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CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER: Der altmodische Rächer

Chris Evans als Captain America

Nach THOR knöpft sich unser Gastautor Dr. Wily den nächsten Superhelden vor, der die Bühne des Marvel Cinematic Universe betritt: CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER.

Auf den ersten Blick ist CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER ein geradliniger, vergnüglicher und kurzweiliger Actionfilm mit altmodischem Touch, der sehr schön der Zeit entspricht, in der die Geschichte spielt. Es sind die 1940er Jahre des Zweiten Weltkriegs. Allein die geschmackvolle und nie aufdringliche Ausstattung und die Kostüme sind das Ansehen wert.

Darüber hinaus spielt CAPTAIN AMERICA natürlich im Marvel-Universum, in dem zwar historische Geschehnisse wirklichkeitsnahe porträtiert werden, es eben aber auch schwebende Autos, einen Super-Soldaten und einen Bösewicht namens Red Skull gibt, der eine NSDAP-Unterdivision befehligt, die sich „Hydra“ nennt und die es auszuschalten gilt. Das erlaubt den Filmemachern auch – im Gegensatz vor allem zu Christopher Nolans BATMAN-Filmen, die völlig in der Realität verankert sein wollen – die spaßmachenden Comicaspekte hervorzukehren. Wenn Captain America dann seine Superkräfte einsetzt – die ganz simpel darin bestehen, daß er viel mehr Kraft hat als alle anderen und deshalb schneller laufen, weiter springen, Dinge höher werfen und vor allem fester boxen kann – dann ist sichtlich kindlicher Spaß am Werk.

Chris Evans als Captain America
Schneller, weiter, höher: Steve Rogers wird zu Captain America.

Der Film funktioniert jedoch hauptsächlich wegen seiner schlüssigen Geschichte und glaubwürdig gezeichneten Figuren. Die USA sind im Krieg mit Nazi-Deutschland, und Steve Rogers (Chris Evans) muß zusehen, wie alle Freunde um ihn herum in den Krieg ziehen, während er bei mehrmaligen Musterungen abgelehnt wird. Rogers ist nämlich leider ein kränklicher, kleiner Mann mit wenig Körperkraft. Noch dazu kommt er aus einer Familie, die sich im Ersten Weltkrieg sehr verdient gemacht hat. Er selbst behauptet, nur seinen Beitrag leisten zu wollen, doch sein bester Freund Bucky (Sebastian Stan) durchschaut ihn: „Right, like you have nothing to prove“. Auf die Frage, ob er denn heiß darauf wäre, Nazis zu töten, antwortet Rogers: „I don’t want to kill anyone. I just don’t like bullies.“

Was Rogers allerdings auszeichnet, sind Mut, Aufrichtigkeit, Entschlossenheit, Bescheidenheit, Höflichkeit und Selbstlosigkeit. Darüber hinaus ist er ein klassisch-trotziges amerikanisches Stehaufmännchen. „I can do this all day“ sagt er mehrfach im Film, wenn er von Gegnern verprügelt wird, sowohl als unterlegener Schwächling zu Beginn als auch als überlegener Superheld später. Es sind genau diese altmodischen Werte, die der deutsche, übergelaufene Wissenschaftler Dr. Abraham Erskine (Stanley Tucci) für sein Super-Soldaten-Projekt sucht. Captain America ist geboren. Er geht also den umgekehrten Weg von Thor und Iron Man. Die Charakterstärke bringt Steve Rogers schon mit, die Körperkraft muß er sich aneignen und damit umzugehen lernen. Es paßt daher zu keinem seiner Heldenkollegen so gut wie zu ihm, daß er am Ende das größte Opfer von allen zu bringen bereit ist.

Red Skull (Hugo Weaving).
Hugo Weaving als Bösewicht Red Skull.

