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MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR: Von Freundschaft und Würde

Die Südstaatenlady Daisy Wertham ist eine störrische alte Dame. Weil sie schon beim Ausparken aus der eigenen Garage ihr Fahrzeug nicht mehr richtig unter Kontrolle hat und den teuren Wagen in den Garten der Nachbarn krachen lässt, heuert ihr Sohn Boolie einen Chauffeur für seine Mutter an. Die beharrt aber darauf, auf keinerlei Hilfe angewiesen zu sein, und macht dem Fahrer Hoke das Leben schwer – angefangen damit, dass sie anfangs schlichtweg darauf besteht, zu Fuß einkaufen zu gehen. Hoke, ein einfacher schwarzer Arbeiter, bleibt mit Engelsgeduld am Ball – und so entwickelt sich über die Jahre hinweg nicht nur ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und Miss Daisy, sondern auch eine ungewöhnliche, verhaltene Freundschaft.

MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR, im Original DRIVING MISS DAISY, war ursprünglich ein Off-Broadway-Theaterstück, in dem Autor Alfred Uhry Erinnerungen an seine eigene Großmutter und ihren Fahrer verarbeitete. Ein Sofa und ein paar Stühle – mehr brauchte es auf der Bühne nicht, um Haus und Auto darzustellen und die Geschichte einer langen, zögerlichen Annäherung zu erzählen.

Miss Daisy (Jessica Tandy) akzeptiert ihren Fahrer Hoke (Morgan Freeman) nur widerwillig.

Unter der Regie des Australiers Bruce Beresford merkt man der von Uhry selbst adaptierten Filmversion nie an, daß sie ihren Ursprung im Theater hat. Es hilft natürlich, daß im Kino die imaginierten Orte, die mit dem Auto angefahren werden, tatsächlich dargestellt werden können und das Setting damit abwechslungsreich bleibt. Aber selbst in den zahlreichen eigentlich bühnenhaften Momenten, in denen zwei Menschen in einem Raum miteinander reden, erzählt Beresfords Inszenierung Bände. Es ist die Art von Regie, die man kaum merkt, aber die alle Feinheiten der Geschichte subtil aufblühen lässt – ob es das Verstreichen der Zeit ist, das sich in kleinen Ausstattungsdetails widerspiegelt, oder die Nutzung des filmischen Raums, in dem die Charaktere entsprechend ihrer Beziehung selten gleichberechtigt arrangiert sind.

Dank Beresfords sicherer und zurückhaltender Hand kann sein zentrales Schauspieltrio sich so entfalten, daß die Figuren zu echten Personen werden und man schnell emotionalen Anteil an ihrer Geschichte nimmt. Jessica Tandy erlaubt uns, den Mensch unter Miss Daisys brüsken Art zu sehen: eine stolze Witwe, die Hilfe ablehnt, weil sie sie als unwürdig für eine unabhängige Frau sieht – und eigentlich Angst davor hat, sie irgendwann annehmen zu müssen. Morgen Freeman spielt Hoke als freundlichen, unterwürfigen Mann, der sich vielleicht von Miss Daisy das Lesen beibringen lassen muß, aber dafür in seiner Menschenkenntnis so viel mehr weiß. Und dann ist da noch Dan Aykroyd als Daisys Sohn Boolie – ein Mann, der sich mit Pragmatismus um seine Mutter kümmert und sich vielleicht insgeheim wünscht, die Geduld von Hoke dafür zu haben.

Es ist fast ironisch, dass der Originaltitel DRIVING MISS DAISY so viel Bewegung suggeriert – wo sich doch die Freundschaft zwischen Miss Daisy und Hoke nicht einmal im Schritttempo entfaltet. 25 Jahre umspannt die Geschichte, die im Jahr 1948 anfängt, und in all diesen Jahren herrscht Stillstand im Haus von Miss Daisy, dessen Einrichtung so statisch ist, wie es bei alten Menschen so gerne der Fall ist. Es paßt, daß Hoke, selbst wenn er 19 Meilen die Stunde fährt, wo 35 erlaubt sind, noch ermahnt wird, nicht zu schnell zu fahren: Miss Daisy will eben nirgendwohin gefahren werden, auch nicht im übertragenen Sinne.

Sohn Boolie (Dan Aykroyd) argumentiert stets vergeblich mit seiner Mutter.

Dem Film wurde aus manchen Kreisen ungewollter Rassismus oder zumindest eine naive Sicht der Thematik vorgeworfen: Da wurde die zaghafte Freundschaft zwischen den beiden Hauptfiguren so verstanden, dass Hoke jahrelang als freundlicher Bediensteter Miss Daisys Abweisung erdulden muß, damit sie ihre Vorbehalte gegenüber dem schwarzen Mann ablegen kann. Auch zum Beispiel Filmkritiker Steven H. Scheuer schreibt in seinem Kompendium MOVIES ON TV AND VIDEOCASSETTE: „the hatred, tensions, and struggles of those times might as well be happening on another planet“.

Gerade das stimmt natürlich nicht: Zwei der wichtigsten Szenen beziehen tatsächliche Ereignisse dieser unruhigen Zeit ein. In einer Sequenz hört Miss Daisy, daß bei der örtlichen Synagoge ein Bombenattentat verübt wurde – es ist der Anschlag auf die Hebrew Benevolent Congregation, der am 12. Oktober 1958 in Atlanta stattfand. In einer anderen Szene geht Miss Daisy zu einem Empfang, bei dem Martin Luther King eine Rede hält.

