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[Film] Morgen fällt die Schule aus – Die Lümmel von der ersten Bank, VI. Teil (1971)

In meinem Regal und auf meinem Schreibtisch warten – buchstäblich griffbereit – bislang ungesehene Filme von Louis Malle, François Truffaut, Federico Fellini, Michelangelo Antonioni, D.W. Griffith, Sergei Eisenstein, Fritz Lang und Wim Wenders. Worauf fällt also die Wahl an diesem grauen Samstagnachmittag? Natürlich auf MORGEN FÄLLT DIE SCHULE AUS, dem mittlerweile sechsten Teil der grenzwertigen Reihe DIE LÜMMEL VON DER ERSTEN BANK. Schließlich steht auf dem Plakat: „Wenn Sie von Herzen lachen wollen: Hier erwarten Sie zwei frohe Stunden“. Zum Glück waren’s nur anderthalb.

Nun war Teil 5 – wir berichteten – ja durch einen Plot rund um ein vermeintliches Testament vergleichsweise komplex gestrickt. Möglicherweise fühlte sich der eine oder andere Zuseher auch schwer überfordert, weshalb in Part 6 sicherheitshalber die Handlung gleich völlig außen vor gelassen wird. Nicht einmal eine Anbandelei zur Anbiederung an die schlichten Gemüter ist zu finden! Die dadurch entstandenen Lücken im Ablauf des filmischen Scherzartikels werden zum Ausgleich mit – oh Graus – Heintje-Liedern geflickt. So schön wie in Teil 3 wird’s nimmermehr.

Heintje – wieder in einer anderen Rolle als in Teil 2 und in Teil 4 – kommt hier ins Spiel, weil Pepe Nietnagels Papa briefmarkensammelnderweise durch Amsterdam schlurft und dabei den lautstark schmetternden Heintje vor einer Drehorgel bewundert (daß der Schlagerstar sich ein paar Gulden mit Straßenmusik verdienen muß, kann angesichts des späteren pubertätsbedingten Karriereknicks mit dem schönen literaturwissenschaftlichen Begriff „foreshadowing“ gekennzeichnet werden). Ein dahergelaufener Straßenräuber mit Bart und Hut klaut dem Herrn Papa den Aktenkoffer, Heintje holt ihn wieder zurück und wird aus lauter Dankbarkeit nach Deutschland ins Zuhause der Familie Nietnagel eingeladen.

Wenn der Bub nun gerade nicht singt, heckt er mit Oberlümmel Hansi Kraus komplizierte Scherze aus, die – verglichen mit den Juxen der vorangegangenen Teile – mitunter kilometerweit ins Absurde marschieren. Der arme Kollege Knörz – wir ziehen kurz respektvoll den Hut vor Rudolf Schündler, der uns nicht nur in allen sieben Teilen der Serie leid tut, sondern auch sein ernsthaftes Schauspieltalent erfolgreich verbirgt – fällt auf den alten Trick mit dem Zementluftballon rein, Herr Blaumeier dagegen darf sich ein Bier in die Hose schütten lassen. Direktor Tafts Wohnung wird unter Wasser gesetzt – ho, ho! – und zum Höhepunkt wird das komplette Lehrerkollegium alkoholisiert, in eine flohverseuchte Jagdhütte gelockt und dann wegen Einbruchs von der Polizei verhaftet. So ein Spaß.

Die Rezensentenpflicht – und die lobenden Worte eines aufmerksamen Lesers – schreiben es vor, auf die Kontinuitätsprobleme innerhalb der Serie hinzuweisen. Also: Frau Dr. Knörz, ansonsten Ruth Stephan, wird hier von Eva Maria Meineke gespielt (in Teil 2 wurde Stephan von Inge Wolffberg vertreten). Vater Nietnagel wird erneut ausgetauscht – es wäre ja geradezu enttäuschend gewesen, wenn diese Figur zweimal vom selben Darsteller gespielt worden wäre! – und so darf diesmal Fritz Tillmann „Frecher Hund!“ sagen. Über Frau Nietnagel und Frau Taft führt der zuständige Kritiker nicht Buch, aber es scheint wieder ein Wechsel stattgefunden zu haben. Dafür bleibt Jutta Speidel in der Klasse, die aus einem unerfindlichen Grund in jeder Rezension erwähnt werden muß, obwohl sie eigentlich völlig unaufregend ist. Vielleicht, weil sie kurz darauf in zwei Ernst-Hofbauer-Filmen zu sehen war.

Mit dem ständigen Gesinge von Heintje und der völlig überflüssigen positiven Lehrerfigur Dr. Lang – Evelyn Opela hat einen Gesichtsausdruck mit ans Set gebracht – bleibt Teil 6 trotz völlig abstruser Scherze und dem gewohnt albernen Gehampel der Darstellerriege hinter dem komplett grenzdebilen, aber dafür immens kurzweiligen fünften Teil zurück. Uns beruhigt allein der Gedanke, daß selbst diese Klasse bald ihr Abitur hinter sich gebracht haben wird. Man sollte ja immer aufhören, wenn’s am Schönsten ist.

Morgen fällt die Schule aus – Die Lümmel von der ersten Bank, VI. Teil (Deutschland 1971)
Regie: Werner Jacobs
Drehbuch: Georg Laforet (= Franz Seitz)
Produktion Franz Seitz Filmproduktion / Terra Filmkunst GmbH
Darsteller: Heintje, Hansi Kraus, Theo Lingen, Ralf Wolter, Rudolf Schündler
Länge: 84 Minuten
FSK: 6

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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