DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente

Uncategorized / 28. Januar 2018
Edward Norton als Hulk

Nach seinen Betrachtungen zu IRON MAN, dem Beginn des Marvel Cinematic Universe, stürzt sich Dr. Wily auf den nächsten Superhelden. Ob DER UNGLAUBLICHE HULK (im Original THE INCREDIBLE HULK) auch unseren gelassenen Gastautor zum grünen Wutteufel werden läßt?

Am Ende ist THE INCREDIBLE HULK eine etwas enttäuschende Sache. Vielleicht, weil Enttäuschung immer etwas mit Erwartungen zu tun hat und ich an den anderen AVENGERS-Geschichten bisher ja großen Gefallen gefunden habe. Aber auch, weil ich den Hulk eine an sich spannende Figur finde. Vielerorts wird er als langweilig und eindimensional bezeichnet, weil er nur ein Mann ist, der sich nicht ärgern darf, da er sonst zu einem großen, grünen Fleischpaket wird, das brüllt und alles kaputt macht. Was ja vom kindlichen Standpunkt aus eine ungeheuer aufregende und vielsprechende Prämisse ist – man darf ja die eigentliche Zielgruppe dieser Filme nicht vergessen.

Der Erwachsene in mir sieht im Hulk noch etwas zusätzlich Interessantes. Wie seine Kollegen von den X-Men oder klassische Horrormonster wie der Wolfsmensch oder der Vampir ist er nicht nur ein Monster/Superheld, sondern erzählt auch etwas über uns Menschen. Die X-Men sind nicht nur Mutanten mit speziellen Kräften, sie sind auch „die, die anders sind“ und werden deshalb gefürchtet, ausgegrenzt und verfolgt. Der Vampir erzählt uns immer etwas über sexuelle Begierde. Auch beim Hulk ist seine spezielle Fähigkeit nicht bloß Segen und Superkraft, sondern auch Fluch. Die Achillesferse ist Teil seiner Außergewöhnlichkeit. Die rasende, brodelnde Wut, die in uns aufsteigt und die uns selbst Angst macht, weil wir das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren und uns selbst nicht mehr zu kennen (Mark Ruffalos Bruce Banner nennt ihn in THE AVENGERS nicht zufällig „the other guy“), die Wut, die wir zügeln müssen, um uns selbst oder andere nicht zu verletzen, Beziehungen nicht zu gefähren, das soziale Gefüge nicht stören – das ist der Hulk. Spätestens im Straßenverkehr kommt bei fast jedem einmal das große, grüne Wutmonster hervor.

Edward Norton als Bruce Banner
Bruce Banner (Edward Norton) auf der Flucht.

Was macht nun Regisseur Louis Leterrier in seinem THE INCREDIBLE HULK damit (oder eben nicht)? Nun, der Mann hat unter anderem zwei der TRANSPORTER-Filme und KAMPF DER TITANEN gemacht – was seine Geschmacks- und Interessenlage ganz gut darlegt. Leterrier macht Action und mag Spezialeffekte. Ergo finden sich diese beiden Elemente auch häufig in diesem Film, was mein Interesse an der Geschichte ja nur zum Teil befriedigt.

Der Film frühstückt die Origin-Story des Hulk – das schiefgegangene Experiment, das Bruce Banner (Edward Norton) mit Gamma-Strahlen verseucht – gleich während des Vorspanns ab und zeigt uns Banner dann, wie er sich in den Favelas von Rio De Janeiro von der Welt zurückgezogen hat. Dort versucht er mittels fernöstlicher Kampfkunst, Meditation und Atemübungen den Hulk unter Kontrolle zu halten. Er trägt einen Pulsmesser, der ihn warnt, wenn er sich zu sehr aufregt, und versucht mit Hilfe von Pflanzen und Experimenten fieberhaft, „es“ loszuwerden. Er begreift den Hulk als Krankheit, die es zu heilen gilt, und als etwas, das nicht in ihn hinein gehört.

Bruce Banner ist hier nicht nur ein Außerseiter, er ist aus der Gesellschaft gefallen. Im Gegensatz zu zukünftigen Avengers-Kollegen wie Iron Man, Thor und auch Captain America ist sich Banner der negativen Seiten seiner Fähigkeiten bewußt und übernimmt fast zuviel Verantwortung dafür. Er muß sich vor dem Militär verstecken, benutzt deshalb keine Kreditkarten und kein Telefon, kontaktiert einen helfenden Wissenschaftler nur über gut verschlüsselte Emails und hat den Kontakt zu seiner großen Liebe Elizabeth (Liv Tyler) völlig abgebrochen, um sie nicht zu gefährden. Wir sehen ihn oft in Fetzen am Straßenrand kauern, ausgelaugt, müde, unrasiert und völlig verängstigt. Als er seiner Elizabeth wieder begegnet, verkriecht er sich sogar hinter einer Mülltonne. In seinen Träumen lassen ihn Bilder von Gewalt und Wut nicht los, und er behandelt sich selbst wie einen Aussätzigen. Er ist eine traumatisierte, gepeinigte und bisweilen sogar selbstgeißelnde Seele, kurzum – ein wirklich riesengroßes Häufchen Elend. Edward Norton kann das gut.

