SCHREI WENN DU KANNST: Ein filmischer Nachahmungstäter mit anständigem Kundendienst

Uncategorized / 25. Mai 2014

Es wird gerne bestritten, aber es ist wahr: Horrorfilme regen zum Nachahmen an. Zumindest Filmproduzenten, die bei erfolgreichen Gruselstreifen reflexartig die Scheckbücher zücken, um über Jahre hinweg ähnlich geartete Filme zu ermöglichen. Schon Anfang der Achtziger war der Slasherfilm mehr Replik als Risiko: So eine gut gemachte Schauermär über einen unaufhaltsamen Irren funktioniert eben auch beim hundertzwölften Aufguß noch immer als sichere Bank. Nachdem Wes Cravens SCREAM dem Traditionsgenre 1996 wieder Aufwind gegeben hat, sprangen Hollywoods Geldgeber wie die Nachahmungstäter erneut auf alles, was mit Maske und Messer herumlaufen könnte – nur daß es diesmal die großen Studios waren, die die neue Slasherwelle fortführten. Nachdem sie sich Anfang der Neunziger mit eher literarisch orientierten Horrorstoffen wie DRACULA und INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR an das zuvor so disreputable Genre herangewagt hatten, war jetzt der Punkt gekommen, wo das Killerkino zum Mainstream-Event werden konnte.

VALENTINE, im Deutschen hübsch reißerisch SCHREI WENN DU KANNST betitelt, hält sich an alle Rituale, ohne die die Welt des Slasherfreundes ins Chaos stürzen würde: Wie in den Vorbildern HALLOWEEN und FREITAG DER 13. wird ein Feiertag zum Todestag auserkoren (auch wenn der schon 1981 in BLUTIGER VALENTINSTAG sozusagen abgefeiert wurde), ein Mörder arbeitet sich mit To-Do-Listen-Fleiß durch das Schauspielensemble durch, und das Motiv der Tötungen liegt in der Kindheit begraben. Mehr noch als in den Vorbildern sind die Opfer in VALENTINE vornehmlich junge, ansehnliche Menschen wie du und ich – sofern ich mit sechsstelligem Jahresgehalt in einer Villa hause und du die Kandidatinnen zur Party mitbringst, die neben dir in Germany’s Next Topmodel auftreten.

Sterben müssen die schönen Gestalten hier, weil sie im vorpubertären Alter beim Schulball den unpopulären Jeremy abblitzen ließen und gehänselt haben: Wie in einem Stephen-King-Destillat wird uns im Vorspann die Schule als Raum des sozialen Horrors gezeigt, aus dem der Außenseiter nur mit tiefen seelischen Narben hervorgehen kann. Jeremy muß nämlich nicht nur Körbe kassieren, sondern wird auch von ein paar Halbstarken gedemütigt, nachdem ihn ein Mädchen als Perversen beschimpft und den Jungs erzählt hat, daß er sie belästigt habe. Punsch über den Kopf, verprügelt und zum öffentlichen Striptease gezwungen: Das stimmt Jeremy doch nachdenklich. Zehn Jahre später ist er fertig mit Nachdenken und bringt die unwilligen Weiber von damals um.

Auch in den Morden geht VALENTINE ganz im Sinne des Konsumenten vor: Die filmischen Opfer dürfen auf manchmal recht originelle Weise ihr Leben lassen. Die Medizinstudentin Shelley versteckt sich auf der Flucht vor dem bewaffneten Killer im Leichenhaus in einem Leichensack (was für den Mörder den praktischen Nebeneffekt hat, daß er den Körper danach nicht mehr entsorgen muß), die ansehnliche Paige darf beim Plantschen im Whirlpool Bekanntschaft mit einem Bohrer machen (nachdem sie per Plexiglasdeckel im Pool eingesperrt wurde). Und selbst auf einer gut besuchten Party schafft es Jeremy, seine Opfer immer irgendwo einzeln und unbemerkt zu erwischen – aber vielleicht liegt das daran, daß nebenan auf der Tanzfläche lauter Hits von Linkin Park, Marilyn Manson, Disturbed, Static-X, den Deftones und anderen seinerzeit populären Rabauken gespielt werden.

