FilmRetrospektive

DO YOU REMEMBER LAURIE ZIMMER?: Wo steckt die Heldin aus John Carpenters ASSAULT?

Ob ich mich an Laurie Zimmer erinnere, fragt mich der Filmtitel. Natürlich tue ich das: Sie hat als toughe Sekretärin Leigh im belagerten Polizeirevier in John Carpenters ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine attraktive, coole Frau mit Klasse, souverän wie eine Lauren Bacall, und mit einem eindringlichen Blick, der zwischen ihr und ihren Gegenübern eine spannende Chemie erzeugt. Sie empfahl sich mit der Rolle als Schauspielerin, die man im Auge behalten muss.

Würde der Filmtitel fragen, wer Laurie Zimmer kennt, würde die Antwort in den meisten Kreisen aber ernüchternd ausfallen: Sie blieb völlig unbekannt, kurz nach ASSAULT verschwand sie von der Leinwand. Geschichten wie die ihre findet man hundert- und tausendfach in Hollywood: Ein paar Jahre, ein paar Rollen, und dann sorgen die Fehlschläge und Enttäuschungen dafür, dass eine andere Karriere eingeschlagen wird. Laurie Zimmer hatte das Glück, dass sie ihre eine große Rolle in einen Streifen führte, der zum Kultfilm geworden ist – aber für mehr hat es, aus welchen Gründen auch immer, nicht gereicht. Es wäre interessant, was aus ihr geworden wäre, wenn sie auch in Carpenters nachfolgendem Film HALLOWEEN mitgespielt hätte.

Laurie Zimmer in Charlotte Szlovaks D’UN JOUR À L’AUTRE.

Die französische Filmemacherin Charlotte Szlovak begibt sich mit der knapp einstündigen Dokumentation DO YOU REMEMBER LAURIE ZIMMER? auf die Spuren der sang- und klanglos verschwundenen Schauspielerin – und damit auch gleichzeitig in ihre eigene Vergangenheit. In den Siebzigern arbeitete sie mit Zimmer an einem Film namens D’UN JOUR À L’AUTRE, der aber nie fertiggestellt wurde. Sie verlor den Kontakt mit der Schauspielerin – und entschloss sich 25 Jahre später, sie wiederzufinden.

Es ist beinahe ein philosophischer Krimi, der sich da abspielt. Zimmer hatte damals in Hollywood alle Zelte abgebrochen, und es war völlig unklar, wohin es sie verschlagen hatte – oder ob sie überhaupt noch lebt. Tatsächlich firmierte die Schauspielerin damals schon unter zwei Namen: Laurie Zimmer und Laura Fanning. Szlovak besucht die alten Adressen, die sie noch hat, und spricht mit Leuten, die sie einst gekannt haben, aber jede Spur führt ins Leere. Mit Hilfe eines Privatdetektivs findet sie ein Haus, in dem Zimmer einst gewohnt hat, aber die jetzigen Besitzer können ihr nur insofern weiterhelfen, als dass sie sich erinnern, dass Laurie einen Mann und zwei Kinder hatte. Sie bezahlt einen Fahrer, der mit einer großen Tafel durch Los Angeles fährt: „Do you remember Laurie Zimmer?“, steht darauf, inklusive dem alten Photo aus ihrer Schauspielerkartei, und einer Telefonnummer. Die paar Anrufe, die sie erhält, stammen von Neugierigen – die womöglich sogar Werbung für ein spannendes Filmprojekt wittern.

Eine massive Suchaktion auf den Straßen von Los Angeles.

Ich will nicht vorwegnehmen, ob Szlovak Zimmer findet, oder was sie über Zimmers Verbleib herausfindet. Ihre oft ereignislose Suche ist ein Porträt einer Stadt, in der einem die Vergangenheit wie eine Phantasie vorkommt. Immer wieder schneidet sie zwischen Aufnahmen ihres alten Films D’UN JOUR À L’AUTRE, in denen Zimmer durch Los Angeles fährt, und ihren eigenen Reisen durch die Stadt hin und her. Sie bezeichnet L.A. im Voiceover als „endlose Vorstadt“ und als „Stadt der Chimären“. „Überall sehe ich nur die Arroganz des Geldes, des Erfolgs und der Macht“, kommentiert sie die hochhausgroßen Anzeigen für aktuelle Film- und Fernsehproduktionen. Die Vergangenheit mag filmisch festgehalten worden sein, aber dennoch ist sie nicht real: An erfolglose Schauspieler erinnert man sich in dieser Stadt eben nicht.

Ich musste bei Szlovaks Suche immer wieder an meine eigenen Erfahrungen in Los Angeles denken, wo ich für meine Doku FINDING PLANET PORNO nach Personen geforscht habe, die vor vielen Jahrzehnten mit dem von mir porträtierten Regisseur Howard Ziehm oder seinen Filmen zu tun hatten. Man durchforstet das Netz, ruft auf Verdacht zahllose Telefonnummern an, fragt frühere Kontakte, aber was immer die Leute vor 40 oder 50 Jahren gemacht haben, ist schon fast nicht mehr wahr. Man weiß gar nicht, ob diese Personen nicht vielleicht schon verstorben sind – oder ob sie womöglich gar nicht gefunden werden wollen, weil sie mit ihrer Vergangenheit vehement abgeschlossen haben. Und aus irgendeinem Grund haben die vagen biographischen Informationen, die man dabei zusammenträgt, etwas so viel Echteres an sich als die Entertainment-Karrieren, bei denen die Leute stets sichtbar bleiben.

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2012 capelight pictures, die dem Mediabook von ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT beiliegt.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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