THE UNKNOWN COMEDY SHOW: Der Witz aus der Papiertüte

Film / TV / 11. Dezember 2015

Ende der Siebziger trat ein Komiker in der Talentshow THE GONG SHOW auf, der sein Gesicht unter einer braunen Papiertüte verbarg: „The Unknown Comic“. Tatsächlich steckte unter der primitiven Verkleidung der Komiker Murray Langston, der schon durch reguläre Auftritte in der SONNY & CHER COMEDY HOUR und diverse Gastauftritte bei Programmen wie THE HUDSON BROTHERS RAZZLE DAZZLE SHOW bekannt geworden war. Langston war die GONG SHOW eigentlich zu albern und krawallig. Weil er aber durch Investitionen in ein Nachtlokal namens „Show-Biz“ in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, sagte er zu – unter der Bedingung, quasi anonym auftreten zu können. Mit seinen im Maschinengewehrtempo vorgetragenen Wortwitzblödeleien und albernen Derbheiten wurde Langston als „Unknown Comic“ ironischerweise viel populärer als zuvor. Einige Jahre hielt er das Mysterium um seine Person aufrecht, bis er sich dann in mehreren Shows „outete“.

THE UNKNOWN COMEDY SHOW ist ein nicht ganz einstündiges Special, das Langston 1982 unter der Leitung von Bill Osco für den Playboy Channel schrieb. Osco hatte Langston schon in dem von ihm produzierten Horrorfilm THE BEING (1981 fertiggestellt, aber erst 1983 erschienen) eine kleine Rolle gegeben und produzierte später die Komödie POLICE PATROL – DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER, in der Langston nicht nur die Hauptrolle spielte (und einen Cop mimte, der sich nachts mit einer Papiertüte über dem Kopf als Komiker verdingt!), sondern auch am Skript mitschrieb.

So sieht The Unknown Comic unter der Papiertüte aus: Komiker Murray Langston.

Die Show besteht aus mehreren Stand-Up-Segmenten, die vor Publikum aufgenommen wurden, aber immer wieder von kleinen Sketchen unterbrochen werden. Die Live-Parts zeigen nicht nur Langston: Auch von Komikerkollege Johnny Dark (ebenfalls kurz in THE BEING zu sehen) und Jongleur James Wilder (hier als „James Marcel“) sind Auftritte zu sehen, in den Sketchen wirken beide teilweise auch mit. Langston selber tritt nicht nur als „Unknown Comic“ auf, sondern auch als er selber, als wären es zwei verschiedene Personen. Erst gegen Schluß zieht er die Papiertüte ab, um seine Identität zu zeigen.

Wie witzig man die Live-Segmente findet, hängt natürlich davon ab, ob man den Humor des „Unknown Comic“ teilt. Manche seiner Albernheiten sind im positivsten Sinne entwaffnend blöd – wenn er zum Beispiel Babyphotos von sich verspricht und dann einfach kleine Papiertüten herzeigt, oder wenn er eine Bauchrednernummer ankündigt und dann eine kleine Papiertüte über die Hand zieht, die dann angeblich redet.

Einer der zwischengeschnittenen Sketche: Johnny Dark (links), Thomas F. Wilson (rechts).

Die Wortwitze vermengen sich gerne mit diversen Derbheiten und erinnern damit an die Art von Schulhofwitz, wo man noch ganz unbeschwert und frei von Realitätsbezug Geschmacksgrenzen ausgelotet hat: „What do you call an abortion in Czechoslovakia? A cancelled Czech“ (das wäre eigentlich „cancelled check“, der stornierte Scheck). Da ist viel zum Augenrollen, aber das hektische Tempo, in dem der Papiertütenmann die Gags herausballert, hat etwas Faszinierendes. Ohne Papiertüte ändert sich der Humor übrigens nur unwesentlich: Da erzählt Langston zum Beispiel von seiner Freundin, die er heiraten will. „All my friends say she’s a 10, but she charges me 20.“

Die Sketche laden allerdings noch weitaus mehr zum Stirnklatschen ein. Da werden teilweise Witze bemüht, die älter scheinen als die Zeit: Nachts klingelt das Telefon, der Mann geht ran und legt wieder auf. Seine Frau will wissen, wer es war, und er meint, dass da wohl jemand die Wetterstation erreichen wollte – der Anrufer hat nämlich gefragt, ob die Luft rein ist. Tusch! In einem Sketch kann man übrigens einen ganz jungen Thomas F. Wilson sehen, der später als Biff in ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT bekannt werden sollte.

Ja, dieser Mann jongliert mit drei laufenden Kettensägen.

Der unterhaltsamste Teil des Programms ist jener mit Jongleur James Marcel bzw. James Wilder. Seine Kunststückchen sind applauswürdig: Er jongliert mit drei Fackeln oder gleich mit drei laufenden Motorsägen. An einer Stelle jongliert er mit einer Fackel, einer Bowlingkugel und einem Apfel – und schafft es, den Apfel während der Aktion zu essen! Und weil die reine Artistik sich schnell abnützen würde, verknüpft er seine Show mit einer guten Portion Comedy: Er führt zum Beispiel Machete, Hackebeil und Sichel vor und zerkleinert mit den scharfen Geräten zur Demonstration eine kleine Karotte. Dann kündigt er an, damit jetzt zu jonglieren – und jongliert schelmisch grinsend mit den Karottenstückchen.

Übrigens wurden sämtliche Sketche viele Jahre später von Bill Osco in seinen Underground-Schnodderstreifen URBAN LEGENDS hineingeschnitten, ohne irgendwie passen zu wollen. Vielleicht schwebte ihm eine Art Umkehrprinzip vor: Hier zieht sich der Komiker die Papiertüte über, bei der Zweitverwertung macht das dann das Publikum, um ja nicht erkannt zu werden.

Mehr Bill Osco auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch Amerika
FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist
THE BEING: Ein radioaktives Monster bedroht die Kartoffelernte
POLICE PATROL – DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER: Welcher Furzfilm könnte besser sein?
NACHTAKADEMIE: Schnodderkino mit humanistischer Gesinnung
URBAN LEGENDS: Antikino als Frankenstein-Flickwerk
CAT FIGHT WRESTLING: Furiose Frauenzimmer in leeren Lagerhallen 

The Unknown Comedy Show (USA 1982)
Regie: Bill Osco
Buch: Murray Langston, Johnny Dark, „James Marcel“ (= James Wilder)
Kamera: Ray Padilla
Produktion: Bill Osco
Darsteller: „The Unknown Comic“ (= Murray Langston), Johnny Dark, „James Marcel“ (= James Wilder), Connie Downing, Lori Sutton, Lou Milford






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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