FilmRetrospektive

FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON: Ein Porträt eines unverbesserlichen Optimisten

„Nicht aufgeben“, geben viele erfolgreiche Künstler dem Nachwuchs als Tip. Weitermachen, am Traum festhalten, nicht unterkriegen lassen – irgendwann wird alles aufgehen. Der Tip hat einen Haken: Er kommt immer nur von Menschen, die schon Erfolg haben, und kann sich somit nur selbst bestätigen. Die anderen werden nämlich nie befragt.

Der in dem Dokumentarfilm FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON porträtierte Wolfgang Krone ist so ein Mensch, der nie aufgegeben hat. 1978, als er 30 Jahre alt war, beschloß er, sich den Traum vom eigenen Spielfilm zu erfüllen. Er trommelte Freunde und Verwandtschaft zusammen, setzte Annoncen in die Zeitung und rekrutierte mehr und mehr Menschen, um ein Kriegsdrama im seinerzeit populären Amateurvideo-Format Super 8 zu drehen: DIE ERINNERUNGEN DES GRENADIERS ROUSSEAU. In der ambitionierten Geschichte geht es um drei Freunde, die in Napoleons Armee anheuern – aber einer fällt bald im Kampf, weshalb die anderen beiden desillusioniert desertieren wollen. Krone selbst spielte Napoleon, weil seine teilweise noch minderjährigen Mitstreiter einfach nicht alt genug für die Rolle waren.

Eine Amateuerproduktion mit aufwendigen Schlachtszenen – und Gewehren aus Besenstielen!

Das Geld für die aufwendige Eigenproduktion kam teils von Krones Arbeit als Packer in einer örtlichen Firma, teils von Krones Mutter. Keine Herausforderung war zu groß für den aufstrebenden Filmemacher: Wenn hundert Soldatenuniformen für die Statisten genäht werden mußten, belegte Krone eben entsprechende Kurse und setzte sich dann selbst an die Nähmaschine. Die lokale Presse schrieb ausführlich über Krone und sein Projekt. Als der Film fertig war, investierte Krone eine immense Summe in Kinokopien, um den Film bundesweit starten zu können. Der Streifen ging sang- und klanglos unter.

FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON zeigt uns Krone 25 Jahre später: Bis vor kurzem lebte der 55-jährige noch bei der Mutter, bis die nach einem Schlaganfall in ein Pflegeheim mußte. Er ist arbeitslos und einsam. Nach ROUSSEAU hatte er versucht, weitere Filmprojekte auf die Beine zu stellen, die aber ebenso scheiterten. Im Film sehen wir seine Versuche, mit selbstgeschriebener Musik Fuß fassen zu können – ungeachtet der Tatsache, daß die Keyboardproduktion billigst klingt und Krones Sprechgesang höchst wacklig ausfällt. Der Mann, der für kurze Zeit Napoleon war, hat schon zahlreiche Waterloos erlebt – aber er macht trotzdem weiter, als wäre er auf der Insel Elba und nicht schon auf St. Helena.

Wolfgang Krone (Mitte) versucht vor dem Arbeitsamt, Mitstreiter für ein Arbeitslosen-Musical zu finden.

Es ist charmant, dem sympathischen, ungebremst optimistischen Krone dabei zuzusehen, wie er immer wieder aufsteht und versucht, das Beste aus seiner Situation zu machen – und gleichzeitig natürlich tief traurig. Krone versucht, ein Musical mit dem Titel „Arbeitslos und keine Frau“ auf die Beine zu stellen, das er mit Arbeitslosen besetzen will – aber er muß das Projekt abblasen, weil sich nicht eine einzige Person freiwillig meldet. Sogar bis zum Bürgermeister läuft er mit dem Vorhaben, aber der wimmelt ihn mit Hinweis auf die womöglich geringe Zahl der zu erwartenden Gäste ab. Man wird das Gefühl nicht los, daß Krone unter etwas anderen Umständen ein großartiges soziales Projekt am Start hätte.

