FAST & FURIOUS – HOBBS & SHAW: Kohlenmonoxid-Krawall zur Rettung der Menschheit

Film / Neuer als alt / 14. Juni 2020

Es ist über die Jahre zum Aushängeschild der FAST-AND-FURIOUS-Reihe geworden, wie sehr die Filme das Absurde und Übertriebene suchen, um ihre jeweiligen Vorgänger in Sachen Irrwitz noch zu toppen. Natürlich war die Reihe nie realistisch, aber ihre Anfänge in der Welt illegaler Autorennen muten unglaublich bodenständig an gegenüber den Action-Kapriolen, die die Filmserie ab ihrem vierten Teil schlug. Da sprangen Panzer über Brücken und Autos zwischen Wolkenkratzern herum – man kann sich das so vorstellen, als hätte die Bond-Fangemeinde nach MOONRAKER gejubelt: yeah, mehr davon!

Schon seit Jahren behaupte ich, dass der magische Actionrealismus der Reihe irgendwann dazu führen wird, dass ihre Protagonisten ins All fahren. Mit dem neunten Film machen sie zumindest einen strammen Schritt Richtung Science Fiction: Unsere Helden kämpfen diesmal gegen einen Cyborg, eine Art unwirschen Terminator mit starkem Sendungsbewusstsein, was die Zukunft der menschlichen Rasse angeht. Und weil Vin Diesel gelegentlich auch in anderen Filmen die feine Linie zwischen Coolness und schlechter Laune beschreitet, haben er und der Großteil der Bleifußgang diesmal Urlaub: FAST & FURIOUS – HOBBS & SHAW ist nicht der reguläre Teil 9, sondern ein Spin-Off mit den von Dwayne „The Rock“ Johnson und Jason Statham gespielten Figuren. Ich erinnere mich, dass Statham noch vor wenigen Filmen ein gesuchter Attentäter war, der nicht wenige Menschenleben auf dem Gewissen hatte, aber weil seine Frisur zum Rest der FURIOUS-Truppe passt, wurde er wohl mittlerweile als vollwertiges Mitglied in den Automobilclub aufgenommen.

Cyborg Brixton (Idris Elba, Mitte) gegen Hobbs (Dwayne Johnson, links) und Shaw (Jason Staham).

Nachdem der Hauptautor der Reihe, Chris Morgan (seit Teil 3 dabei und seit Teil 6 auch einer der Produzenten), wahrlich keine kleinen Brötchen bäckt, dient der Kohlenmonoxid-Krawall diesmal dazu, die gesamte Menschheit zu retten. Eine gar finstre Organisation plant nämlich, ein Supervirus in die Welt zu setzen, bei dem kein Händewaschen mehr hilft: Die schwachen 50% der Weltbevölkerung werden dahinscheiden, die Starken (also vermutlich die Besetzungslisten der letzten 97 FAST-AND-THE-FURIOUS-Filme) sollen mithilfe hochgezüchteter Technologie die Menschheit in ein neues Zeitalter führen. Ein solcher Cyborg ist auch schon hinter dem Virus und damit auch hinter unseren Helden her. Er sieht die Welt mit Computerunterstützung wie der Terminator, kann lässig Autos in die Luft heben und hat eine Art Transformers-Tron-Motorrad, auf das er auch mitten während der Fahrt, sollte er herabfallen, wieder aufsteigen kann. Idris Elba spielt den zur Menschmaschine umgebauten ehemaligen Soldaten, und er runzelt entweder in jeder Szene übellaunig die Stirn, weil er weniger hochgerüstete Menschen als minderwertig empfindet, oder weil er sich Sorgen macht, dass das Dahinscheiden der schwachen Hälfte der Menschheit dramatische Auswirkungen auf das Einspielergebnis etwaiger Fortsetzungen haben könnte.

