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Das Böse lebt im Remake fort: Rob Zombies HALLOWEEN

„Make it your own“, empfahl Regisseur John Carpenter dem Musiker und Filmemacher Rob Zombie, als der ihm erzählte, daß er sich an ein Remake von Carpenters Horrorklassiker HALLOWEEN wagen würde. Ein guter Ratschlag, nicht nur im Hinblick auf das Resultat von Gus Van Sants Experiment, den Hitchcock-Streifen PSYCHO so originalgetreu wie möglich zu verfilmen: Schließlich war Carpenters Geschichte ja schon perfekt erzählt (und mit diversen Fortsetzungen bedacht worden), und die sinnhafteste Neuerzählung würde aus den Elementen des Originals eine eigene Story mit anderer Erzählstimme zusammensetzen – sprich: HALLOWEEN von Rob Zombie, nicht HALLOWEEN von jemand anderem.

Daß Carpenters längst kanonisierter Film überhaupt ein Remake erfahren muß, mag – wie so oft bei der Ankündigung von Neuauflagen altgedienter Klassiker – fragwürdig erscheinen, aber es war wohl eine sinnvollere Entscheidung, als der alten Reihe noch eine Fortsetzung hinterherzuwerfen. Ich finde es ja im Gegensatz zu vielen Puristen durchaus spannend, was im Laufe der Filmreihe alles aus der HALLOWEEN-Story gemacht wurde: Immerhin war das Original einfach nur die Geschichte eines Kindes, das aus niemals genannten Gründen seine Schwester ermordet, und das dann als Erwachsener aus der Heilanstalt ausbricht, um seine Mordtaten fortzusetzen. Was kann man mit einer Figur machen, die so sehr als Archetyp des Bösen gezeichnet ist, die niemals spricht und immer mit Maske auftritt? Die Fortsetzungen zu Carpenters Film haben sich bemüht, um den Psychopathen Michael Myers andere Konzepte herumzustricken und dabei aber diesen Grundzügen treu zu bleiben – so wurden Verwandschaftsverhältnisse dazugedichtet, telepathische Verbindungen eingeführt, die Figur emotionalisiert und ein Druidenzirkel als Drahtzieher im Hintergrund eingeflochten, aber selbst in dieser Mythologisierung blieb Myers einfach ein Mann ohne Eigenschaften, eine Personifikation des Todes.

Gerade diese allegorische Qualität der Figur ist es wohl, die (jenseits von finanziellen Motiven) als Antrieb dahinter dient, die Myers-Story immer wieder zu erzählen, ob als Sequel oder Remake. In seinem Meta-Horrorfilm NEW NIGHTMARE formulierte Wes Craven die These, daß wir die bekannten Horrorfiguren immer wieder in Geschichten kanalisieren müssen, damit das Böse, das sie repräsentieren, nicht in unsere Welt übergreifen kann – und diese Zuspitzung der Katharsis-Theorie verankert in gewissem Sinne auch eine Notwendigkeit, den Killer Michael Myers wieder und wieder auferstehen und aufs neue morden zu lassen; wie ein Geist wird er ein ums andere Mal neu beschworen, um dieselben Taten zu vollbringen. Die Details der Erzählung sind immer andere, die Figur hat mal diese oder jene zusätzlichen Eigenschaften, aber jede dieser Varianten erlaubt es uns, über diesen beinahe gesichtslosen Mörder in sicherer Umgebung (nämlich der der Fiktion) die Tatsache zu konfrontieren, daß in der Welt schreckliche Dinge passieren, für die wir keine Erklärung haben und für die es vielleicht auch gar keine gibt.

So ist Rob Zombies HALLOWEEN natürlich auch gleichzeitig immer noch John Carpenters HALLOWEEN – selbst, wenn das Remake nicht in seiner zweiten Hälfte mehrfach die Stationen der Vorlage sehr präzise zitieren würde. Ausgefleischt wird vor allem die „Entstehungsgeschichte“ von Michael Myers: Wo im Original in einer kurzen Sequenz der Mord an der Schwester gezeigt wird und der Film dann gleich zu Myers‘ Ausbruch aus der Klinik springt, läßt sich Zombie weitaus mehr Zeit für Michaels Kindheit und Jugend. Wir sehen sein Elternhaus, erfahren etwas über seine Beziehung zu seiner Familie, beobachten eine Entwicklung seiner psychichen Störung und verbringen einige Zeit mit den Versuchen seines Arztes, Dr. Loomis, an ihn heranzukommen und ihn zu verstehen.

