Fergie: The Dutchess (2006)

Uncategorized / 27. September 2006

Die Herzogin auf der Erbse

Das erste Soloalbum der Black-Eyed-Peas-Frontfrau Fergie: Eine durchwachsene Angelegenheit.

Wahrscheinlich liegt es nur an mir. Bestimmt bin wirklich nur ich selbst schuld. Es achtet doch sonst wirklich kein Mensch auf die Texte. Nur ich muß mal wieder zuhören, mitlesen, mitdenken. Anstatt Fergies erstes Soloalbum THE DUTCHESS also als Nebenher-Klang zum Morgenkaffee in all seinen Höhen und Tiefen zu genießen, sitze ich kopfschüttelnd da und weiß bei jedem Song, worum es geht: Um gar nichts.

Fergie – richtig, die von den Black Eyed Peas – hat das Album übrigens gar nicht THE DUTCHESS getauft, sondern viel präziser FERGIE AS THE DUTCHESS. Vielleicht sollen wir dem Wörtchen „as“ entnehmen, daß die liebe Frau hier eine Rolle spielt, auf der Bühne steht, sich selbst inszeniert. Fürwahr, das tut sie. Und sie sitzt dabei dem üblichen Superstar-Irrglauben auf, daß, wenn man nur immer von sich selbst erzählt, die Inhalte automatisch persönlich werden.

So steigen wir ein: „Fergalicious“. Und schon stehen die Jungs bei ihr Schlange. Immerhin 48 Mal tauchen hier die Wörter „I“, „me“, „my“ auf. Ich, ich, immer ich. Sie mag uns versichern, es sei alles nur ausgedacht („All that shit is fictitious“), aber die Eitelkeit, die ist ganz echt. Ersparen wir es uns, die restlichen Lieder nach Personalpronomen zu durchforsten und picken uns lieber die Highlights heraus: „A girl like me don’t stay single for long“, heißt es in Nummero Zwei, und in der dritten Nummer fragt sie ganz hundeäugig, ob wir sie immer noch lieben würden, wenn sie nicht mehr ins Fitneßstudio ginge. In „London Bridge“ hat der ganze Club nur auf sie gewartet, „Pedestal“ dagegen stellt eine einfache Frage an all jene Menschen, die im Internet Geschichten über sie erzählen: „Have you walked in my shoes?“ Der Banalität sind auch weiter hinten auf der CD keine Grenzen gesetzt – in „Glamorous“ läßt sie uns wissen, daß sie trotz Erster Klasse, Champagner, Grammies und teurem Schmuck immer noch gerne bei Taco Bell essen geht. Im richtigen Leben würde man solche Aufschneider links liegen lassen.

Wenn man sich der textlichen Eigengratulation einmal ausgesetzt hat, hilft es nur noch, das Booklet wegzuwerfen und die Sprachkenntnisse abzuschalten. Wer es schafft, sich nur auf die Musik zu konzentrieren, kann das Album nämlich ganz anders erleben und – bitte jetzt staunen – auch genießen. Nicht jeder Song, der hier zu finden ist, ist wirklich gut – aber die, die es sind, sind dafür richtig gut. „London Bridge“ ist ein ganz fieser Ohrwurm, mit verquerem und absolut unwiderstehlichem Rhythmus. „Pedestal“ hat einen wunderbar schleppenden Beat und kriecht mit Melodie und schrägem Keyboard-Gestotter aus den Boxen. Auch „Clumsy“ setzt sich fest: Computerklicken trifft fünfziger Jahre Little-Richard-Samples.

Musikalisch wird viel Terrain abgedeckt – als hätte Fergie sich im Plattenladen umgesehen, was es denn überhaupt alles gibt. Es gibt Retrosoul („Here I Come“, mit Temptations-Sample), unterkühlten Hiphop („Fergalicious“), geschmeidigen Mainstream-Pop („Velvet“), und eine Nummer mit Rita Marley und den I-Three’s, die Reggae, Ska-Punk und Scatgesang vereint (die Kifferode „Mary Jane Shoes“). Als Faustregal darf hierbei gelten, daß die Platte bei „Here I Come“ gerne hätte enden dürfen, weil sie sich danach in wenig erbaulichen Belanglosigkeiten verliert und immer erratischer – und vor allem: immer länger! – wird. Es gibt einen Bonustrack (mit den Black Eyed Peas), und danach dann noch einen Hidden Track, aber nichts davon hätte die Welt wirklich gebraucht.

Was machen wir also mit Fergie? Empfehlen wir eine CD, auf der 3 grandiose Songs sind, 4 gute und 7 absolut belanglose? Empfehlen wir eine CD, deren Texte eitler und banaler nicht sein könnten? Ja, tun wir, mit zugekniffenem Auge und dem Wissen, daß man die Texte ignorieren kann. Es muß ja nicht immer alles der große Wurf sein.

Übrigens: In der Piano-und-Streicher-Ballade „Finally“ verrät uns Fergie ganz hinten auf der CD, daß sie schon als kleines Kind immer einen Traum hatte – sie wollte Aschenputtel sein. Ehrlich, Fergie, alles andere hätte uns überrascht.

Dieser Text erschien zuerst am 27.9.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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