Wie es in den Slashern nach SCREAM so üblich war, ist auch hier eine gewisse Ironie spürbar. Zwar verkneift sich der Film jegliches Bewußtsein, Film zu sein, und nimmt auch nicht am popkulturellen Zitierspiel teil – zumindest nicht jenseits der Tatsache, daß den Genreregeln in jeder Hinsicht entsprochen wird – aber dafür betrachtet die Geschichte ihre Mann-Frau-Beziehungen mit amüsantem Augenzinkern: Sämtliche Männer sind schräge Vögel, unbrauchbare Lebensgefährten, Spinner mit dämlichen Aufreißsprüchen, Ex-Alkoholiker oder Tatverdächtige. Das wird gerade zu Beginn beinahe wie in einer Romantic Comedy gefeiert – zum Beispiel bei einem Speed-Dating, wo alle männlichen Kandidaten zum Davonlaufen animieren, oder in der Figur eines Nachbarn, dessen Anbandelungsversuche zum Augenverdrehen gereimt sind („You look great, Kate. How about a date, Kate?“ – Kate antwortet mit „You’re scary, Gary“). Wenn nicht die meisten weiblichen Figuren außer der sympathisch normalen Kate so neurotisch, manipulativ und nervig gezeichnet wären, hätte es eine richtig schöne Satire gängiger Rollenklischées werden können.

So weit wagt sich VALENTINE dann aber doch nicht ins seltener beschrittene Horrorterrain: Er funktioniert prinzipiell wie jeder andere spätere Slasher, bei dem die Figuren hauptsächlich präsent sind, damit sie nach und nach über die Klinge springen dürfen, und bei denen das Drehbuch dafür sorgt, daß wir sie nicht sonderlich vermissen. Insofern interessant, wie schon der Vorspann eigentlich eine Identifikation mit dem gehänselten späteren Täter erlaubt – obwohl der nur mit Maske agiert und gerätselt werden darf, ob vielleicht eine der Figuren aus dem Ensemble hinter den Morden steckt. Es ist eben auch Genretradition, dem Zuseher eine gewisse Komplizenschaft mit dem Killer zu gönnen: Vor allem in ihren Sequels waren ja schon Freddy Krueger und Jason Voorhess weitaus populärer und vertrauter als all die Opfer, die da kamen und gingen.

So mag VALENTINE gewissermaßen ein sicheres Produkt sein, aber als solches ist der Film durchaus gelungen. Regisseur Jamie Blanks, der sich schon mit URBAN LEGENDS am Wiederaufleben des Slashers beteiligte, und sein Kameramann Rick Bota haben ein Gespür für Räumlichkeiten und verpacken die altbewährte Geschichte in gestylte, aber auch stimmige Bilder. Der Sinn für die Oberflächenreize wird nicht zuletzt auch bei den Darstellerinnen ausgekostet – vor allem an Denise Richards kann sich der Film kaum sattsehen und gönnt ihr auf der Tanzfläche genußvolle Zeitlupen, bevor sie ihre Modelfigur in den Hauspool bewegen darf. Sprich: Der Artikel wird auch mit anständigem Kundendienst geliefert.



Schrei wenn du kannst (USA 2001)
Originaltitel: Valentine
Regie: Jamie Blanks
Buch: Donna Powers, Wayne Powers, Gretchen J. Berg, Aaron Harberts, nach einem Roman von Tom Savage
Kamera: Rick Bota
Musik: Don Davis
Darsteller: Denise Richards, David Boreanaz, Marley Shelton, Jessica Capshaw, Jessica Cauffiel, Katherine Heigl, Hedy Burress, Daniel Cosgrove






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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