland etwas reißen müssen. Das war bei Kruder & Dorfmeister so, das war bei Parov Stelar so – der hat ja international jahrelang erstmal alles beackern müssen, hat vor Tausenden von Leuten gespielt, und hat vor zwei Jahren gerade mal den Amadeus Award überreicht bekommen. Jetzt ist es zum ersten Mal so, daß in Österreich selbst die Anerkennung am Wachsen ist, daß Musik aus Österreich so gut sein kann. Das bewirkt natürlich im Umkehrschluß, daß man viel selbstbewußter auftritt und auch im Ausland wahrgenommen wird.

Wobei ich ganz interessant finde, daß zum Beispiel Bilderbuch ein ganz großes Rolling-Stone-Feature kriegen, aber hier bei uns auf Ö3 eigentlich ignoriert werden. Genauso wie andere Bands, die da aufkommen. Ein bißchen existiert das schon noch, daß das Ausland das aufgreift und dann erst rücken wir ein bißchen nach.

Aber im Vergleich zu früher, vor vielen Jahren, ist es doch deutlich anders geworden. Natürlich gibt es diese nicht zu definierende Barriere zwischen FM4 und Ö3 immer noch. Aber Bilderbuch zum Beispiel werden, was ich gehört habe, jetzt auch mal auf Ö3 gespielt und ins Programm aufgenommen. Ich glaube, da gibt es auch schon eine Durchlässigkeit. Julian le Play war ja freier Mitarbeiter bei Ö3 und hat moderiert, auf der anderen Seite hat er Musik gemacht, und er sagt auch, daß da eine undefinierbare, traditionelle Mauer zwischen FM4 und Ö3 da ist. Aber das bricht irgendwie auf, glaube ich. Es wäre natürlich wünschenswert, daß viel mehr österreichische Musik gespielt wird, aber ich bin da eher optimistisch für die Zukunft. Ich glaube, man kann die österreichische Musikszene nicht mehr ignorieren.

Deswegen hatte ich auch am Anfang gefragt, ob wir uns das vielleicht ein bißchen herbeiwünschen, wenn wir vom „neuen Austro-Pop“ reden – es gibt ja schon immer viel spannende Musik aus dem Land, und wie du sagst, früher wurde das teilweise gar nicht wahrgenommen. Und aus diesem Wunsch heraus, daß da jemand mal bitteschön drauf schauen möge, nutzen wir jetzt die Chance, um auch auf andere Bands zu zeigen und zu sagen: Die sind auch spannend.

Ich glaube, es sind wirklich diese kleinen Zahnrädchen, die ineinanderwirken. Anscheinend treffen die Bands mit ihrer Musik, so verschieden sie auch sein mag, den Nerv der Zeit. Dann haben sich die Strukturen professionalisiert – es gibt die Festivals, es gibt die Veranstalter, die auch jetzt wieder österreichische Musik buchen, das wirkt alles positiv zusammen im Moment.

Weil du vorhin Julian le Play erwähnt hast, der sagt, daß er sich auf Deutsch besser ausdrücken kann – glaubst du, das hat noch ein bißchen was mit der Bewegung zu tun, die ja auch in Deutschland vor einigen Jahren stattgefunden hat? Wir sind Helden, Mia …

Das glaube ich nicht, das ist ja jetzt schon viele Jahre her. Ich glaube nicht, daß Bilderbuch oder Wanda wirklich nach Deutschland geschielt haben, als sie ihre Songs geschrieben haben. Es ist hier in Österreich gewachsen. Natürlich, man muß realistisch sein: Der österreichische Markt ist klein, jeder strebt natürlich, wenn er deutsch singt, nach Deutschland.

Was waren denn abseits von der Sprache die Probleme, die österreichische Bands hatten, um bemerkt zu werden oder auch über die Landesgrenzen hinauszukommen?

Es war der Blick von außen nach Österreich nicht wirklich da. Was wirklich ein bißchen den internationalen Fokus auf Österreich richtet, sind die ganzen Showcase-Festivals, die stattfinden. Das Eurosonic Festival in Groningen zum Beispiel – das ist das größte Showcase-Festival in Europa. Da werden Bands aus den ganzen Ländern gezeigt. Im Jänner 2014 war Österreich zum Beispiel Schwerpunktland beim Eurosonic Festival. Da sind 15 Bands dagewesen – 15 österreichische Acts haben sich den Tausenden von Hörern und Journalisten vorstellen können. Es ist vielleicht nicht der unmittelbare Effekt, daß die Leute von da weggebucht werden, aber wenn man sich immer gegenseitig einlädt, immer die Leute dazu bringt, auf die österreichische Musikszene zu schauen, dann hat das einen längerfristigen Effekt.

Merkt ihr denn vom MICA etwas von diesem Boom? Seid ihr beschäftigter, melden sich mehr Leute bei euch?

Sagen wir mal so: Wie du vorher schon gesagt hast, es hat immer schon sehr gute Musik gegeben – daran hat’s nie gemangelt. Aber ein Teil von uns arbeitet ja auch im Music Export mit, und da ist schon festzustellen, daß mehr über österreichische Musik gesprochen wird. Die Anfragen sind da – vor ein paar Jahren war das unvorstellbar, daß zum Beispiel Klangkarussell, dieses Salzburger Electronic-Duo, in England einen Nummer-2-Hit haben. Genau in dieser Folge werden wir auch darauf angesprochen: Was läuft denn da bei euch ab?

Jetzt habe ich noch so eine Kristallkugel-Frage: Welche Bands, die jetzt aufkommen, findest du spannend, und wo glaubst du, dass man recht bald von denen hören wird?

Eine, von der ich glaube, daß man hören wird, ist Lylit. Das ist Eva Klampfer, die kommt ursprünglich aus dem Jazz. Die hat für Parov Stelar gesungen. Das Album wird im Juni herauskommen, und die hat einen ehemaligen großen Motown-Produzenten und hat das Album in New York aufgenommen. Sie wird auf MTV auch schon als „featured artist“ gepusht. Sie hat einen Appeal, singt auf Englisch – die könnte wirklich durchstarten. Ich glaube, Bilderbuch wird sich weiter etablieren. Ich bin mir sicher, Wanda auch. Ansonsten … es gibt viele Bands, und eine einzelne herauszupicken wäre unfair. Das darf ich eigentlich auch gar nicht (lacht).

Ich find’s wirklich spannend, was da im Moment abgeht. Wie gesagt, ich bin jetzt schon relativ lang dabei, und das Spannende zu beobachten war, daß sich da wirklich etwas zum Positiven hin gewandelt hat. Daß man weggegangen ist von dieser Immer-jammern-Kultur und gesagt hat: Man nimmt die Sachen selbst in die Hand. Und das funktioniert anscheinend ganz gut (lacht).

Photo: Michael Ternai.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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