U-BAHN – NÄCHSTER HALT: TERROR – Genrespannung mit einer Prise Politdiskurs

Uncategorized / 3. Oktober 2014

Ich bin mir nicht ganz sicher, wo mein Faible für psychologische Spannung auf engstem Raum angefangen hat. Vielleicht war es Wolfgang Petersens klaustrophobisches Kriegsdrama DAS BOOT, das ich als Kind wegen meiner Faszination für U-Boote gesehen habe; ganz sicher spielte Carl Schenkels 4-Menschen-im-Fahrstuhl-Thriller ABWÄRTS eine große Rolle, den ich in jungen Jahren unzählige Male angeschaut habe. Ich mag es, unterschiedliche Figuren in einer begrenzten Lokalität aufeinanderprallen zu sehen – in einem Raum, den sie nicht verlassen können, und der vielleicht sogar Lebensgefahr bedeutet. Es fasziniert mich, wie in diesen Situationen die Alltäglichkeit abgestreift wird und die Figuren ihre Geheimnisse und wahren Gesichter offenbaren, und gleichzeitig finde ich es spannend, wie Filmemacher mit solch beschränkten Mitteln inszenatorisch umgehen – ob es nun der bühnenhafte Beratungsraum der 12 GESCHWORENEN ist, das verbarrikadierte Haus in DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN oder das Apartment in COCKTAIL FÜR EINE LEICHE.

Auch Robert Kirbysons Low-Budget-Thriller U-BAHN – NÄCHSTER HALT: TERROR (im Original einfach RED LINE) bugsiert sein kleines Ensemble in kürzester Zeit in einen abgeschlossenen Raum, in dem sie bis zum Filmende bleiben werden: In einer U-Bahn in Los Angeles wird ein Bombenanschlag verübt, und ein paar überlebende Passagiere sind nun in dem verschütteten Tunnel gefangen. Während sie einen Ausweg suchen, finden sie eine zweite Bombe – und der Verdacht keimt auf, daß der Terrorist vielleicht als Selbstmordattentäter noch unter ihnen sein könnte …

Die Figuren werden in nur wenigen Minuten kurz angerissen, bevor sie in die U-Bahn steigen – und nach kurzer CGI-Explosion sind wir schon mit ihnen in der Falle. Dann läßt Kirbyson seine Charaktere durch Entwicklungen gehen, die zum festen Genregepäck gehören: Nach Sondierung der Lage verzweifeln manche, andere werden zu Anführern. Eine stille Frau trauert um ihren verstorbenen Ehemann, ein aufbrausender Mann zeigt wenig Geduld mit den anderen, weil er seine verwundete Frau retten will. Ein Soldat mit Bombenerfahrung verdächtigt einen fremdländisch aussehenden Überlebenden. Der wird nur von einem jungen Mädchen in seinem Alter für unschuldig gehalten und verteidigt. Und ein älterer Herr will sich opfern, weil er seine Frau in dem Unglück verloren hat.

Es sind keine tiefschürfenden Einblicke und keine unglaublich originellen Charakterbögen, die hier produziert werden, aber die Spannungen zwischen den Figuren sind kompetent inszeniert und funktionieren einwandfrei über die Laufzeit des Films. Interessant ist, wie der Film an den Schrecken vom 11. September 2001 und seine Folgen angebunden ist: Schon die einleitenden Worte sprechen das Twin-Towers-Attentat an, die späteren Handlungen der Passagiere erinnern damit vage an die Geschichte der Menschen an Bord des Fluges 93. Ein junger Mann erklärt, daß er schon immer mal den Helden spielen wollte, und muß kurz darauf sinnlos sterben – gewissermaßen kriegt er damit, was er wollte, weil ja auch im Anschlagsnarrativ später jedes Opfer zum Held erklärt wurde. Daß ein nicht einheimisch aussehender Mensch verdächtigt und in Anbetracht der Notsituation auch gleich auf Informationen hin gefoltert wird, mag nicht zum ersten Mal in einem Film zu sehen sein, aber ein effektiver Kommentar zur fehlgeleiteten Hysterie in den Jahren nach 9/11 ist es immer noch – zumal Hollywood sich immer noch mit so großer Befangenheit an das Thema herantastet, sei es in Form von Oliver Stones vermeintlich unpolitischem WORLD TRADE CENTER oder mit Peter Markles verkitschtem Drama FLIGHT 93.

So mag U-BAHN primär ein solider, spannender Genrefilm für die Videothek sein – beziehungsweise wohl für Netflix, wo solche preiswert produzierten Titel bald eher ihre Hauptheimat finden werden – aber er schmuggelt doch ein paar interessante Gedanken ein. Nicht zuletzt die letzte Szene und der abschließende Austausch zwischen Terrorist und Überlebendem reißen mehr Komplexität an, als es so manche direktere 9/11-Reaktion schafft.

TERRORIST: And after all that happened to you today … you choose virtue. The more virtuous, the harder the choice … good girl. I am a good teacher.
ÜBERLEBENDE: Who I am has nothing to do with you.
TERRORIST: It does now.



U-Bahn – Nächster Halt: Terror (USA 2013)
Originaltitel: Red Line
Regie: Robert Kirbyson
Drehbuch: Robert Kirbyson, Tara Stone
Musik: Alan Derian
Kamera: Robert Kirbyson
Darsteller: Nicole Gale Anderson, John Billingsley, Kunal Sharma, Kevin Sizemore, Joseph Williamson, Mark Saul, Keena Ferguson, Kym Jackson, Renee Sly, Anna Maganini






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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