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IRON MAN: Der gemachte Superheld

Robert Downey Jr. als Iron Man

Wenn man schon einen Superhelden im Team hat, kann der auch getrost die Konkurrenz besprechen. Mit den folgenden Überlegungen zu IRON MAN startet Gastautor Dr. Wily eine Reihe über die einzelnen Filme des Marvel Cinematic Universe.

2008 ändern die Marvel Studios ihre
Geschäftsstrategie. Fungierten sie bis dahin als Co-Produzenten und
Lizenzgeber, wollen sie nun als eigenständiges Studio völlig
eigenfinanzierte Verfilmungen ihrer beliebten Comicfiguren in die
Kinos bringen. Sie erhoffen sich davon vor allem zwei Dinge. Erstens
soll damit eine genauere kreative Kontrolle möglich sein. Alle Filme
sollen, wie die Comics auch, im gleichen Universum spielen, womit
auch Überlappungen zwischen den Geschichten möglich sein sollen.
Die Option einer Franchise war von Anfang an auf dem Radar der Marvel
Studios. Zweitens wollen sie das ganze Geld verdienen, das die Filme
einspielen. Im Falle eines Erfolgs wollen sie nicht nur auf den
Lizenzgebühren sitzen bleiben. Daß das Unterfangen von Beteiligten
wie Marvel-Studios-Präsident Kevin Feige und Regisseur Jon Favreau
als riskant und mit viel Unsicherheit und Angst verbunden erinnert
wird, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. „People forget IRON MAN was an independent movie,“ erzählt Feige in Vanity Fair
und fragt sich offenbar immer noch: „What is the movie that’s
going to mess it all up?“

Als Einstieg in dieses Marvel
Cinematic Universe (MCU) wählen sie also IRON MAN. Der Film erzählt
die Läuterungsgeschichte von Tony Stark (Robert Downey Jr.). Tony
ist ein Technikgenie, ehemaliges Wunderkind und mindestens mehrfacher
Milliardär (Ähnlichkeiten mit Howard Hughes sind kein Zufall), der
von seinem Vater Howard die Firma Stark Industries geerbt und massiv
ausgebaut hat. Stark Industries baut und vertreibt Waffen. Aber nicht
irgendwelche Waffen: Das Genie Tony baut die besten Waffen der Welt.
Seiner Auffassung nach entsteht Frieden nur dann, wenn einer „den
größeren Stock hat“. Darüber hinaus kümmert sich der Playboy
und Großkotz sehr wenig um die Auswirkungen seiner Produkte. Bis er
bei einer Waffenpräsentation in Afghanistan von Terroristen
überfallen und gekidnappt wird. Bei dem Überfall explodiert neben
Tony eine seiner tollen Raketen, woraufhin er Schrapnel im Körper
trägt. Nur eine Batterie in seiner Brust hält das Metall von seinem
Herz fern. Tony, der Mann, der nun Eisen in sich hat, muß zum Teil
eine Maschine werden, um zu überleben. Hier beginnt die
Läuterungsgeschichte: Nach seiner Rückkehr stampft Tony die
Waffenproduktion seiner Firma ein und will sich auf eine neuartige,
seiner Meinung nach friedfertige Technologie konzentrieren. Während er am Update seiner
Iron-Man-Rüstung schraubt, ist sein Partner und Anteilseigner
Obadiah Stane (Jeff Bridges) von diesen Plänen nicht überzeugt, und
es kommt zum Showdown zwischen den beiden.

Robert Downey Jr. als "Iron Man" Tony Stark
Superheld mittels Technologie: „Iron Man“ Tony Stark (Robert Downey Jr.).