Mit seiner Musik schafft er es sogar in die MORNING SHOW von SAT1, wo Menschen ihre Talente demonstrieren und dann, wie im US-Vorbild THE GONG SHOW, noch vor dem Ende ihrer Darbietung abgewählt werden können. Eine Minute und eine Sekunde lang kann er seinen schief gesungenen Song „Essig oder eß ich nicht“ darbieten, dann fliegt er. Es sei ein erster Schritt, der ihn bekannter machen könnte, glaubt ein Freund von Krone. Wieder beschleicht einen das Gefühl, daß Krone gar nicht so daneben liegt: Anders präsentiert könnten seine schrulligen, selbstironischen Texte über die Nöte des kleinen Mannes – natürlich er selbst! – womöglich vielen Menschen aus der Seele sprechen. Vielleicht mit anderem Sänger, vielleicht mit anderer Vortragsweise, vielleicht mit auffälligerer Albernheit wie bei Helge Schneider.

Wolfgang Krone in der MORNING SHOW von SAT1.

Apropos Helge Schneider: Dem will Krone unbedingt seine Musik vorspielen. Bei einem Konzert schafft er es, das Vorbild backstage zu treffen, und Helge ist souverän genug, sich tatsächlich eins von Krones Liedern anzuhören. Er muß schmunzeln und gibt Krone folgende Worte mit: „Wenn du Spaß daran hast, dann wirst du auch Leute haben, die auch Spaß daran haben. Aber wenn du krampfhaft versuchst, an die Spitze zu kommen, dann funktioniert’s nicht.“ Es könnte aber 20 Jahre dauern, fügt er noch hinzu. Krone lacht, er sei schon 55.

Einige der Mitstreiter, die Krone für den Napoleon-Film um sich scharen konnte, kommen auch zu Wort. Sie erinnern sich gern an das Projekt – aber wenn Krone nicht dabei ist, erzählen sie, wie er während des Drehs selbst Züge von Napoleon annahm: Wegen der Berichterstattung habe er sich plötzlich wie ein richtiger Filmemacher gefühlt. Ressentiments scheinen sie nicht gegen Krone zu hegen, aber der meint an einer Stelle, das Traurigste am Ende von DIE ERINNERUNGEN DES GRENADIERS ROUSSEAU sei nicht der Mißerfolg des Films gewesen, sondern die Tatsache, daß dabei Freundschaften auseinanderbrachen.

Helge Schneider lauscht einem von Wolfgang Krones Liedern.

Irgendwann merkt man, daß Krone vielleicht gar nicht so sehr um Erfolg oder Anerkennung kämpft, sondern im Grunde genommen gegen die Einsamkeit. Er lebt alleine, die Trennung von der Mutter ist schmerzhaft, und seine Versuche, über Kennenlern-Radioshows oder Annoncen eine Frau zu finden, scheitern ebenso wie seine künstlerischen Unterfangen. Dabei geht Krone eigentlich immer offen und freundlich auf die Menschen zu. An einer Stelle wird davon erzählt, wie er früher oft kleine Gartenparties organisiert hat, bei denen sich auch immer wieder Paare kennenlernten. Nur er selber blieb erfolglos.

Am 7. Februar 2014, also nicht einmal neun Jahre nach Veröffentlichung der Dokumentation FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON, berichtete die Hannoversche Allgemeine, daß Krone am 28. Dezember 2013 in seiner Wohnung starb. Weil sich kein Familienmitglied fand, das die Bestattungskosten übernehmen wollte, wurde seine Urne anonym bestattet. Was für ein trauriges Ende für einen so unverbesserlichen Optimisten, der einfach immer weitergemacht hat und nichts unversucht ließ.

Immerhin hat Wolfgang Krone mit Bart van Eschs einfühlsamem, auf Augenhöhe gezeichnetem Porträt noch eine verspätete Würdigung erhalten. Es ist schön, daß die Dokumentation noch vor Krones Tod fertiggestellt wurde: Dank FÜR KURZE ZEIT NAPOLEON kann er als jemand in Erinnerung bleiben, der sich nach Waterloo vielleicht doch noch einmal aufrappelt.

Für kurze Zeit Napoleon (Deutschland/Niederlande 2005)
Regie & Buch: Bart van Esch
Produktion: Peter Roloff, George Weiss

Vielen Dank an Rodja Pavlik für die Filmempfehlung. Sein Review ist auf seiner Seite HomeMovieCorner zu finden: HIER.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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