TOTAL RECALL – DIE TOTALE ERINNERUNG: Schwarzeneggers schönste Urlaubserinnerungen

Uncategorized / 11. Februar 2017

Im folgenden Gastbeitrag erinnert sich unser hochgeschätzter Don Arrigone an Paul Verhoevens Ultra-Violence-Trip TOTAL RECALL. Der Don kann seinen Erinnerungen wenigstens trauen …

Manche Filmideen wirken auf dem Papier derart absurd, daß man sich fragt, wie sie jemals realisiert werden konnten. Eine Romeo-und-Julia-Adaption von Lloyd Kaufman mit Ian Fraser Kilmister, besser bekannt als Lemmy? Schiffe Versenken als Film, mit Rihanna und Liam Neeson? Oder eine Interpretation einer Kurzgeschichte von Phillip Kindred „Mindfuck“ Dick, mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle, unter Regie von Paul Verhoeven in der Phase seiner amerikanischen filmischen Gewaltexzesse? Zumindest letzteres hat erstaunlich gut funktioniert, wie TOTAL RECALL belegt – und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der auf den ersten Blick so unterschiedlichen Zutaten.

Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) ist ein einfacher Arbeiter – so einfach, wie man mit dem Körper eines Mr. Universum und Sharon Stone als Frau nur sein kann. Das einzig Ungewöhnliche an ihm sind seine wiederkehrenden Träume, in denen er sich mit einer schönen Unbekannten auf dem Mars befindet. Diese beeinflussen ihn derart, daß er den Mars schließlich sehen will, aber leider sind solche Reisen recht kostspielig, und seine Gattin ist auch alles andere als begeistert. Daher wählt Quaid die nächstbeste Option: Die Firma Rekall Inc. soll ihm künstliche Erinnerungen an einen Trip zum roten Planeten einpflanzen, um ihn wieder mit seinem einfachen Leben zu versöhnen und von den Träumen zu befreien. Als kleine Zugabe will Quaid noch Spion gewesen sein – einfacher Tourist wäre ja langweilig.

Quaid (Arnold Schwarzenegger) hat wohl nicht nur Erinnerungen eingepflanzt bekommen.

Für den Zuschauer wenig überraschend ist das Ganze dann doch nicht so einfach: Während der Operation wacht Quaid plötzlich auf und besteht darauf, tatsächlich Geheimagent auf dem Mars gewesen zu sein – seine Erinnerungen waren vermeintlich gelöscht worden, kamen durch den Eingriff aber wieder zur Oberfläche. Und damit kommen wir zum wirklich spannenden Element von TOTAL RECALL: Nach nur 15 Minuten kann auch der Zuschauer selbst nicht mehr sagen, was nun Realität und was Einbildung des Hauptcharakters ist, wie in der ungewöhnlich humoristischen Dick-Vorlage wird man mit Fragen zurückgelassen, die mit dem Nachdenken nur noch komplizierter werden. Und dies sei vorweggenommen: TOTAL RECALL hält diese Spannung bis zum Schluß, ganz im Gegensatz zu BLADE RUNNER, dessen Handlung sich in der ewigen und immer wieder neuen Vermarktung schließlich selbst überführte.

Was folgt, ist technisch einwandfreie Science-Fiction-Action: Quaid kämpft sich durch mehrere mitunter sehr blutige Sequenzen und schafft es schließlich tatsächlich auf den Mars, dessen Kolonisation durch detaillierte Modelle und Miniaturen suggeriert wird, auch wenn kein Gefühl für Größe aufkommen will. Kaum dort angekommen, wird er auf den Rebellenführer Kuato aufmerksam, der ihm eventuell weiterhelfen kann. Die Hinweise führen ausgerechnet ins Vergnügungsviertel (wer hätte das bei Verhoeven je vermutet?), das unter anderem auch von diversen Mutanten bewohnt wird. Hier konnten sich die Maskenbildner noch einmal voll ausleben und die offensichtlich investierte Mühe hat sich gelohnt: Ein Großteil der Besonderheiten kann auch über 25 Jahre später noch überzeugen, und auch jene Stellen, an denen der Zahn der Zeit doch ein wenig genagt hat, wirken noch charmant. Kreativ war man ohnehin: verwachsene Gesichter, ein kleinwüchsiger Symbiont, eine Prostituierte mit drei Brüsten – langweilig wird es auf dem Mars nicht.

Böse Buben auf dem Mars: Vilos Cohaagen (Ronny Cox, links) und Richter (Michael Ironside).