So umschifft der Film auch sehr elegant den der Figur innewohnenden Patriotismus (der in den weiteren Abenteuern der Reihe viel mehr zum Problem wird). Er läßt Captain America aus diesem Menschen mit seiner individuellen Geschichte entstehen, und auch sonst ist sich CAPTAIN AMERICA nicht zu schade, die Dinge etwas differenzierter zu betrachten. So erklärt Dr. Erskine, daß oft übersehen werde, daß das erste Land, das die Nazis besetzt hatten, ihr eigenes war. Deutschland wäre nach dem letzten Krieg verzweifelt und kaputt gewesen. Dann kam Hitler mit Pomp, Fahnen und Versprechen und habe mit der Phantasie der Menschen gespielt. Es sind keine langen oder großen Szenen, doch sie funktionieren und machen diese Geschichte komplexer, als zu erwarten wäre. Sie geben ihr das Herz, das auch zentral für die Figur des Captain America ist. Das politische und militärische System kann interessanterweise mit diesem Symbol für Amerika nichts anfangen. Die erste Idee, die sie für ihren Supersoldaten haben, ist, ihn als Werbefigur für Kriegsanleihen zu verwenden. Wie wenig dieser Inbegriff der amerikanischen Werte in ein System zu passen scheint, wird in den weiteren Abenteuern zum einem Kernaspekt werden und dabei auch den Humor verlieren.

CAPTAIN AMERICA hält ständig die Balance zwischen spaßiger, aufregender Action und Momenten für seine Figuren, die der Film nie aus den Augen verliert und immer ernst nimmt. Die altmodischen Elemente – die zurückhaltende Liebesgeschichte, das immer zügige Tempo, ohne dabei stressig und unübersichtlich zu werden – geben dem Film ein Element, das den Marvelfilmen bisher eher gefehlt hat: Charme (wobei man ihn in THOR bisweilen schon findet). Der entsteht vor allem durch Steve Rogers mit seinen oben erwähnten, etwas steif und uncool wirkenden Werten. Ich habe gerade das sehr symphatisch und erfrischend gefunden: jemand, der die Dinge gebührend ernst nimmt und nicht ständig ironische Kommentare zu Besten gibt. Zumal diese Eigenschaften dem Zuschauer nicht ständig mit erhobenem Zeigefinger vorgehalten werden.

Stanley Tucci als Dr. Abraham Erskine.
Macht Steve Rogers zum Übersoldaten Captain America: Dr. Erskine (Stanley Tucci).

Chris Evans passt diese Rolle hervorragend. Man hat fast das Gefühl, dieser All-American Boy läuft auch privat so herum (wie man in SCOTT PILGRIM VS. THE WORLD sieht, kann er auch anders). Außerdem ist er der größte Spezialeffekt dieses an Effekten natürlich nicht armen Films. Wie sie aus dem Muskelviech Evans den kleinen, schmächtigen Steve Rogers der ersten halben Stunde gemacht haben, ohne daß der Zuschauer merkt, daß da getrickst wurde, ist beeindruckend. Roger Ebert mutmaßt in seiner Kritik zum Film sogar, daß man zu keinem Zeitpunkt den echten Chris Evans sieht: Zuerst sei er digital geschrumpft, dann digital verstärkt.

Wie all die anderen Marvelgeschichten ist auch diese durchgängig hochkarätig besetzt. Wer sich nicht erinnern kann, Stanley Tucci einmal in einer sympathischen Rolle gesehen zu haben, wird hier überrascht sein (und kann dann gleich EASY A schauen). Auf Tommy Lee Jones (der nächste Oscarpreisträger) als General mit trockenem Humor und Hugo Weaving, der Bösewichte immer noch mit sichtbarer Freude spielt, als Red Skull ist auch und im besten Sinne Verlaß. Am eindrücklichsten ist Hayley Atwell als Agent Peggy Carter, des Captains Love Interest: eine weitere Figur, die über ihre Schablone hinausgeht. Eine starke, stolze und selbstbewußte Frau, die auch im Kugelhagel vorne dabei ist (vorzugsweise ohne Helm, möglicherweise, um die Frisur nicht zu beschädigen) und verdeckte innere Kämpfe austrägt. Den ganzen Film über mit starker Präsenz spielt Atwell aber die auf Distanz gehaltene Anziehung zu Steve Rogers am besten. Man wird sie sich nach diesem Film merken.