Daß Robert Downey
Jr. damals für die Rolle des Tony Stark ausgewählt wurde, war ein
kleiner Clou, der sich angesichts Downeys Popularität mitlerweile
kaum mehr nachvollziehen läßt. Nach Jahren der Drogenabhängigkeit,
Entzugskuren und Gefängnisaufenthalte hatte er, der als junger Mann
mehrfach als bester Schauspieler seiner Generation gepriesen worden
war, gerade erst begonnen, sich zurück ins Rampenlicht zu
arbeiten. Downey wurde während der Promo zu IRON MAN nicht müde zu
betonen, wie sehr er sich mit der Rolle des Überheblichen, der fallen
muß, um sich selbst zu finden, identifizieren konnte. Zehn Jahre und
sieben (oder acht, wenn man die Schlußszene in THE INCREDIBLE
HULK mitzählt) Auftritte als Tony Stark später sieht es so aus, als
wäre es die Rolle seines Lebens geworden (mit der er laut Vanity Fair allein 2015 um die 80 Millionen Dollar verdient haben soll).

Visuell hat Regisseur Jon Favreau, der
zuvor zwar zwei Filme inszeniert, aber vor allem als Schauspieler
gearbeitet hatte, aus IRON MAN eine solide gefilmte, unterhaltsame
Actionkomödie nach dem Blockbusterhandbuch gemacht. Der Film ist
handwerklich einwandfrei, glänzt wie der Anzug seines Titelhelden in schönen Farben und kommt genau so glatt und
selbstbewußt daher wie Tony Stark – inklusive der Tendenz, sich für
etwas schlauer und besser zu halten, als er in Wirklichkeit ist.

"Iron Man" Tony Stark: Robert Downey Jr.
Nur ein kleiner Rückschlag für den selbstgemachten Superhelden Tony Stark (Robert Downey Jr.).

Es
ist spannend, heute zu sehen, wieviel Zeit sich der Film für die
Technik des Iron Man nimmt. Jon Favreau erzählt, daß es ihm wichtig
war, den Anzug als technologiebasiert zu zeigen. Er setzt immer wieder
dessen metallische Schwere und Unbeweglichkeit in Szene, und wir sehen
ausführlich, wie die Mechanik funktioniert. Er zeigt uns
verschiedene Stadien der Rüstung (die allererste orientiert sich am
ursprünglichen Iron Man in den Comics der 1960er Jahre) und Szene um
Szene, in der Tony am Anzug schraubt, ihn testet und pseudotechnischen
Kauderwelsch in seinen Computer Jarvis diktiert. Das ständige
Verbessern und Umbauen des Anzugs wird, wie auch in den Comics, ein
wiederkehrendes Element der Iron-Man-Filme werden.

Tony soll als
Bastler und Arbeiter gezeigt werden. Er mag ein Genie und arroganter
Milliardär sein, aber er ist auch zielstrebig, fleißig und
entschlossen und hat sich seinen Ruhm und Reichtum auch verdient. Er
ist nicht der geborene Superheld, nicht der Auserwählte, sondern ein
gemachter. Dietmar Dath bezeichnet ihn im Reclam-Buch SUPERHELDEN als einen Superheld aus
Selbstermächtigung. Daher darf man ihm auch trauen, wenn er als Iron
Man selbst entscheidet, wer mit was auf wen schießen darf. Die den
Superhelden innewohnende Thematik der Selbstjustiz wird erst bei
CAPTAIN AMERICA – CIVIL WAR so richtig zum Thema, aber es ist schon
hier, im ersten Film des MCU, ein Problem in Tony Starks Charakter.
Zu Beginn ist er ein reicher Waffenproduzent, der der Meinung ist,
daß der mit dem „größeren Stock“ für Frieden sorgt, und dem
egal ist, was mit seinen Waffen passiert. Am Ende ist er ein reicher
Waffenproduzent, der den größten Stock am eigenen Körper trägt
und damit entscheidet, wer gut und wer böse ist. Die Läuterung ist hier
nur eine vermeintliche: Tonys Weltsicht hat sich nicht verändert, er
hat sie nur seinem neuen Selbstbild und Ego angepasst. Die ganze
aufgesetzte Kritik am industriell-militärischen Komplex zerfällt,
zumal sich der Film auch sonst sehr beeindruckt vom amerikanischen
Militär zeigt. Die zweite Charakterentwicklung Tonys, der lernt,
daß er in bestimmten Situationen seine eigenen Bedürfnisse
zurückstellen muss, ist dagegen sehr stimmig und nachvollziehbar
erzählt und kommt erst in THE AVENGERS so richtig zum Tragen.