Banner (Edward Norton) und Elizabeth (Liv Tyler)
Bruce Banner (Edward Norton) und seine große Liebe Elizabeth (Liv Tyler).

Doch der Film läßt seinen Figuren keine Zeit, gibt ihnen keinen Raum. Bei Minute 16 ist Banner auf der Flucht, bei Minute 22 taucht der Hulk das erste Mal auf, und dann geht es nach Baukastenprinzip weiter. Alle zwanzig Minuten muß es actionmäßig krachen, auch wenn das bedeutet, sich gerade entwickelnde Charaktermomente einfach abzudrehen. Am schmerzhaftesten ist es bei der Szene auf dem Unigelände. Banner hatte gerade Elizabeth wieder getroffen, es entwickelt sich wieder eine Beziehung, die Chemie zwischen Norton und Tyler stimmt. Da stehen plötzlich Soldaten hinter den Bäumen und Jeeps brechen durch das Gebüsch. Keine Ahnung, wie die dort hingekommen sind, aber das Militär weiß wahrscheinlich immer, wo alle sind.

Wie Leterrier diesen persönlichen Moment abwürgt, tut richtig weh. Und er macht es immer wieder. Elizabeth und Bruce bekommen keine Möglichkeit, ordentlich zusammenzufinden. Beim nächsten Mal versucht er es mit Humor. In der „Bettszene“ zerbröselt fast jede aufkeimende Intimität zwischen Norton und Tyler zuerst am Tempo, mit dem er über den Dialog hetzt. Beziehung, Zärtlichkeit und Annäherung brauchen Zeit – doch dazu kommt es nicht. Kaum beim Petting, schlägt Banners Pulsmesser an. Dem Armen ist sogar Sex zuviel Aufregung! Ohne alle Hulkcomics gelesen zu haben, behaupte ich: Das war nicht die Grundidee. Der Hulk entsteht in den Vorlagen durch Wut und wird durch mehr Wut immer stärker und mächtiger. Wenn die Marvel-Studios behaupten, ihre Filme selbst zu finanzieren, damit die Geschichten näher am Ausgangsmaterial bleiben, dann haben sie in diesem Fall ihre eigenen Hefte nicht genau gelesen. Auch, daß der Hulk teilweise so animalisch-männliche Züge bekommt und sich wie ein Gorillamännchen gebärdet, kenne ich so aus dem Comics nicht. Vielleicht sieht der Film Wut, Angeberei und Männlichkeit ja als gegenseitig inhärent.

Der Hulk als King Kong.
King Hulk und die weiße Frau.

Daß die Liebesgeschichte dennoch irgendwie reizend ist und funktioniert, liegt vor allem an Edward Norton und Liv Tyler. Während Herr Norton als Schauspieler als über jeden Zweifel erhaben gilt, scheiden sich an Frau Tyler immer wieder die Geister. Sie wirkt auch hier gewohnt zerbrechlich und nah am Wasser gebaut, ihre Stimme gibt ihr wie immer etwas Entrücktes und Feenhaftes (manche nennen das auch langweilig), doch dem Ganzen wohnt auch eine ungeheur liebevolle Warmherzigkeit inne. Die beiden Schauspieler holen aus ihren gemeinsamen Szenen soviel heraus, da selbst die unempathische Regie nicht alles zerhacken kann.

Noch ein Aspekt an der Liebesgeschichte ist interessant. In einer Szene rettet der Hulk Elizabeth aus den Flammen und ergreift mit ihr die Flucht in die Berge, wo er sie in einer kleinen Höhle in Sicherheit bringt. Hier spielt Leterrier ganz klar auf KING KONG an und zeichnet den Hulk als Monster, das durch die Liebe gezähmt wird. Es zeigt Banner auf, daß er den Hulk möglicherweise doch auf irgendeine Art und Weise kontrollieren kann. Übertragen kann man die Beziehung zu Elizabeth als die Hoffnung lesen, auch trotz unseren unschönen Seiten geliebt zu werden. In dem Moment, in dem sich Banner ihr als Hulk zeigt und erkennt, daß er keine Angst haben muß, verstoßen zu werden, geht die Tür zur Kontrolle des Hulk ein Stück auf (dieses Thema wird in den beiden AVENGERS-Filmen anhand der Beziehung zu Black Widow fortgeführt). Für diesen intimen Moment nimmt sich der Film genau die Zeit, die er für Bruce und Elizabeth nicht hat. Es ist eigenartig – Leterrier versteht offenbar die Beziehung zwischen Hulk und Elizabeth. Die Beziehung zwischen Bruce und Elizabeth versteht er nicht.

