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XENOBLADE CHRONICLES X: Alltag in der neuen Welt

Unser Gastautor Don Arrigone knöpft sich diesmal XENOBLADE CHRONICLES X vor, das mit einer üppigen, detailliert gestalteten Welt und zahllosen Nebenaufträgen zur Erkundung lockt. Don berichtet von seinen Erfahrungen in New L.A., geht auf Stärken und Schwächen des JRPGs ein – und bemüht sich nebenher, das Spiel in die komplizierte XENOSAGA einzuordnen:


XENOBLADE CHRONICLES X für die WII U ist ein Ableger von XENOBLADE CHRONICLES, jedoch nicht dessen Fortsetzung (XENOBLADE CHRONICLES 2), sondern ein scheinbar unabhängiger Stand-Alone-Titel. Gemeinsam sind sie Teil der XENO-Serie, die mit XENOGEARS auf der Playstation 1 begann. Das stellte damals Episode V einer geplanten Reihe dar, die jedoch bis auf einen Teil, eben XENOGEARS, nie verwirklicht werden konnte. XENOBLADE CHRONICLES X würde allerdings an den Beginn dieser Reihe passen und hat Parallelen zur nie entwickelten Episode I. Zudem suggeriert das Ende, daß zwei Charaktere von XENOBLADE CHRONICLES X ebenso Teil der XENOSAGA-Reihe sind. Die XENOSAGA-Reihe war auf sechs Episoden angelegt, wurde dann aber auf drei gekürzt. XENOSAGA passt nicht in das Episodenschema von XENOGEARS, dennoch gibt es potenzielle Verbindungen. Was das bedeutet? Einerseits, daß die XENO-Teile wohl keine schlüssige Timeline haben, sondern nur wiederkehrende Topoi. Andererseits, dass Fans, die unbedingt eine Timeline haben wollen, bis zum Ende aller Tage spekulieren und streiten können. Ein bisschen wie bei LEGEND OF ZELDA, vielleicht noch ein wenig komplizierter.

XENOBLADE CHRONICLES X beginnt mit einem schlechten Tag für die Menschheit. Verfeindete Alienrassen haben sich ausgerechnet die unmittelbare Umgebung der Erde ausgesucht, um ihren Konflikt möglichst martialisch auszufechten. Die Erde geht dabei als Kollateralschaden in die Brüche, die Menschen versuchen in gewaltigen Rettungsschiffen zu fliehen. Eines dieser Schiffe ist die White Whale. Sie kann tatsächlich dem intergalaktischen Schlachtfeld entkommen und beginnt damit ihre zweijährige Odyssee durch den Weltraum. Zeit zum Aufatmen bleibt wenig: Eine der Alienrassen hat die Menschheit auf Schritt und Tritt verfolgt, stößt auf die White Whale und beginnt sogleich ihr Bombardement. Glücklicherweise liegt der Planet Mira ums Eck, auf dem das Raumschiff notlanden kann. Obendrein hat dieser Planet sogar eine für Menschen verträgliche Atmosphäre, weswegen einem Neuanfang der Spezies wenig im Wege steht. Von ihrer Hauptstadt New L.A. aus wollen die Überlebenden nun den Planeten erkunden und kolonisieren.

Jeder Ort der gewaltigen Welt ist tatsächlich begehbar.

Dementsprechend dreht sich die Handlung ums Überleben, Entdecken und den Alltag in der neuen Welt. Die Haupthandlung an sich, ansonsten die große Stärke der XENO-Spiele, gewinnt diesmal sicher nicht den ersten Platz. Letztlich geht es nur darum, zum wichtigsten Teil der White Whale, dem sogenannten Lifehold-Core, vorzudringen. Die Spannung dieser Aufgabe leidet vor allem unter der drögen Inszenierung. Gegenüber den statischen Zwischensequenzen, in denen sich Charaktere ungeachtet jeder Eile in den immer gleichen Posen unterhalten, wirkt selbst STAR TREK wie ein Formel 1-Rennen auf Koks. Ich brauche in meinen Rollenspielen nicht Stunden feinst animierter Actionsequenzen, aber zum Finale hin dürfte etwas Pomp schon sein. Das soll nicht bedeuten, dass die Handlung von XENOBLADE CHRONICLES X schlecht ist, aber schwächer als von Hersteller Monolith Soft gewohnt und in Sachen Erzählweise mit Luft nach oben.

