SUPER MARIO BROS.: Zum schizophrenen Filmerlebnis die passende Musik

Musik / 1. Januar 2020

Es ist schwierig, über das Soundtrack-Album zu der Videospielverfilmung SUPER MARIO BROS. zu schreiben: Immerhin waren die beiden Regisseure Rocky Morton und Annabel Jankel nicht in die Musikauswahl eingebunden. Wie Morton in unserem Talking-Pictures-Interview erklärte, hätte er sich z.B. die Klänge von Sonic Youth und Brian Eno gewünscht – aber er bezweifelt, dass diese Musiker den Verantwortlichen überhaupt etwas gesagt hätten. Stattdessen gibt es also einen Soundtrack, bei dem Marky Mark and the Funky Bunch in der Nähe von Megadeth stehen und Roxette in nur wenigen Schritten zu Joe Satriani führt.

Ein wenig spiegelt die Auswahl der Musiker und Bands die schizophrene Natur des Films selber wider, wo alberner Slapstick und subversive Satire aufeinanderprallen und wo ein Kinderabenteuer als verzerrte Dystopie erzählt wird. Auch klanglich zerrten hier also wohl verschiedene Kräfte und Ideen aneinander, und wer immer den Soundtrack letztlich zusammengestellt hat – wahrscheinlich die Produzenten Jake Eberts und Roland Joffé (letzterer kümmerte sich bei dem Film auch um Nachdrehs) sowie die Soundtrack-Produzenten Peter Afterman und Tim Devine – hat sicherheitshalber alles abgedeckt, von Pop über Funk hin zu Rock und Metal.

Dass Roxette die Hauptsingle „Almost Unreal“ beisteuern, zeigt schon, dass wir uns hier in einer längst vergangenen Phase der Popkultur befinden. Von 1989 bis 1991 stürmten Marie Fredriksson und Per Gessle mit den Songs „The Look“, „It Must Have Been Love“ und „Joyride“ die Charts und zeigten Dauerpräsenz in der Bravo, weshalb die Band heiß genug für den Hauptsong eines Hollywood-Blockbusters war – wobei die Auswahl, auch das ist bezeichnend, gewissermaßen aus zweiter Hand erfolgte: Wie man an der Refrain-Zeile „I love when you do that hocus pocus to me“ noch erahnen kann, war der Song ursprünglich für Kenny Ortegas Komödie HOCUS POCUS geschrieben und wanderte dann erst zu den SUPER MARIO BROS.

Auch anderswo funktioniert die Auswahl wie eine Zeitkapsel: „I Want You“ bringt einen zurück in eine Zeit, als Mark Wahlberg noch „Marky Mark“ hieß, vorzugsweise mit nacktem Oberkörper auftrat und mit ein paar Pop-Rap-Nummern in die Charts kam – geschrieben und produziert von seinem Bruder Donnie von den New Kids on the Block (Jason Ankeny schrieb im AllMusic Guide über Wahlbergs Musik: „Theologians still maintain there is a special place in Hell reserved for Wahlberg in return for the pain he inflicted during his mercifully brief career as a rapper“). Außerdem hören wir das geschmeidige „I Would Stop the World“ vom kurzlebigen Duo Charles & Eddie. Weiter hinten ist „Cantaloop“ von US3 zu hören – dieser in den Neunzigern allgegenwärtige Ohrwurm-Acid-Jazz-Track, der auf Herbie Hancocks nicht minder eingängigem Blue-Note-Klassiker „Cantaloupe Island“ basiert.

Dem gegenüber stehen diverse Rocktracks. Queen sind dabei, mit „Tie Your Mother Down“, weil Queen natürlich immer gehen – oder vielleicht, weil „Bohemian Rhapsody“ ein Jahr zuvor so erfolgreich in WAYNE’S WORLD zum Einsatz kam und die Produzenten dieselbe Zielgruppe vermuteten. Die Alternative-Rocker Extreme sind auch vertreten, mit „Where Are You Going?“, weil der Song lässig ist – oder vielleicht, weil ihr Track „Play with Me“ in BILL & TEDS VERRÜCKTE REISE DURCH DIE ZEIT zu hören war (dessen Co-Autor Ed Solomon dann auch für ein unliebsames Rewrite des SUPER-MARIO-Skripts zuständig war). Und Megadeth sind mit „Breakpoint“ auch dabei, und wie bei fast allen anderen Tracks des Albums fällt es einem schwer, sich an eine spezifische Szene dazu zu erinnern.

Die Verantwortlichen für die Auswahl scheinen als roten Faden also hauptsächlich den Begriff „gute Laune“ verwendet zu haben – ob es die luftige Roxette-Hymne ist oder der noch luftigere Pop von Marky Mark, ob es das coole Roxy-Music-Cover „Love Is the Drug“ von der australischen Band Divinyls ist oder die eifrige Gitarrenarbeit von Joe Satriani, hier geht es hauptsächlich darum, einen hoffentlich lustigen Film mit guter Stimmung zu verkaufen. Das gilt vor allem für die zweite Single des Soundtracks: ein Cover des Was-Not-Was-Songs „Walk the Dinosaur“ von The Goombas feat. George Clinton – hinter dem putzigen Projektnamen (die Goombas sind die beschränkten Handlanger im Film) steckt Don Was selber, der mit P-Funk-Oberhaupt Clinton eine unwiderstehliche Funk-Nummer zusammenbastelt.

Das Überraschendste an diesem Album, das die Regisseure nie wollten und die Produzenten mit eifrigem (und dadurch wohl auch zynischem) Blick auf die Kasse zusammengestellt haben: Es funktioniert erstaunlich gut. Das Gute-Laune-Prinzip greift über weite Strecken tatsächlich, und die Nummern sind so geschickt gereiht, dass das Album tatsächlich von Marky Mark zu Extreme, Joe Satriani und Megadeth kommt, ohne auseinanderzufallen. So gilt für die Platte letztlich dasselbe wie für den Film selber: Es mag nicht das sein, was sich Morton und Jankel vorgestellt haben, aber es hat durchaus seine Reize.

Der Text ist Teil unseres „Deep Focus“-Schwerpunkts zu den Spieleverfilmungen der Neunziger.

Photo und Scans: Christian Genzel






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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