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Reeker (2005)

Mit der Originalität ist das ja so eine Sache: Sie ist in unserem in der Romantik verhafteten Wunsch, jedes Werk müsse etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes sein, hoffnungslos überschätzt. Andererseits mag man ja nicht hundertfach die selbe Geschichte erzählt bekommen. „There are no new stories,“ hat mir Autor Marc Nieson beigebracht. „All you can do is take a story and make it your own“. Hier liegt der Knackpunkt: Die Muster sind bekannt, die Erzählungen folgen seit Jahrhunderten und Jahrtausenden den gleichen Regeln. Wonach wir Ausschau halten, ist ein Detail, ein frischer Ansatz, eine persönliche Note – etwas, das vom Erzähler eingebracht wird, um die Geschichte wieder erzählenswert zu machen.

Was genau hat die obige Überlegung mit REEKER zu tun? Nun, REEKER – ein Horrorfilm aus dem Jahr 2005 – ist ein adrenalintreibender Horrorfilm mit eigener Note, der sandwichartig zwischen einem unoriginellen Anfang und einem ebensolchen Schluß steckt. Man kann ja nicht immer alles haben.

Ein merkwürdiges Monster treibt sich durch die kalifornische Wüste und schnappt sich noch vor dem Vorspann eine ganze Familie samt Hund, die mit ihrem Wagen kurz am Rand der endlosen Straße anhält. Ein guter Schockmoment, danach ein paar Bluteffekte, die schon völlig over-the-top sind, und dann erstmal die Anfangscredits. Dann lernen wir fünf College-Studenten kennen, die auf dem Weg zu einem Rave durch das Wüstengebiet fahren. Nach kurzem Herumgeblödel landen sie bei einem verlassenen Motel, wo ihr Sprit ausgeht. Die Telefone funktionieren nicht. Die fünf sitzen fest.

Es ist natürlich Pflicht, seine kleine Gruppe von Figuren irgendwo in die Isolation zu schicken und kurz und bündig zu erklären, warum sie nicht weg können. Das kennen wir alles schon, und es regt uns auch nicht sonderlich auf. Und – welch unglaubliche Überraschung! – freilich taucht das im „Vorspann“ vorgestellte Monster auf und macht Jagd auf die Gestrandeten.

Und plötzlich beginnt die Story, den Zuseher zu fesseln. Das Monster bleibt zunächst unsichtbar – nur ein atemberaubender Gestank, der die Luft zum Flimmern bringt, kündigt es an. Einige Mystery-Elemente geben Rätsel auf: Wieso gibt es keinen Radio- und Fernsehempfang mehr? Hat vielleicht eine Katastrophe das Land heimgesucht? Ein älterer Mann kommt am Motel vorbeigefahren und sucht seine Frau – und redet davon, daß er Tote sieht. Und wieso taucht dauernd der blutverschmierte Dealer auf, dem einer unserer Helden sein Ecstasy geklaut hat, und verschwindet im nächsten Moment spurlos?

Weil sich das mordende Monster durch seinen Gestank ankündigt, spielt der Film eine Zeitlang gekonnt damit, was wir nicht sehen oder was die Figuren nicht sehen. Einer der fünf Studenten ist blind – und stolpert in einen Raum, in dem eine sterbende Frau Worte in einen Tisch ritzt. Weil er sie nicht gesehen hat, bleibt ihre Anwesenheit für uns als Zuseher im Kopf, aber der blinde Student nimmt sie natürlich nicht wahr. Umgekehrt sehen wir Schatten über einen der Studenten huschen, oder wir sehen ein Notsignal, dem eine Figur den Rücken zukehrt. Das Spiel mit der Wahrnehmung und die rätselhaften Geschehnisse ziehen die Schrauben ordentlich an.

Nach und nach sehen wir das Monster – einen Teil davon in einer grausamen, langwierigen Todessequenz, dann immer mehr im Katz- und Maus-Spiel mit den anderen Studenten. Natürlich wird die Bedrohung greifbarer und somit weniger beängstigend – irgendwann sieht man nur noch einen schwarzbemantelten Gasmasken-Kinderschreck mit elektrischem Bohrer, und der Terror wird überschaubarer. Weil das Timing sitzt und Regisseur Dave Meyers gekonnt mit Schocks und Überraschungen jongliert, bleibt REEKER auch in dieser Phase noch spannend. Nicht zuletzt, weil wir uns von der Auflösung natürlich auch die Klärung der Mystery-Parts versprechen.

Die Auflösung kommt, und sie mag nicht sonderlich originell sein, aber sie ist immerhin clever eingefädelt. Und trotzdem enttäuscht sie: Unter der Erkenntnis der Erklärung betrachtet war der Ort, der gezeigt wurde, eigentlich wenig interessant. Und genaugenommen hatte nichts von dem, was wir gesehen haben, eine tiefere Bedeutung. Es wird nicht einmal impliziert, daß der Ausgang ein anderer hätte sein können, wenn die Figuren anders gehandelt hätten. Da es aber nicht um Schicksal geht, bleibt das Gefühl, eineinhalb Stunden müßigen Zeitvertreib angesehen zu haben. Natürlich machen die einzelnen Elemente jetzt Sinn – aber es war alles nur Klang und Wut, völlig bedeutungslos.

Schade. Dazwischen funktioniert REEKER als blutiger, packender Horrorstreifen – dank pfiffiger Regie und guten Darstellern bleibt die Geschichte stets interessant. Vielleicht hätte weniger vermeintliche Originalität zum Schluß der Geschichte eine viel eigenere Note gegeben?

Reeker (USA 2005)
Regie: Dave Payne
Drehbuch: Dave Payne
Produktion: The Institution / Primal Pictures
Darsteller: Devon Gummersall, Derek Richardson, Tina Illman, Scott Whyte, Arielle Kebbel, Michael Ironside, Eric Mabius
Länge: 87 Minuten
FSK: 16

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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