Das wirkt nun wie vernichtende Kritik gleich zu Beginn, aber man muss sich bei XENOBLADE CHRONICLES X etwas umgewöhnen. Die zahlreichen – äußerst zahlreichen – Nebenquests, in denen man mehr über einzelne Charaktere und das Leben auf dem Planeten Mira erfährt, sind nicht Mittel, um sich für die Hauptquest aufzuleveln, sie sind der eigentliche Zweck. Ziel war es offenbar nicht – so auch die Macher in Interviews – eine Geschichte zu erzählen, sondern eine ganze Welt zu erschaffen. Erzählerisch ist das voll und ganz gelungen. So trifft man bei einem Spaziergang im Industrieviertel zufällig einen etwas wirren Professor, der einen bittet, einige seltene Bauteile aus der Wildnis zu besorgen. Kaum hat man diese organisiert, offenbart er, daß er an einer Zeitmaschine arbeitet, für die er noch ein Auto braucht. Außerdem ist die Konkurrenz bereits hinter ihm her. Und er benötigt noch dringend einen Testpiloten für die Zeitmaschine. Ob man nicht einen Vertreter der freundlichen Alienrassen dazu überreden könnte? Nebenquests wie diese sind ebenso überraschend wie erfrischend und unterhaltsam, gelegentliche filmische Hommagen (an anderer Stelle bewegt man sich durch ein Labor, das ALIEN oder THE THING entsprungen sein könnte) sorgen für ein Lächeln, ohne aufdringlich zu sein oder aufgesetzt zu wirken. Und wäre man im Industrieviertel statt rechts links abgebogen, hätte man in derselben Zeit eine vollkommen andere Aufgabe bewältigt, beispielsweise mit der überdrehten Roboterkonstrukteurin Alexa oder dem versoffenen Veteranen Fyre. Dessen schüchternen, ängstlichen Bruder Phog findet man übrigens im Residenzviertel … kurz: Man könnte seitenlang die Nebenhandlungen besprechen, das Quellmaterial hatte angeblich den Umfang eines Romanes, vermutlich von russischem Kaliber. Da stört es auch wenig, dass sich die Aufgaben, die man schließlich erledigt, oft ähneln; nervig werden nur die Sammelquests, das liegt nun einmal in ihrer Natur.

Mit den riesigen Skell-Robotern kann man sich auch mit großen Gegnern einlassen.

Aufgrund der zahlreichen sympathischen und interessanten Charaktere ist es etwas schade, dass unser Hauptcharakter Cross ein stummer Protagonist ist, ohne große Persönlichkeit und mit eingeschränkten Entscheidungsfähigkeiten. Für die Handlung ist dies insofern egal, als dass sich unsere ständige Begleiterin Elma als eigentliche Heldin entpuppt, die wir einfach aus Cross‘ Perspektive beobachten. Wenn man an die anderen Hauptcharaktere der XENO-Spiele denkt, wie beispielsweise Shulk, Fei Fong Wong oder meine persönliche Favoritin Shion Uzuki, ist dies freilich ein Rückschritt, hier wurde eine Chance verschenkt.

Geschuldet ist das dem MMORPG-Ansatz von XENOBLADE CHRONICLES X. Die Online-Funktionen wie der Tausch von Gegenständen oder das Rekrutieren der Avatare anderer Spieler machte einen austauschbaren, individualisierten Protagonisten notwendig, weswegen auch die Handlung während des Projektes noch einmal geändert wurde.

Überhaupt spielt sich XENOBLADE CHRONICLES X weitgehend wie ein MMORPG. Im Kampf schlagen die Helden automatisch und in Echtzeit zu, der Spieler muss nur die Spezialattacken aktivieren und diese zu möglichst beeindruckenden und vernichtenden Kombos zusammenfügen. Ein Klassensystem, eine Vielzahl von Fähigkeiten und passive Eigenschaften sorgen ebenso für Abwechslung wie die hochgradig individualisierbaren Waffen. Oberflächlich einfach wird das Kampfsystem von XENOBLADE CHRONICLES X im Detail höchst komplex; seinen Charakter wirklich zu optimieren dauert wohl weit über 100 Stunden. Und dann gibt es mit den sogenannten Skells noch steuerbare Riesenroboter, die wiederum ideal ausgerüstet und weiterentwickelt werden wollen. Wer auf mathematisches Feintuning steht, wird hier seine hellste Freude haben. Und das Hauptspiel lässt sich gut beenden, ohne auf alle Feinheiten einzugehen.

