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SILVER LININGS – Von der Strategie, mit sich selber umzugehen

Nach acht Monaten Psychiatrie kommt Patrick wieder nach Hause. Er hatte seine Frau mit einem anderen Mann erwischt und diesen krankenhausreif geschlagen. Dann wurde festgestellt, daß er an einer zuvor nicht diagnostizierten bipolaren Störung leidet, weshalb man ihn in eine Nervenheilanstalt gebracht hat. Für Patrick liegt das alles nun entschieden hinter ihm: Mit ungebrochenem Optimismus will er sein altes Leben wieder aufnehmen und seine Frau zurückgewinnen – ein richterlicher Bescheid, daß er sich weder ihr noch ihrem alten Haus noch der Schule, wo sie arbeitet, nähern darf, stellt für ihn dabei nur ein temporäres Hindernis dar. Er muß nur der Welt zeigen, daß es ihm jetzt wieder gut geht.

Das ist natürlich keinesfalls so leicht, wie es sich anhört – zumal Patricks felsenfeste Überzeugung, seine Ehe retten und einfach am Punkt von vor knapp einem Jahr weitermachen zu können, schon davon zeugt, daß er bei weitem nicht so gesund ist, wie er denkt. In der Tat kämpft Patrick schwer mit sich: Wenn er den Stevie-Wonder-Song „My Cherie Amour“ hört, kriegt er Panikzustände – das Lied lief, als er seine Frau beim Fremdgehen erwischt hat und seine Wutexplosion hatte. (Bezeichnenderweise ist der Text des Songs wie ein altes Minnelied, in dem der Sänger darum bittet, von der Frau endlich erhört zu werden: „Won’t you tell me how could you ignore / That behind that little smile I wore / How I wish that you were mine“.) Manchmal, wenn er sich aufregt, stürmen Bilder auf ihn ein von dem, was passiert ist, was seine Aggression nur noch steigert. Und auch im ganz alltäglichen Umgang mit Menschen kann er persönliche Grenzen nicht ganz einschätzen – weswegen sein Umfeld auch nicht unbedingt erfreut ist, ihn zu sehen, und im Zweifelsfall auch schon mal die Polizei ruft.

Bei einem Abendessen bei seinem besten Freund Ronnie und dessen Frau Veronica lernt Patrick die junge Tiffany kennen, Veronicas Schwester, deren Mann Tommy bei einem Unfall gestorben ist. Tiffany gibt sich tough und schroff, aber in Wahrheit blockt sie damit nur den Schmerz und die Leere in sich ab: Nach dem Tode ihres Mannes stieg sie wahllos mit Männern ins Bett und verlor darüber sogar ihren Job. Das Abendessen bei Ronnie und Veronica steht sie nicht mal bis zum Nachtisch durch, weil sie die (vermeintlich) heile Welt ihrer Schwester nicht aushält.

Da treffen also zwei Menschen zusammen, die mit sich und der Welt kämpfen, die beide ein Trauma zu überwinden haben, und die doch ganz unterschiedlich damit umgehen: Patricks Motto ist das Wort „Excelsior“, der Komparativ vom lateinischen „excelsus“ – erhaben, ausgezeichnet. Er ist optimistisch und glaubt daran, daß er sich seine Chancen erarbeiten kann: „You have to do everything you can, you have to work your hardest, and if you do, you have a shot at a silver lining.“ Sie dagegen spielt alle Bedeutung im Leben herab und glaubt nicht an den Silberstreif am Horizont: „Humanity is just nasty and there’s no silver lining.“ Es wären beides ganz gewöhnliche Sichtweisen auf die Welt, wenn sie sich nicht so mit aller Macht daran klammern müßten, um mit ihr überhaupt fertig zu werden.

Es ist bemerkenswert genug, daß ein Film psychische Probleme so greifbar und nachvollziehbar erzählt. Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, daß SILVER LININGS im Grunde genommen eine Liebesgeschichte ist, die mit menschlichem Optimismus an das Thema herangeht – ohne dabei Patricks Krankheit oder Tiffanys Trauma zu verharmlosen oder herunterzuspielen. Es gibt zahlreiche Szenen, deren emotionale Intensität wirklich an die Nieren geht, und der tiefverwurzelte Schmerz der beiden Figuren wirkt nachhaltig. Und doch blickt Regisseur David O. Russell liebevoll auf seine Charaktere: Es geht ihm nicht um das emotionale Elend, sondern um den Heilungsprozeß. Daß er dafür mit Bradley Cooper und Jennifer Lawrence zwei Darsteller hat, die so viel von sich zeigen können und ihre Figuren mit so nahegehender Wahrhaftigkeit spielen, macht den Film nur umso packender.

Am bemerkenswertesten aber ist die Tatsache, daß es in SILVER LININGS eigentlich gar nicht zwangsläufig um psychische Probleme geht: Es geht darum, wie schlimme Dinge im Leben passieren können und wie Menschen damit fertigwerden. Es geht darum, wie man mit sich selbst klarkommen kann, auch wenn dieses Selbst Seiten hat, mit denen man kämpft. Tiffany hat das bei allem Zynismus gelernt: „There will always be a part of me that is dirty and sloppy, but I like that, just like all the other parts of myself. I can forgive.“

Im Original heißt der Film SILVER LININGS PLAYBOOK, und dieses „Playbook“ bezeichnet im Sport eine Liste an Strategien, die man im Spiel einsetzen kann. „You have to have a strategy“, wird Patrick auch von seinem Therapeuten eingebleut. Und das ist ein guter Rat, egal, mit welchen Schwierigkeiten man kämpft: Wir brauchen alle eine Strategie, um mit den schlechten Seiten des Lebens umzugehen, und meistens haben wir – ohne es zu wissen – schon eine, die nicht wahnsinnig gut funktioniert.

Mir spukt schon seit Jahren ein Satz im Kopf herum, der ausgerechnet in der an Tiefgang nicht gerade reichen TV-Serie SEX AND THE CITY geäußert wurde. Da spielt Gaststar David Duchovny den ehemaligen Highschool-Schwarm von Carrie und erläutert, warum er Patient in einer psychiatrischen Klinik ist: „[I’m] trying to figure out why some things seem to be harder for me than they are for other people“. Nicht nur Patrick und Tiffany müssen sich derselben Frage stellen – wir alle kommen irgendwo in Situationen, wo wir so mit uns hadern. Es ist schwierig, gute Wege zu finden, mit diesen Problemen umzugehen – aber SILVER LININGS zeigt, was ich selber auch glaube: Es gibt den Silberstreif, ob wir daran glauben oder nicht.


Silver Linings (USA 2012)
Originaltitel: Silver Linings Playbook
Regie: David O. Russell
Buch: David O. Russell, nach dem Roman von Matthew Quick
Kamera: Masanobu Takayanagi
Musik: Danny Elfman
Darsteller: Bradley Cooper, Jennifer Lawrence, Robert De Niro, Jacki Weaver, Chris Tucker, Anupam Kher, John Ortiz, Julia Stiles, Shea Whigham, Dash Mihok, Brea Bee

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    1 Comment

    1. Eine wunderbare Rezession, danke =)

      Hab den Film selber gesehen und gehört zu meinen Top20 Lieblingsfilmen. Du hast es in diesem Text perfekt auf den Punkt gebracht, dass ich gar nicht weiter darüber erzählen kann, warum ich diesen Film so sehr mag =)

      Nanouk*

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