So eine Psychologisierung eines eigentlich motivlos handelnden Mörders kann natürlich gefährlich sein – wie so oft ist das Rätsel ja um einiges interessanter als die Auflösung. Denken wir nur einmal mehr an Hitchcocks PSYCHO, wo uns in einer absolut überflüssigen Szene am Schluß ein Psychologe die Taten und die Störung von Norman Bates erläutert. In seinem Buch MAKING MOVIES witzelt Filmemacher Sidney Lumet, daß er und Autor Paddy Chayefsky solche Erklärungsversuche als „rubber-ducky school of drama“ betiteln: „Someone once took his rubber ducky away from him, and that’s why he’s a deranged killer.“

Der Beginn von Rob Zombies HALLOWEEN-Version scheint genau dieser Quietscheentchen-Psychologie anheimzufallen: Myers wächst in einer traurigen White-Trash-Familie auf, der Stiefvater wirft ihm Beleidigungen an den Kopf und schlägt seine Frau, die als Stripperin arbeitet. Auch in der Schule wird Michael gehänselt und herumgeschubst – und weil er eine besondere Faszination für tote Tiere hat (die er allem Anschein nach auch selbst tötet), spricht der Kinderpsychologe Dr. Loomis auch prompt von Aggressionen, die auf tiefersitzende Probleme hindeuten. Aber trotz der gezeigten Situationen, die – wie viele Momente in Zombies Film – auf eine viel stärkere Ursache-und-Wirkung-Logik hinauslaufen als der Originalfilm, läßt Zombie der Figur noch genug Mysterium, um sie unerklärlich und abgründig zu belassen. Interessant ist dabei vor allem die psychologische Komponente von Myers‘ Maske: Das Kind sagt an einer Stelle, daß er mit der ständig aufgesetzten Maske seine „Häßlichkeit“ verstecken kann; offenbar erinnert sich Michael auch nicht an die Bluttaten, die er mit aufgesetzter Maske begangen hat. Eine der traurigsten und erschreckendsten Szenen ist ein ganz kleiner Moment, wo Michaels Mutter den Jungen in der Klinik besucht und er sie fragt, ob es zuhause allen gut geht.

Der Part nach Michaels Flucht als Erwachsener setzt hier erst nach gut einer Stunde ein und hält sich dafür viel enger an Carpenters Vorlage. Weil Laurie Strode, im Original Sympathieträger und Hauptfigur, also ebenso wie ihre Freundinnen erst sehr spät auf der Leinwand erscheint, fällt sie unseren Sehgewohnheiten entsprechend auch mehr in die Kategorie „Opfer“; entsprechend modernen Genrekonventionen ist ihre Auseinandersetzung mit Michael ein Survival-Horror-artiger Kampf bis aufs üppigst sichtbare Blut – die brutale Körperlichkeit, mit der heutige Heroinen quasi ihr Alltags-Ich abstreifen müssen, um als blutverschmierte, gequälte Urinstinktwesen auferstehen zu können, wird im neuen HALLOWEEN ausgiebigst ausgekostet. Überhaupt setzt Zombie auf bluttriefenden Realismus: Die Morde sind hart und schmerzhaft, die Inszenierung erinnert an die entmystifizierten Terrorbilder, die Tobe Hooper und Wes Craven in THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE bzw. LAST HOUSE ON THE LEFT eingefangen haben.

Natürlich kann man, wenn man die Vorlage kennt, gar nicht anders, als beide Fassungen miteinander zu vergleichen. In einer solchen Gegenüberstellung muß ich festhalten, daß ich die sorgfältig komponierten Bilder und schleichenden Kamerafahrten des Originals dem expliziteren, hektischeren Effektsturm der Neuauflage vorziehe, und daß ich die Auslassung der Myerschen Hintergrundgeschichte spannender finde als ihre Befüllung. Trotzdem ist Zombies Version eine lohnenswerte Variante, die ihre eigenen Reize bietet. Und mit ein paar Abstrichen – nämlich den Segmenten, die sich allzu sehr am Original orientieren – hat Zombie auch exakt das gemacht, was ihm Carpenter geraten hat: Er hat seinen eigenen Michael-Myers-Film geschaffen. Zombies Welt wäre auch ohne das Auftauchen dieses Killers schon kaputt und trist genug.

Letztlich macht Zombie mit Carpenters Figur das, was mit all den fiktiven Figuren gemacht wird, die eine nachhaltige Resonanz für uns haben: Er erzählt mit heutigen Mitteln von ihr. Ich habe diese Woche gleich zweimal im Gespräch mit (räusper) noch jüngeren Menschen als mir festgestellt, daß die gar nicht wissen, daß Zombies Film ein Remake ist – und im Prinzip, sofern sie nicht filmgeschichtlich interessiert sind, müssen sie das auch gar nicht: Zombies Film ist im Vergleich zum Original quasi genauso, nur anders. HALLOWEEN ist eine Geschichte, die weitergereicht wird, und ich habe das Gefühl, daß Michael Myers noch viele Jahre lang immer wieder auftauchen wird – vielleicht so lange, wie Grausamkeiten auf der Welt geschehen, für die es keine Erklärung gibt.



Halloween (USA 2007)
Regie: Rob Zombie
Buch: Rob Zombie
Musik: Tyler Bates
Kamera: Phil Parmet
Darsteller: Malcolm McDowell, Scout Taylor-Compton, Brad Dourif, Tyler Mane, Danielle Harris, Daeg Faerch, Sheri Moon Zombie, William Forsythe, Richard Lynch, Udo Kier, Clint Howard, Danny Trejo, Tom Towles, Bill Moseley, Leslie Easterbrook, Dee Wallace, Ken Foree, Micky Dolenz, Sybil Danning, Sid Haig

Die über Amazon erhältliche BluRay enthält die Kinofassung des Films. Der indizierte Director’s Cut ist z.B. über die OFDB erhältlich.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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