New L.A., die neue Heimat der Menschheit, und seine texturlosen Fahrzeuge.

In puncto Welt gelten ebenso die Stichworte MMORPG und Open-World. Mehr als die Hälfte der Welt ist theoretisch von Anfang an begehbar, ab der Hälfte des Spieles kann die ganze Welt erkundet werden. Problem sind nur die zahlreichen Gefahren, die auf Mira lauern und doch nahelegen, sich nicht mit Level 20 ins letzte Gebiet zu wagen. Beeindruckend ist, dass trotz der extremen Größe der Welt immer wieder Details zu entdecken sind, wie Aussichtspunkte oder versteckte Schätze. Hier wurde mit viel Liebe zum Detail gearbeitet, vor allem der mythische, fast schon etwas surreale Kristall-Kontinent Sylvalum hat es mir angetan, oder das geheimnisvolle Gebiet im Norden des Urwalds von Noctilium. Einziger Wermutstropfen ist, dass für die große Welt fast vollständig auf Dungeons verzichtet wurde, weswegen Fans finsterer, fieser Verliese ein wenig enttäuscht sein dürften. In dieser Hinsicht war die XENO-Reihe auch schon stärker, auch wenn einzelne Level von XENOGEARS beim Gedanken daran eine posttraumatische Belastungsstörung bei mir auslösen.

Die Grafik ist der Größe der Welt angemessen. Ansprechende Designs und detailverliebt, aber auch mit ihren technischen Beschränkungen, die nicht zuletzt der WII U geschuldet sein dürften. Am ärgerlichsten habe ich es empfunden, wenn Objekte vor ihren Texturen geladen sind und sich entsprechend trist präsentieren. Die JPop-lastige musikalische Untermalung hingegen ist sehr gut gelungen, was die Qualität der atmosphärischen Stücke angeht, quantitativ hätte man ob der gewaltigen Spielzeit durchaus noch mehr bieten können. So gut ein einzelner Track auch ist, im Laufe von rund 80 Stunden Spielzeit hört man sie doch … oft. Und wer das Spiel wirklich zu 100% beenden will, der kann wohl am Ende jedes Lied auswendig mitsingen.

Damit bleibt XENOBLACE CHRONICLES X ein Unikat unter den JRPGs. Der Ansatz, eine Welt zu schaffen, anstatt eine Geschichte zu erzählen, ist aufgegangen. Das Kampfsystem fügt sich nahtlos in die Erkundungen ein, ein klassisches, rundenbasierendes System hätte hier wohl den Fluss gestört. Wie bei einem derart ambitionierten Projekt zu erwarten war, mussten Opfer gebracht werden, und das waren die Haupthandlung und der Hauptcharakter – gerade ein ausgefeilter Protagonist wäre mir lieber gewesen als die Onlinefunktionen. Und auch wenn es ein paar Zwischensequenzen und Musikstücke mehr hätten sein dürfen, ist XENOBLADE CHRONICLES X nicht nur eine erfrischende Abwechslung, sondern ein weiterer Beweis, dass Monolith Soft im Bereich JRPG inzwischen bei den ganz Großen mitspielen darf.

Don Arrigone
Als Kind ausgesetzt und im Kloster zum Heiligen Massacesi aufgezogen. Zeigte schon in jungen Jahren Interesse an jeglicher Art von Film, insbesondere aber an den Genres Horror und Thriller. Studium der Theologie, Magisterarbeit zur Darstellung der Nonne im italienischen Film des 20. Jahrhunderts. Priesterweihe, und Beitritt zum Geheimorden der Fratri Rossi. Tod während einer nächtlichen Orgie, aufgrund seines sündigen Lebenswandels hinabgefahren in die Hölle. Gefangen im 9. Zirkel der Unterwelt und somit gezwungen, bis zum jüngsten Tag Videothekenfutter zu rezensieren.

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