Jeff Bridges als Gegenspieler Obadiah Stane
Starks Gegenspieler Obadiah Stane (Jeff Bridges) rüstet auf.

IRON MAN war 2008 unter den acht erfolgreichsten Filmen des Jahres, und das
MCU hat sich in den vergangenen zehn Jahren zum Dauerhit und
Popkulturphänomen entwickelt. Keiner der Filme des Studios war ein
Flop, wenn auch manche besser liefen als andere. Neben der
zugänglichen und unterhaltsamen Inszenierung und der kurzweiligen
und leicht verdaulichen Geschichte von IRON MAN hat, denke ich, ein
weiteres Element wesentlich dazu beigetragen, daß die Leute auch den
nächsten Film aus dem Hause Marvel sehen wollten: Die Marvel Studios
versprachen schon in IRON MAN eine viel größere Geschichte. Ob es
jetzt das mehrmalige, als Running Gag verpackte, Auftauchen von
S.H.I.E.L.D.-Agent Phil Coulson (Clark Gregg) ist, der Blick von
James Rhodes (Terrence Howard) auf seinen zukünftigen
Warmachine-Anzug, den er mit „Next time, baby“ kommentiert,
Captain Americas Schild im Hintergrund von Tonys Labor oder Nick
Furys (Samuel L. Jackson) Hinweis auf die Avengers in der
Post-Credit-Sequenz – Fans wußten, wovon die Rede war, und konnten
frohlocken ob der Dinge, die da kommen würden. Unbedarfte wurden mit
einem Geheimnis konfrontiert, das neugierig machte und gleichzeitig aus der Cliffhanger-Erzählweise der boomenden Fernsehserienformate zur gleichen Zeit sehr vertraut war. Seit IRON MAN bleiben mehr Menschen
den ganzen Abspann lang im Kino sitzen – wenn auch nur bei
Comicverfilmungen.

Post-Credits: Der schönste Effekt des Films sind
meiner Meinung nach übrigens Gwyneth Paltrows Sommersprossen. Die
sind bei ihren weiteren Auftritten als Pepper Potts verschwunden. Es
hat mich verwundert zu sehen, wie glatt ein ohnehin schon glattes
Produkt in zehn Jahren noch gebügelt werden kann. Das ist ja fast
wie bei den Platten der Eagles.



Iron Man (USA 2008)
Regie: Jon Favreau
Buch: Mark Fergus, Hawk Ostby, Art Marcum, Matt Holloway
Kamera: Matthew Libatique
Musik: Ramin Djawadi
Darsteller: Robert Downey Jr., Terrence Howard, Jeff Bridges, Gwyneth Paltrow, Leslie Bibb, Clark Gregg, Jon Favreau, Tim Guinee

Dr. Wily
Dr. Wily mag das Alte. Selbst aktuellen Entwicklungen in Musik, Film, Literatur und Computerspiel gibt er oft Monate bis Jahre Zeit, um sich von ihnen einnehmen zu lassen. Mit zunehmendem Lebensalter zieht es ihn vermehrt zu Horror- und Mysterygeschichten hin, nur um sich dann seine Seele doch wieder von Richard Linklater, Jim Jarmusch, Jack Kerouac, Jackson Browne, Paul Simon oder J.D. Salinger streicheln zu lassen. Außerdem kann er nach 15 Jahren Spielpause MEGA MAN 2 aus dem Stand bis ins vorletzte Level durchspielen.

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