Auch wenn diesmal kein Vin Diesel zur Stelle ist, der anstelle von neuen Dialogzeilen wiederholt das Wort „Familie“ nuschelt, steht HOBBS & SHAW ganz im Zeichen der Verwandtschaftsbande. Trägerin des Virus ist nämlich die Schwester von Shaw, die ein ebenso actionreiches Leben führt (und mehr Zeit mit dem Hairstyling verbringt). Hobbs dagegen muss sich mit seinem entfremdeten Bruder Jonah aussöhnen, der in Samoa – was sonst? – eine Autowerkstatt betreibt. Selbst für die Mütter unserer Helden ist Platz in der Geschichte, und weil die FAST-Reihe Stars einkauft wie andere Leute Klopapier, wird die Mutter von Statham bzw. Shaw (wie auch schon in FAST & FURIOUS 8) in einem Gastauftritt von Helen Mirren gespielt. Die sitzt im Gefängnis und wartet wahrscheinlich darauf, ihr eigenes Spin-off zu kriegen – ebenso wohl wie die weiteren Gaststars Ryan Reynolds und Kevin Hart.

Shaws Schwester Hattie hat zwar das Virus in sich, muss aber glücklicherweise doch nie auf Abstand gehen: Es ist die Art von Virus, die in einer Kapsel verschlossen im Blut herumschwimmt und sich erst nach Ablauf einer exakten Frist freisetzt. Zum Glück haben die Bösen eine Virus-Extraktionsmaschine, mit der man die Dinger aus dem Körper herauslutschen kann. Als unsere Helden diesen Bazillensauger aus dem Hauptquartier der sinistren Tech Company klauen, geht er leider zu Bruch, aber praktischerweise kann Hobbs‘ Bruder Jonah nicht nur schnelle Autos reparieren, sondern auch futuristische Erregerverarbeitungstechnologie im praktischen Notebook-Look.

Shaws kleine Schwester Hattie (Vanessa Kirby).

Regisseur David Leitch war ehemaliger Stuntmann und Stuntkoordinator, bevor er sich als ungenannter Co-Regisseur von JOHN WICK und dann als Regisseur von DEADPOOL 2 und ATOMIC BLONDE im Ruhestörungskino einen Namen machte. Er hat einen schnittigen visuellen Stil: Die absurde Action findet in durchgestylten Bildern statt, die mit intensiven Farben und eleganten Linien designt sind. Es tut der FAST-Reihe gut, dass hier ein Mann am Werk ist, der sich nach den immer schwerer erzählten Vorgängern (in denen auch immer Platz für alle Figuren aus der bisherigen Reihe sein musste) einfach auf spektakuläre, schnelle Action konzentriert und ein leichtes Händchen für entsprechendes Spektakel hat. Im wahnwitzigen Finale koppeln die Helden ihren Truck bei einem Sprung mit einer Kette an den Helikopter, in dem Cyborg Elba sitzt, und versuchen ihn, nach unten zu ziehen – und in dem Tauziehen hängen sich immer mehr Autos an die Kette an, während sie an einer schier endlosen Klippe entlangfahren. Bei der ebenso beeindruckenden wie abwegigen Szene kommt Leitchs Erfahrung als Stuntprofi voll zur Geltung.

In der „Goofs“-Sektion des IMDB weist jemand darauf hin, dass Hobbs am Anfang von HOBBS & SHAW beim Motorradfahren keinen Helm trägt, obwohl es seit 1992 ein striktes entsprechendes Gesetz in Kalifornien gibt. Es keimt der Verdacht auf, dass auch andere Szenen die Realität geflissentlich unter den Teppich kehren.

 

Fast & Furious – Hobbs & Shaw (USA 2019)
Regie: David Leitch
Buch: Chris Morgan & Drew Pearce
Kamera: Jonathan Sela
Musik: Tyler Bates
Darsteller: Dwayne Johnson, Jason Statham, Idris Elba, Vanessa Kirby, Helen Mirren, Eiza González, Eddie Marsan, Cliff Curtis, Ryan Reynolds, Kevin Hart

Coverbild: Daniel Smith, (C) Universal Pictures. Alle Photos stammen von www.imdb.com.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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