I’ve got a newsflash for you, Walter Cronchite.

Buch / Uncategorized / 29. Oktober 2006

Gestern im Müller gefunden: Den Soundtrack zu BROKEN FLOWERS für sparsame €5! Vielleicht haben sie nicht damit gerechnet, daß den jemand für mehr Geld mitnimmt? Jedenfalls hab‘ ich die CD gleich auf der Heimfahrt gehört – und schon ist Filmstimmung aufgekommen, nicht zuletzt, weil Bill Murray die Musik im Film auch immer beim Autofahren hört. Der Soundtrack lief gestern 3x, jetzt gerade schon wieder: Das ist ein Hit! Neben dem eigenwilligen äthiopischen Jazz, den Winston im Film seinem Freund für die Reise brennt, ist Soul von Marvin Gaye und Songwriter-Pop von Holly Golightly zu hören, daneben heftige Gitarren von Sleep und ein Opernstück. Eklektischste Jarmusch-Musik also mal wieder, und ein schöner Zusatz zum ebenso feinen COFFEE-AND-CIGARETTES-Soundtrack.

Ebenso gekauft: Das Album URBAN HYMNS von The Verve. Ich hab’s ja eigentlich nicht so mit dem Britpop – das ist der andere „C“, der da so wild drauf ist – aber Oasis‘ MORNING GLORY hat sich in meine Top-irgendwas eingespielt, und weil mir das Schwelgerische darauf so gut gefällt, dachte ich mir, daß ich mal ein wenig weiterforschen sollte in die Richtung. Nach den HYMNS kam ja die zweite Implosion dieser schwer von der 60’s-Psychedelia-beeinflußten Gruppe, der dann nurmehr angeblich leblose Ashcroft-Soloalben folgten. Die HYMNS aber sind fein: Versponnen, schöne Melodien, wehmütig, episch. Gut angelegtes Geld, würde ich nach dem ersten Anhören mal behaupten.

Zuletzt habe ich – wie der Großteil meiner Leser ohnehin schon weiß – William Dears Autobiographie PRIVATE DETECTIVE gelesen. Die Resonanz von Dears grandiosem DUNGEON MASTER ist immer noch spürbar, und immer noch hege ich den Wunsch, diese Geschichte zu verfilmen. Dank eingehender Diskussion mit einem bekannten Apartment-Einwohner wissen wir jetzt auch, wer William Dear spielen sollte: Kevin Costner! Die Frage bleibt, wie wir dann noch einen Hit produzieren können, aber vom Typ her ist Costner erste Wahl. Wiedemauchsei, die Autobiographie reißt in kürzeren Kapiteln mehrere Stationen in Dears Leben an – seine Arbeit bei der Polizei, seine kurze Karriere in der Politik – und erzählt von verschiedenen Fällen, die er bearbeitet hat. Einige davon sind sehr fesselnd und sehr ungewöhnlich (wie die Exhumierung von Lee Harvey Oswald), andere sehr traurig (die Ermordung einer Freundin). Gelegentlich blitzt ganz harte Cowboy-Mentalität bei Dear auf, etwa wenn er wünscht, daß ihm der Mörder seiner Freundin in die Finger gekommen wäre: Dann wäre er da, wo er hingehört, „carried by six instead of judged by twelve“. Aber diese Tendenzen zu Selbstjustiz und Selbstgerechtigkeit ufern nicht aus und sind angesichts von Dears nach wie vor sehr empathischen Erzählungen auch mitunter nachvollziehbar.

Nach wie vor hätte ich gerne Dears Buch zum O.J.-Simpson-Fall: O.J. IS GUILTY BUT NOT OF MURDER. Was hat Dear wohl zu der ganzen Angelegenheit zu sagen? Da das Buch aber über €20 kostet, muß es noch ein wenig auf der Wunschliste bleiben, und dafür lese ich jetzt Robert Graysmiths Buch ZODIAC. Der Zodiac-Killer (demnächst porträtiert in einem Film von David Fincher) hat Ende der 60er in San Francisco gewütet – nach eigenen Aussagen mit 37 Opfern – und der Polizei und der Presse hunderte von Briefen geschickt, in denen er geprahlt hat und im Detail beschrieb, was er mit seinem nächsten Opfer machen würde. Graysmith, Autor beim San Francisco Chronicle, hat penibelst alle Daten und Ideen über den (nie gefaßten) Killer gesammelt und in dieses Buch gepackt. Mal ein ganz anderer Horror …

Kann man Jarmusch-Fan sein, ohne je GHOST DOG: THE WAY OF THE SAMURAI gesehen zu haben? Klar kann man, aber man wird ein noch größerer Fan, wenn man’s dann doch tut. Gestern habe ich den von mir bislang sträflich vernachlässigten Film endlich gesehen und bin sehr beeindruckt. Im typisch langsamen Jarmusch-Stil erzählt der Film die Geschichte eines Mannes, der völlig von der Zeit überholt wurde. Auch die Menschen, gegen die er kämpft, sind überholt – alternde Mafiosi, die den ganzen Tag Cartoons gucken und die Miete nicht bezahlen können. Nachdem unser Held einen von ihnen erschießt, freut sich der noch, daß er wenigstens wie ein echter Gangster sterben darf. Der Ehrenkodex, nach dem die Hauptfigur lebt, ist völlig sinnlos, weil der Mensch, dem er sich unterordnet, gar nicht daran glaubt. Im RASHOMON-Stil sehen wir zwei verschiedene Erinnerungen an ein und dasselbe Ereignis. Schön die üblichen Eigenheiten von Jarmuschs Charakteren: Der beste Freund der Hauptfigur ist ein Eisverkäufer, der nur Französisch spricht, und beide können sich sprachlich nicht verständigen. Sie beobachten einen Spanier, der auf seinem Hausdach ein Schiff baut – einer Arche gleich. Einer der Mafiosi ist ein Hiphop-Fan und erzählt seinen Familienmitgliedern begeistert von Flavor Flav, den er auch nachzurappen probiert. Weil mir kein wirklich schwergewichtiger Schlußpunkt einfällt, kann ich nur sagen: Es hat sich schwer gelohnt. „Übelst geil,“ würde der kleine Beleuchterling Donny wohl sagen.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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