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Just a bunch of guys

Ein steter Quell der Heiterkeit: Die Leserbriefseiten, auf denen sich mißverstandene und entrüstete Konsumenten zur Äußerung berufen fühlen. Vor mir liegt die neue Ausgabe vom Musikexpress, und auf Seite 4 (früher waren die Leserbriefe ganz hinten, und es kann nicht an der Qualität des Geschriebenen liegen, daß sie nach vorne verlegt wurden) zeigt sich ein Oasis-Fan sehr empört, daß die Redaktion die neue Oasis-Single nicht verstanden habe, und überhaupt seien Oasis ja viel besser als die Gorillaz. Natürlich kann der betreffende Redakteur die Single gar nicht gehört haben, sonst wäre ihm deren ausufernde Meriten ja ins Auge, bzw. Ohr, gesprungen – so die vielfach vollzogene Schlußfolgerung. Ehrlich: In jeder Ausgabe schreibt so jemand mit derart brillianter argumentativer Schlüssigkeit, und vielleicht ist es immer die gleiche Person unter stets neuem Namen. Überaus heiter auch ein besorgter Leser, der vor einem „unehrlichen Hype“ warnt, und vermutlich ist der Teil des Briefes, in dem er uns ehrliche Hypes vorstellt, einfach nur von der Redaktion gekürzt worden. Den Vogel schießt ein Herr Zoppelt aus Wien ab, aber weil ich gerade gefrühstückt habe, bleibt sein Brief zum Thema Eigenurintherapie einmal unkommentiert.

Ähnlich spannend geht es auf den Leserbrief-Seiten der Cinema zu: Everybody’s a fucking director. Stärker noch als bei der Musik ist beim Film schlichtweg jeder Mensch ein Experte und weiß, wie es hätte gemacht werden sollen. Dieses Phänomen trifft freilich nur auf wenige Kunstformen zu – im Museum habe ich bislang noch niemandem vor einem Bild stehen sehen, der sich beschwert hätte, daß man den Hund weiter nach links oder den Farbtupfer ein bißchen größer hätte malen sollen.

In der diesmaligen Ausgabe der Cinema reden sehr viele Menschen über KINGDOM OF HEAVEN, und natürlich ist einer dabei, der den Film „unrealistisch“ findet. Vermutlich redet er eigentlich nicht vom Realismus, sondern von der Glaubwürdigkeit, aber schön langsam finden wir uns ja damit ab, daß da nicht unterschieden wird. Sagenhaft die Beobachtung von Herrn Bollinger, der uns wissen läßt: „Die historischen Fehler würden eine CINEMA-Ausgabe füllen.“ Soso. Daß Ridley Scott himself schon vorab darauf hingewiesen hat, daß er sich nicht zwangsläufig an den historischen Fakten orientiert hat, und daß es ihm eigentlich um etwas anderes geht als um ein detailgetreues Re-enacting durch Bunnies, mag Herrn Bollinger vielleicht entgangen sein.

Weiters wird von den Lesern bemängelt, es gäbe „schöne Bilder“, aber keine Story (seufz), und zu schlechter Letzt echauffiert sich ein Herr Hubert, ihn habe die „aufgesetzte Moral“ gestört. Denn: „Es gibt gute und böse Christen, wie es gute und böse Muslime gibt.“ Lieber Herr Hubert, die von ihnen als aufgesetzt bezeichnete Moral scheinen Sie nicht einmal ansatzweise im Film entdeckt zu haben. Zum Nachdenken darf ich noch Steve Arlo aus dem Film ZERO EFFECT zitieren: „There aren’t evil guys and innocent guys. It’s just… It’s just… It’s just a bunch of guys.“

Frieden schaffen dann freilich die Zuschriften zur EPISODE III: „Dies ist nicht nur die beste Episode der neuen Trilogie – es ist die beste von allen,“ schreibt ein anonymer eMailer, und ich vermute die Autorenschaft bei Alex Sobocop.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    3 Comments

    1. Ordnung ist das Grundbedürfnis des Menschen schlechthin. Wenn nun ein Film sozusagen als Fremdkörper in das eigene System eindringt, muss er zugeordnet werden, um nicht zu (ver)stören. Steht nun das eigene Kategoriensystem auf intellektuell eher wackeligen Beinen, fühlt man sich oft von Andersdenkenden bedroht und provoziert. Die Volksseuche des Expertentums in allen Bereichen ist weniger auf die Arroganz als auf die Angst der Leute zurückzuführen, an einer systemimmanenten Schwäche zu kränkeln.

    2. Jaja Leserbriefe 😉 Ich weise aber darauf hin, dass ich Episode III natürlich für den besten Teil der neuen Trilogie halte (wer nicht?), aber letztlich hänge ich an den Episoden V und VI doch etwas mehr.

    3. Sobes is back! Die Feststellung, daß EP3 besser ist als EP1 + EP2, ist freilich genauso, als würde man sagen, daß ALONE IN THE DARK der allerbeste Uwe-Boll-Film bislang ist.

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