DUELL: Der archaische Kampf zwischen Mann und Monster

Film / Retrospektive / 29. Januar 2015

David Mann denkt sich nicht viel dabei, als er den schmutzigen alten Lastwagen auf dem Highway überholt, um zügig voranzukommen. Es irritiert ihn ein wenig, daß der Truckfahrer ihn nur eine Minute später selber wieder überholt. David fährt nochmal an ihm vorbei. Es ist der Beginn eines Katz-und-Maus-Spiels, in dem der Lastwagenfahrer immer gefährlicher und bedrohlicher mit David spielt, und das sich in kurzer Zeit zu einem Kampf auf Leben und Tod entwickelt.

Warum hat es der Fahrer auf David abgesehen? Hat er sich über Davids Überholmanöver geärgert? Fühlt er sich von ihm herausgefordert? Oder ist er einfach ein Irrer, der sich als König des Highways aufspielt und immer wieder wehrlose Opfer heraussucht? Wir wissen es ebensowenig wie David. Sicher ist nur, daß es der LKW-Fahrer ernst meint: Spätestens, als er versucht, mit seinem Truck David an einem Bahnübergang auf die Gleise zu schieben, während gerade ein Zug vorbeidonnert, ist klar, daß die Tempo- und Überholspielchen nur der Auftakt waren.

DUELL ist der erste wichtige Film in der Geschichte Steven Spielbergs und in seiner Entstehung mittlerweile legendär: Das damals 25jährige Wunderkind hatte schon einige Fernsehfolgen inszeniert (darunter eine frühe Episode der Krimiserie COLUMBO), als er davon Wind bekam, daß die Kurzgeschichte „Duel“ von Richard Matheson verfilmt werden sollte. Er kämpfte um das Projekt und durfte den Streifen schließlich in knappen 13 Drehtagen verwirklichen – mit nur weiteren dreieinhalb Wochen Nachbearbeitungszeit. Das Ergebnis war ein derart spannender Thriller, daß er mit einer Handvoll neuer Szenen auf 90 Minuten Länge aufgerüstet in Europa ins Kino kam und den Grundstein für Spielbergs weitere Regiekarriere legte.

Der vielleicht größte Kniff des Films ist die (schon im Skript verankerte) Inszenierung von David Manns Gegenspieler: Nicht nur seine Motive sind uns unbekannt, der Fahrer selbst bleibt völlig im Dunkeln. Wir sehen manchmal einen Arm, wenn der Fahrer David vorbeiwinkt, und einmal sehen wir im Vorbeifahren, daß eine Person im Führerhäuschen sitzt. An einer Tankstelle kann David unter dem Wagen hindurch einen Blick auf die Schuhe des Manns erhaschen. Ansonsten bleibt die Person hinter dem Wahnsinn unsichtbar, wodurch der Truck selber zur Bedrohung wird.

Es ist die perfekte Anthropomorphisierung: Der schmutzige, unförmige, laut röhrende Lastwagen ist das tödliche Biest, das es auf unseren Helden abgesehen hat. Die Auseinandersetzung findet nicht Mann gegen Mann statt, sondern Mann gegen Maschine, Mann gegen Monster. Damit wird das DUELL zum archaischen Kampf ums Überleben, zur Konfrontation Davids (aha!) gegen Goliath. Frei von Erklärungen, Komplikationen und anderem Ballast treffen hier wie in einem Western zwei Parteien aufeinander, deren Fehde bis aufs Blut ausgetragen wird.

Es ist grandios, wie Spielberg seinen Zweikampf aus dem Alltag heraus entwickelt. Im Vorspann sehen wir in einem POV-Shot Davids Auto aus der heimischen Garage, durch die Stadt und schließlich auf den Highway fahren. Im Radio plaudern Menschen Belanglosigkeiten in irgendwelchen Talkshows. David Mann selber ist der perfekte Durchschnittsbürger, der mit Hemd und Krawatte zu irgendeinem Termin fährt, der nicht näher ausgeführt wird. Und das Überholen des Trucks, das den Kampf einläutet, ist eine ganz und gar beiläufige Angelegenheit.

Unter seiner Oberfläche erzählt DUELL eine nicht minder archaische Geschichte von der Mannwerdung des Helden (David Mann, wieder aha!). Schon zu Beginn redet ein Interviewpartner im Radio darüber, wie er nicht mehr Mann im Hause ist, seit er seine Frau geheiratet hat. Auch David selber macht so eine Bemerkung einem Tankwart gegenüber, als der seine Anweisungen mit einem flotten „You’re the boss“ kommentiert: „Not in my house, I’m not“. Am Telefon mit seiner Ehefrau wird ihm vorgeworfen, daß er sie nicht ausreichend vor einem aufdringlichen Kollegen beschützt hat. Sprich: Der konfliktscheue David muß im Laufe der Konfrontation mit dem Mördertruck über sich hinauswachsen, um nicht im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder zu kommen. Diesem Kampf kann er nicht ausweichen.