Hayley Atwell als Peggy Carter.
An vorderster Front dabei: Peggy Carter (Hayley Atwell).

 
Wie schon im Text zu THOR erwähnt, macht Marvel hier nun endgültig das richtig große Faß auf. Der Tesseract, dieser blau glühende, außerirdische Energiewürfel, wird prominent eingeführt, die Verknüpfung damit sowohl nach hinten zu THOR als auch nach vorne zu THE AVENGERS gemacht. Mit dem Tesseract haben wir allerdings nicht nur die Auflage zum Zusammenführen unserer Superhelden im großen Ensemblefilm, sondern wir lernen so auch den ersten Infinity Stone kennen. Weitere werden folgen, und die Geschichte um diese magischen Steine beschäfigt das Marvel Cinematic Universe bis heute, wo die ganz große Erzählung mittlerweile schnurstracks auf den INFINITY WAR zusteuert.

CAPTAIN AMERICA ist mein liebster Film aus Phase Eins und auch ingesamt einer meiner liebsten aus dem Marvel-Universum.

Post-Credit: Keiner der bisherigen Filme spielt so viel mit den internen Marvelsymbolen wie CAPTAIN AMERICA. So hält Steve Rogers kurz nach seiner Verwandlung gleich zweimal einen Gegenstand als Schutzschild hoch, die sein späteres Trademark-Tool vorwegnehmen. Noch weiter in die Zukunft blickt der Film, wenn Steve und sein alter Freund Bucky gemeinsam Bösewichte jagen und beide Sterne am Anzug haben. Bucky wird bald einen roten Stern tragen. Kurz nimmt Bucky in dieser Sequenz sogar des Captains Schild auf. Wer die Comics um Captain Americas Tod kennt, darf vorfreudig rätseln, wohin Buckys Reise denn noch gehen könnte.

Post-Credit II: Hayley Atwells Peggy Carter wurde durch ihren Auftritt hier so beliebt, daß sie in weiteren Marvelgeschichten wie ANT-MAN oder der Fernsehserie AGENTS OF S.H.I.E.L.D. erst Kurzauftritte bekam und dann sogar eine eigene AGENT-CARTER-Fernsehserie.

Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld
DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente
IRON MAN 2: Größer, höher, weiter und mit Nachdruck 
THOR: Gott, Held oder Superheld?
BLACK PANTHER: Eine repräsentative Utopie 



Captain America – The First Avenger (USA 2011)
Regie: Joe Johnston
Buch: Christopher Markus & Stephen McFeely
Kamera: Shelly Johnson
Musik: Alan Silvestri
Darsteller: Chris Evans, Hayley Atwell, Sebastian Stan, Tommy Lee Jones, Hugo Weaving, Dominic Cooper, Richard Armitage, Stanley Tucci, Samuel L. Jackson, Toby Jones

Alle Bilder (C) Paramount Pictures.

Dr. Wily
Dr. Wily mag das Alte. Selbst aktuellen Entwicklungen in Musik, Film, Literatur und Computerspiel gibt er oft Monate bis Jahre Zeit, um sich von ihnen einnehmen zu lassen. Mit zunehmendem Lebensalter zieht es ihn vermehrt zu Horror- und Mysterygeschichten hin, nur um sich dann seine Seele doch wieder von Richard Linklater, Jim Jarmusch, Jack Kerouac, Jackson Browne, Paul Simon oder J.D. Salinger streicheln zu lassen. Außerdem kann er nach 15 Jahren Spielpause MEGA MAN 2 aus dem Stand bis ins vorletzte Level durchspielen.

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