Edward Norton als Bruce Banner
Gleich sieht Bruce Banner rot – beziehungsweise grün.

Die beiden sind die einzigen Charaktere in THE INCREDIBLE HULK, die in irgendeiner Weise ausgearbeitet sind. Es gibt auch noch William Hurt als Elizabeths Vater und fieser, gemeiner General. der Banner jagt, sowie Tim Roth als knallharter Soldat, der Banner zur Strecke bringen soll und zu diesem Zwecke ebenfalls per Experiment in ein großes, diesmal gelbliches Fleischmonster verwandelt wird. Klar spielen die beiden das überzeugend, sie gehören zum Besten, was Hollywood zu bieten hat. Warum aber die Hurt-Figur so verbissen hinter Banner her ist, bleibt ein bißchen rätselhaft. Sicher, er will den Hulk als Waffe. Aber das Serum steht eh in seinem Kühlraum, sonst könnte er es Tim Roth nicht spritzen. Vielleicht ist es, weil er ein sturer, eiskalter Militärschädel ist. Oder vielleicht ist er einfach deshalb böse, weil er den Hulk nicht mag. Tim Roths Figur ist noch eindimensionaler: Er will einfach jagen und töten und mächtig sein, glaube ich – was für einen Bösewicht ja ausreichend ist. Ich hatte kurz den Endruck, es geht ihm auch ums Älterwerden und den spürbaren körperlichen Verfall. Aber ein Satz macht noch keine Charaktereigenschaft.

Warum diese Eindimensionalität bei Loki in THE AVENGERS funktionert und hier nicht, liegt am Tonfall: THE INCREDIBLE HULK nimmt sich zu ernst. Zuerst in der harten Zeichnung des gebrochenen Bruce Banner, später in den brutalen und teilweise grausamen Actionsequenzen. Deshalb verpufft auch jeder Versuch von Humor. Der kindliche Spaß fehlt hier. Witzigerweise macht er Lustfeindlichkeit, wie oben beschrieben, sogar selbst zum Thema.

Edward Norton als Bruce Banner
Banner versucht, den Hulk zu kontrollieren.

Auf der Habenseite verbuchen wir zwei tolle Hauptdarsteller und die Tatsache, daß Leterrier versucht hat, hier etwas anderes zu machen als die übrigen Marvelverfilmungen – sowohl im Tonfall als auch im Aussehen. THE INCREDIBLE HULK hat einen realistischeren Look, der an die Bourne-Filme erinnert, was vor allem zu Beginn, bei den Szenen in den Favelas, eine Augenweide ist. Im Gegensatz zu den anderen Filmen aus der sogenannten Phase Eins des Marvel Cinematic Universe erzählt THE INCREDIBLE HULK keine Origin-Story. Es funktioniert mehr wie ein Kapitel in der langen Geschichte des Hulk. Die Charakterreise von Banner/Hulk ist hier, daß er zu Beginn alleine auf der Flucht ist, sich vor der Welt versteckt, sich vor dem Monster in ihm fürchtet und versucht, es durch fernöstlichen Kampfsport zu kontrollieren. Am Ende, nach einer langen Kampfsequenz aus dem Computer, in der die beiden Muskelprotze aufeinander losgehen, ist Banner alleine auf der Flucht, versteckt sich vor der Welt und macht Sport, um das Monster in sich zu kontrollieren – nur, daß es diesmal Joggen ist. Da die angedeutete Entwicklung, Banner habe sich mit dem Hulk arangiert und kontrolliere ihn bewußt, in THE AVENGERS wieder relativiert wird, stellt sich die Frage, welcher Entwicklung wir hier tatsächlich zugesehen haben.

Post-Credits: Ich gebe zu – als sich Bruce Banner gegen Ende aus dem Helikopter fallen läßt, ist mir das direkt in den Bauch gefahren.

Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld



Der unglaubliche Hulk (USA 2008)
Originaltitel: The Incredible Hulk
Regie: Louis Leterrier
Buch: Zak Penn
Kamera: Peter Menzies Jr.
Musik: Craig Armstrong
Darsteller: Edward Norton, Liv Tyler, Tim Roth, William Hurt, Tim Blake Nelson, Ty Burrell, Lou Ferrigno






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Dr. Wily
Dr. Wily mag das Alte. Selbst aktuellen Entwicklungen in Musik, Film, Literatur und Computerspiel gibt er oft Monate bis Jahre Zeit, um sich von ihnen einnehmen zu lassen. Mit zunehmendem Lebensalter zieht es ihn vermehrt zu Horror- und Mysterygeschichten hin, nur um sich dann seine Seele doch wieder von Richard Linklater, Jim Jarmusch, Jack Kerouac, Jackson Browne, Paul Simon oder J.D. Salinger streicheln zu lassen. Außerdem kann er nach 15 Jahren Spielpause MEGA MAN 2 aus dem Stand bis ins vorletzte Level durchspielen.





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