Die Entwicklung des Alltäglichen hin zum potentiell tödlichen Duell symbolisiert in diesem Kontext einen generellen Zusammenbruch der üblichen Ordnung. „You just go along figuring some things don’t change, ever, right?“, denkt sich David. „And then one stupid thing happens. […] And it’s like, there you are: right back in the jungle again.“ Und wenn schon die Zivilisation zum Dschungel wird und der Mensch gewissermaßen zum Tier, muß sich David auch bei der letzten Haltestelle vor dem Endkampf nicht nur gegen den wildgewordenen Monstertruck wehren, sondern auch gegen Schlangen, Spinnen und anderes Getier, das aus freistehenden Glascontainern ausbricht, die der LKW-Fahrer mit seinem Gefährt zertrümmert.

Daß DUELL als perfekte Visitenkarte für das enorme Talent dieses jungen Filmemachers diente, erstaunt selbst nach über 40 Jahren nicht: Nichts an dem preiswert produzierten Fernsehfilm sieht nach preiswert produziertem Fernsehfilm aus. Wo TV-Streifen sonst gerne über Dialoge funktionieren und damit auch das Wegsehen erlauben, arbeitet Spielberg hauptsächlich visuell, läßt seine Kamera um den bösen Truck kreisen, blickt an seiner Karosserie vorbei auf den immer kleiner wirkenden David, erzählt Davids angeschlagene Nerven bei einem Raststättenbesuch mit unruhiger Handkamera und packt auch sonst alle Emotionen der Geschichte in die Bildkompositionen selber. Alleine der anfängliche Moment, nachdem David den Truck zum ersten Mal überholt, als die Kamera vom Beifahrersitz aus sein Gesicht filmt und dann plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, der LKW an seinem Fenster in Hochgeschwindigkeit wieder vorbeidonnert – das zeigt, wieviel Spielberg davon versteht, wie man Framing für maximalen Effekt einsetzt und die Welt außerhalb des Bildausschnitts lebendig hält.

Wobei auch die Geräuschkulisse nicht zu verachten ist: Der eher sparsam eingesetzte und mitunter mehr aus fremdartigen Klängen als aus Melodien zusammengesetzte Thrillerscore von Billy Goldenberg geht Hand in Hand mit dem Röhren des Lastwagens, dem plötzlich die Stille aufbrechenden Lärm dieser maschinellen Bedrohung, dem nervenaufreibende Tuten seines Horns. Passend zu dem Monsterfilm, der im Herzen von DUELL steckt, ächzt der Lastwagen in seiner letzten Szene wie ein sterbendes Tier. Auch diese Szene bleibt im Gedächnis: Wie Spielberg da in Zeitlupe dem Niedergang eines Terrorwesens zusieht, vermittelt einerseits eine morbide Faszination – wir wollen den Moment auskosten und genau sehen – andererseits aber auch eine leise Tragik.

Spielberg sollte nie wieder so minimalistisch erzählen wie in DUELL, aber dennoch dient der Film als Auftakt für so vieles, was noch von ihm kommen würde: Der Kampf gegen das die Beschaulichkeit zerreissende Biest in DER WEISSE HAI, die Entkoppelung von der Normalität des Alltags in UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART, der Zusammenbruch der Zivilisation in KRIEG DER WELTEN, der perfekte Einsatz von Perspektive in E.T. – DER AUSSERIRDISCHE, und der Durchschnittstyp im Zentrum ganz und gar nicht durchschnittlicher Geschehnisse, der so oft sein Protagonist ist. Ganz generell zeigt sich schon die mühelose und innovative Beherrschung des Mediums Film, die auch seine weiteren Werke auszeichnen sollte.

Sagen wir es ganz einfach: DUELL ist ein grandioser, mitreißender und höchst spannender Thriller. Das war er 1971, und das ist er heute immer noch. Some things don’t change, ever.

 

Duell (USA 1971)
Originaltitel: Duel
Regie: Steven Spielberg
Buch: Richard Matheson, nach seiner Kurzgeschichte „Duel“
Kamera: Jack A. Marta
Musik: Billy Goldenberg
Darsteller: Dennis Weaver, Jacqueline Scott, Eddie Firestone, Lou Frizzell, Lucille Benson, Cary Loftin






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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