Freddie Hubbard (1938 – 2008)

Uncategorized / 1. Januar 2009

Das neue Jahr ist gerade mal einen halben Tag lang, und schon lese ich die traurige Nachricht, daß schon wieder einer der ganz Großen gestorben ist. Jazz-Trompeter Freddie Hubbard ist am Montag im Alter von 70 Jahren verstorben, nachdem er kurz vor Thanksgiving einen Herzanfall erlitt.

Hubbard war einer der bemerkenswertesten Trompeter. Es ist eigentlich egal, welche seiner vielen Dutzend Aufnahmen man aus den Sechzigern heranzieht – sie sind allesamt gleich beeindruckend und zeigen die einzigartige Stimme, die er auf seinem Instrument hatte. Obwohl Hubbard zu den wilden Spielern gehörte – schnell, hart, hoch, fast akrobatisch – scheint bei ihm doch immer eine gewisse Erdung durch. Er war einfallsreich und nicht nur ein sehr feuriger, sondern auch ein – komisches Wort, aber: – sehr klarer Spieler.

Neben zahlreichen eigenen Alben, davon viele auf Blue Note, spielte Hubbard mit vielen Jazzgrößen und tauchte als Sideman auf einigen klassischen Jazzalben auf, denen er eine eigene Note verlieh. Hubbard spielte mit John Coltrane, Herbie Hancock, Eric Dolphy, Ornette Coleman, Wayne Shorter, Quincy Jones und so vielen anderen. Meine erste Begegnung mit ihm war auf Hancocks erstem Album, TAKIN‘ OFF von 1961 (das ich jetzt gerade höre). Er spielte auch auf Hancocks Klassikern EMPYREAN ISLED (1964) und MAIDEN VOYAGE (1965). In kürzester Zeit hatte ich jede Menge Hubbard.

In den Siebzigern landete er auf Creed Taylors CTI-Label und bekam für das Album FIRST LIGHT einen Grammy. Dieses Album, RED CLAY, oder die Konzerte mit Stanley Turrentine: Allesamt Höhepunkte.

Dann begann Hubbard, sich selbst zu demontieren. Er unterschrieb bei Columbia und nahm fade Discofunk-Platten auf, auf denen er selbst fast nichts zu tun hatte. Er spielte seichte Schmuseballaden. Es war nicht so, daß er kein Feuer mehr hatte: In Hancocks VSOP-Projekt Ende der Siebziger hört man ihn mit dem zweiten klassischen Miles-Davis-Quintett (Hancock, Ron Carter, Wayne Shorter und Tony Williams), und er fackelt mit jedem Solo die Bühne ab. Aber das waren Ausnahmen, und mit den meisten seiner eigenen Aufnahmen hörten die Leute langsam auf, ihn ernst zu nehmen. Er fiel unangenehm auf, weil er Konzerte platzen ließ und sich daneben benahm, und später, Anfang der Neunziger, platzte ihm dann die Lippe auf, so daß er kaum mehr spielen konnte. Erst 2001 wagte er sich an ein Comeback, das auch gut aufgenommen wurde. Zu der Zeit waren schon viele Trompeter etabliert, die mit seinen Platten aufgewachsen waren und ihn zu seinen Vorbildern zählten. Einige seiner Kompositionen sind mittlerweile Standards.

Jetzt hat er, um das abgegriffene Bild zu bemühen, die Bühne verlassen. Auch wenn die meisten seiner Glanztaten in den Sechzigern und in der ersten Hälfte der Siebziger lagen, ist es doch sehr schade. Selbst der gemäßigte Hubbard der Neuzeit hatte immer noch den charakteristischen Klang, den Ideenreichtum des jungen Stürmers. Es wäre noch einiges an Musik in ihm gewesen.

Aber jedesmal, wenn ein Musiker stirbt, denke ich mir, daß sie uns ja etwas mitgegeben haben, was nicht verschwinden wird. Wir können ihre Musik noch hören und neu entdecken, und wir können in fünfzig Jahren immer noch ein altes Stück wie „Alone and I“ vom ersten Hancock-Album hören und uns von Hubbards Spiel berühren lassen.

Lesenswerte Links: Nachrufe bei All About Jazz, bei MSN Music News, und auf PopMatters.

—————–
4 8 15 16 23 42





Avatar-Foto
Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





You might also like