Daß diese Ereignisse im Hintergrund passieren, ist exakt der Punkt: Der Rassismus dieser Zeit dringt nicht in seinem ganzen Ausmaß in die Welt und damit das Bewußtsein von Miss Daisy vor. Als der schwarze Hoke der jüdischen Miss Daisy nach dem Anschlag auf die Synagoge eine Geschichte aus seiner Jugend erzählt, wo der Vater eines Freundes gelyncht wurde, erkennt sie nicht mal die Zusammenhänge. „Ich habe noch nie in meinem Leben Vorurteile gehabt“, entrüstet sie sich an einer Stelle. Über das Schaffen von Martin Luther King schwärmt sie noch: „Ist es nicht wundervoll, wie die Dinge sich verändern?“ – aber sie kommt nicht auf den Gedanken, Hoke zu der Rede mitzunehmen.

Diese Rede, die King 1965 im Dinkier Plaza Hotel in Atlanta hielt, ist ausschnittsweise auch im Film zu hören, und sie zeigt – nachdem Miss Daisy Hoke vor dem Hotel beim Wagen hat stehen lassen, anstatt ihn zum Empfang einzuladen – was die Frau in all den Jahren mit Hoke nie gelernt hat: „History will have to record that the greatest tragedy of this period of social transition was not the vitriolic words and the violent actions of the bad people but the appalling silence and indifference of the good people. Our generation will have to repent not only for the words and acts of the children of darkness but also for the fears and apathy of the children of light.“ Hoke hört der Rede draußen über das Autoradio zu, während Miss Daisy innen mit Reue auf den leeren Stuhl neben sich blickt.

Boolie (Dan Aykroyd, links) und Hoke (Morgan Freeman) üben sich in Geduld.

Trotz dieser historischen und politischen Verortung ist MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR aber im Kern ein Film über ein ganz anderes Thema: Es ist eine Geschichte über Würde – und darüber, wie Menschen diese Würde mit ihren Abhängigkeiten von anderen Personen zu balancieren versuchen.

Das wird unter anderem in einer recht unscheinbaren Szene deutlich: Hoke sucht Boolie in dessen Büro auf und berichtet, daß ihn ein anderer Mann abwerben und ihm ein höheres Gehalt zahlen will. Boolie erkennt, daß Hoke ihm das erzählt, weil er eine Gehaltserhöhung haben will – aber er spielt mit und fragt, was denn dieser andere Mann zahlen würde, um dann selber noch mehr anbieten zu können. Wie Freeman und Aykroyd die Szene spielen, ist Gold wert – beide zeigen subtil, wie sie genau wissen, was der andere eigentlich sagt und denkt, aber sie lassen sich gegenseitig die Würde: Hoke muß nicht betteln, Boolie darf pragmatischer Geschäftsmann bleiben und muß nicht zum sentimentalen Gönner mutieren.

Manchmal dauert es lang, bis man lernt, Hilfe anzunehmen.

Miss Daisy kämpft sehr schwer darum, sich diese Würde bewahren zu können – und natürlich empfindet sie ihre Abhängigkeit von einem Fahrer als Verlust derselben. Hoke erreicht sie unter anderem deshalb, weil er ihr immer wieder ihre Würde zugesteht: Als sie zum Beispiel mit der Straßenbahn fahren will, anstatt seine Dienste in Anspruch zu nehmen, argumentiert er nicht so, daß sie auf ihn angewiesen ist, sondern stellt das Auto in den Vordergrund: „Das ist einfach ein Jammer. Da haben Sie dieses feine Hudson-Automobil, das da draußen in der Garage steht – und es hat sich noch keinen Zentimeter bewegt, seit Mister Wertham es von Central Motors hergefahren hat!“ Umgekehrt muß auch Hoke immer wieder um seine Würde kämpfen – zum Beispiel bei einer Fahrt durch Alabama, wo er extra fragen muß, ob er kurz den Wagen an den Straßenrand fahren und hinter die Büsche verschwinden darf, weil er wegen der Rassentrennungsgesetze nicht an der Tankstelle auf Toilette gehen durfte.

Am Schluß dieser langen persönlichen Reise lebt Miss Daisy im hohen Alter von über neunzig Jahren in einem Pflegeheim. Und als Hoke, der sich mittlerweile auch schon von seiner Enkeltochter fahren lassen muß, sie zu Thanksgiving besucht, lässt sie sich von ihm helfen, ohne dabei ihre Würde zu verlieren: Er füttert die mittlerweile gebrechliche und manchmal verwirrte Frau mit Kürbiskuchen. Sie lächelt ihn dankbar an. Manchmal braucht man eben Hilfe.



Miss Daisy und ihr Chauffeur (USA 1989)
Originaltitel: Driving Miss Daisy
Regie: Bruce Beresford
Buch: Alfred Uhry, nach seinem Bühnenstück
Kamera: Peter James
Musik: Hans Zimmer
Darsteller: Jessica Tandy, Morgan Freeman, Dan Aykroyd, Patti Lupone, Esther Rolle

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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