Die ganze Zeit über wird die Frage, ob es sich um eine komplizierte Agentengeschichte voller Intrigen und Wendungen handelt oder doch um eingepflanzte Erinnerungen, immer wieder aufgegriffen, allerdings ohne daß dies konstruiert oder übertrieben aufdringlich wirken würde. An sich ist die Geschichte derart überzogen, daß ein vernünftiger Zuschauer wohl eher an die künstlichen Erinnerungen glauben würde, aber da ist ja noch der Faktor Schwarzenegger. Sei es CONAN, TERMINATOR oder PHANTOM-KOMMANDO: Der fachkundige Zuseher hat bereits einen ganzen Kanon vollkommen überzogener Geschichten mit Schwarzenegger konsumiert und kann den Film daher als weiteren Actionstreifen mit dem Exil-Österreicher interpretieren, in dem es keineswegs verwunderlich ist, daß er dutzende Feinde abschlachtet, ohne selbst dabei ernsthaft verletzt zu werden. Daß Verhoeven zuvor ROBOCOP gedreht hat, der ja auch keinen Preis für Bodenständigkeit gewinnen wollte, trägt sein Übriges dazu bei.

Comichaft überzogen, wie für Verhoevens Action typisch satirisch überzeichnet geht es weiter ins große Finale, das in seiner Inszenierung noch einmal geschickt das Hauptelement des Films visualisiert: Quaid hat zuvor im Film einen Hologramm-Projektoren entdeckt, den er nun geschickt nutzt, um die feindliche Überzahl zu dezimieren. Und wieder einmal wissen weder seine Opponenten noch wir als Zuschauer, ob es sich nun um den echten Quaid handelt oder nicht – obwohl die Spannung in dieser kurzen Sequenz stets aufgelöst wird, Hologramm über Hologramm wäre ja auch irgendwann langweilig geworden.

Kann Quaid (Arnold Schwarzenegger) seiner eigenen Ehefrau (Sharon Stone) trauen?

TOTAL RECALL reiht sich perfekt in das Triumvirat Verhoevenscher Action – ROBOCOP, TOTAL RECALL und STARSHIP TROOPERS – ein: Wenn man den Film als gut gemachten, aber dezent trashigen Actionstreifen sehen will, dann steht diesem Vergnügen nichts im Wege. Die äußerste Schicht ist großartiges Popcornkino. Darunter verbergen sich jedoch weitere Bedeutungsebenen, die durchaus zum Nachdenken anregen: Ob der amerikanische Erlöser nicht eher ein Racheengel ist (ROBOCOP), ob wir uns nicht alle nach ein wenig Hochglanz-Faschismus sehnen (STARSHIP TROOPERS), oder ob wir unseren Sinnen und Erinnerungen wirklich trauen dürfen (TOTAL RECALL). Konsequent hat Verhoeven ein schlichtes Äußeres mit einem künstlerischen Kern verbunden – besser so als andersrum. Hoch anzurechnen ist ihm auch, daß er die grundlegende Frage – Traum oder Wirklichkeit – eben nicht auflöst. Ein abschließender Twist wäre clever gewesen. Die Spannung aufrecht zu erhalten hingegen war mutig und brillant.

Und so bleiben wir schließlich mit einem Schwarzenegger auf dem Mars zurück, der sich fragt, ob dies nicht alles ein Traum war. Und wir können ihm glücklicherweise keine Antwort darauf geben.

Mehr zu TOTAL RECALL und der Mars-Besiedelung ist auch in unserem Lichtspielplatz-Podcast #13 zu hören.

Mehr Texte zu Paul Verhoeven auf Wilsons Dachboden:
TRICKED: Ein Drehbuch als Open-Source-Projekt



Total Recall – Die totale Erinnerung (USA 1990)
Regie: Paul Verhoeven
Buch: Ronald Shusett, Dan O’Bannon, Gary Goldman
Kamera: Jost Vacano
Musik: Jerry Goldsmith
Darsteller: Arnold Schwarzenegger, Rachel Ticotin, Sharon Stone, Ronny Cox, Michael Ironside, Marshall Bell






Avatar-Foto
Don Arrigone
Als Kind ausgesetzt und im Kloster zum Heiligen Massacesi aufgezogen. Zeigte schon in jungen Jahren Interesse an jeglicher Art von Film, insbesondere aber an den Genres Horror und Thriller. Studium der Theologie, Magisterarbeit zur Darstellung der Nonne im italienischen Film des 20. Jahrhunderts. Priesterweihe, und Beitritt zum Geheimorden der Fratri Rossi. Tod während einer nächtlichen Orgie, aufgrund seines sündigen Lebenswandels hinabgefahren in die Hölle. Gefangen im 9. Zirkel der Unterwelt und somit gezwungen, bis zum jüngsten Tag Videothekenfutter zu rezensieren.





You might also like